Werner Siegert Ingrid Schumacher

Endlich im Knast!


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Blick fiel auf ein gerahmtes Foto, das in einem Bücherregal stand: Ein hoch aufgeschossener Junge, der ein kleines, dunkelhaariges Mädchen an der Hand hielt. Auf seinem Rücken hing ein Schulranzen, wie es sie vor vielen Jahren einmal gegeben hatte. Das Kind schaut zu dem Jungen auf.

       Gibst du mir Dein Wurstbrot, Maurice? Ich habe solchen Hunger!

      Natürlich hatte er ihr sein Brot gegeben und ebenso selbstverständlich hatte er ihr auch den Ranzen zur Schule getragen, so wie er immer getan hatte, worum sie ihn bat.

      Er legte das Foto mit dem Glas nach unten auf das Bord. Dann nahm er das Messingtier, das daneben stand, in die Hand und sah es Hass erfüllt an.

      Gepard, Leopard, was auch immer es war. Verflucht noch außerdem! Damit hatte es angefangen! Seinetwegen hätte das Ding nie gefunden werden müssen. Er schleuderte es in eine Ecke des Zimmers.

      Das erweckte Rinaldo zum Leben. Wie ein Blitz rannte er hin, nahm das unkaputbare Tier behutsam ins Maul und brachte es – um Belohnung bettelnd – zu Elsterhorst zurück.

      „Apportieren! Das ist aber auch alles was du kannst.“ Knurrte Elsterhorst.

      „Aber was soll ich mit dem?“

      Noch während er dem Hund sein angebissenes Croissant gab, sah er sich wieder neben dem Taxi in Soho stehen.

      „Auf Wiedersehen, Maurice. Ich bleibe hier!“

      Aus. Schluss. Ende.

      „Komm, Rino“ sagte er zu dem Hund, „wir gehen!“

      Er angelte seine Socken und Schuhe unter dem Tisch hervor und zog sie an, während Rinaldo das Croissant in die Kaffeepfütze legte und aufgeregt an der Türe hinauf sprang.

      Ab in den Englischen Garten.

      Dort gab es keine Geparden, Leoparden oder was sonst auch immer! Da war er mit Judith nie gewesen. Also auch keine Stimmen aus der Vergangenheit. Nur Rinaldo blieb ihm natürlich, den er in einem Anfall von Wahnsinn in London adoptiert hatte, nur um nicht allein heimfahren und ankommen zu müssen.

      „Du kannst schließlich nichts dafür“, sagte er zu dem Hund, als er in die U-Bahn einstieg.

      Das sah Rinaldo genau so und legte sich friedlich unter den Sitz.

      Er zerrte an der Leine, als sie an der Münchner Freiheit ausstiegen. Elsterhorst wäre fast mit einem Mann zusammengestoßen, der auch gerade die Straße überquerte.

      Warum der ihm auffiel, konnte er sich zunächst nicht erklären. Es gab dort viele exzentrische Gestalten und eigentlich nahm man sie im Einzelnen schon gar nicht mehr wahr.

      Dieser Mann, Elsterhorst nahm an, Elsterhorst nahm wie selbstverständlich an, dass es ein alter Mann war, trug einen ziemlich langen schwarzen Mantel. Sein graues, strähniges Haar fiel ihm bis auf die Schulter. Als ein Windstoß es noch mehr verwirrte, als es ohnehin schon war und er es mit den Händen richten wollte, sah man, dass der Mann Handschuhe trug, weiße Handschuhe. Er ging vornüber gebeugt mit weit ausholenden Schritten.

      Der Gang war es, der Elsterhorst faszinierte: Er wirkte unnatürlich, fast wie der einer Comicfigur im Film.

      Elsterhorst wollte ihn schon überholen, um ihm ins Gesicht sehen zu können, tat es aber dann doch nicht. Der Mann schritt so schnell aus, dass es aufgefallen wäre, und er nahm den gleichen Weg, den der Kommissar mit Rinaldo eingeschlagen hatte. Der sah auch nicht ein, dass er seine Route ändern sollte. Also folgte er ihm bei sich ständig vergrößerndem Abstand.

      Dann sah er ihn wieder - in einiger Entfernung auf einer Bank sitzen.

      Ein anderer jüngerer Mann, der eine alte Frau im Rollstuhl vor sich her schob, schien mit ihm zu sprechen. Wieder konnte Elsterhorst sein Gesicht nicht erkennen, weil er den Kopf geneigt hielt.

      Dann verabschiedete sich der Jüngere, nachdem er der Frau aus dem Rollstuhl geholfen und sie bequem auf der Bank untergebracht hatte.

      Der alte Mann rührte sich nicht.

      Selbst als Rinaldo zu der Bank lief und erst ihn, dann die Frau ausgiebig beschnüffelte, zeigte er keine Reaktion.

      Die Frau grüßte zu den beiden hinüber.

      „Das ist schon in Ordnung so“, sagte sie. „Der ist immer so schweigsam.“

      Daraufhin machte sich Elsterhorst auf zu einem etwas weiteren Spaziergang. Da ihn die Neugierde plagte, wählte er jedoch den gleichen Rückweg.

      Der alte Mann war inzwischen weg. Rinaldo aber lief gleich zu der Bank. Elsterhorst folgte ihm und ging zu der alten Frau, die seltsam starr da saß und redete sie an.

      Als er sie berührte, fiel sie zur Seite.

      Er erschrak: Die Frau war tot.

      Mehr aus Gewohnheit, denn weil er glaubte, es brauchen zu können, hatte er sein Handy in der Tasche. Sofort rief er den Notarzt und das nächste Polizeirevier an, sollten die doch die Sache übernehmen. Er hatte schließlich Urlaub und immer noch diese blutige Jagd nach dem Goldenen Geparden im Kopf. Sowas schüttelt man nicht einfach ab.

      Inzwischen hatte Rinaldo, der verbotenerweise nun ohne Leine herumlief, die Jagd nach einem Kaninchen oder Eichhörnchen aufgenommen.

      Als er zurückkam, legte er Elsterhorst einen weißen Handschuh vor die Füße, den dieser mit einem Papiertaschentuch in Empfang nahm.

      Das seltsame Verhör des Dr. Joannes Schäfer

      Obwohl Elsterhorst so tat, als sei es eine Katastrophe, dass man ihn während seines Urlaubs aufs Präsidium bat, hätte ihm nichts Besseres passieren können.

      Sein Privatleben sei in Gefahr, fuhr er den Kollegen Lothar Velmond am Telefon an, der natürlich wusste, dass Elsterhorst ein solches gar nicht pflegte. Er müsse aber kommen, drängte ihn Velmond, wegen des Vorfalls im Englischen Garten heute morgen. Der Mann habe sich selbst gestellt. Man bitte ihn sehr, seine persönlichen Termine zu verschieben.

      „Ich werde es versuchen“, log Elsterhorst mit knurriger Stimme und machte sich nach einer angemessenen Pause voller Spannung mit Rinaldo auf den Weg. Bevor er das Verhörzimmer betrat, wurden ihm noch einige sehr überraschende Informationen ausgehändigt.

      Ja, das war der Mann. Elsterhorst erkannte ihn sofort. Es waren die Haare, die er sich, als er die Tür öffnete, mit dieser fahrigen Bewegung zurückstrich, obwohl sie sich bei geschlossenen Fenstern wohl kaum bewegt hatten. Die etwas gebeugte Haltung, die er auch im Sitzen beibehielt, ließen ihn keine Sekunde an der Identität des Mannes zweifeln, den er am Morgen gesehen hatte.

      Der Mann erhob sich. Er trug einen teuren Anzug. Ein Markenhemd und die dezent gemusterte Krawatte bewiesen sowohl einen guten Geschmack wie die Zugehörigkeit zu einer Schicht, deren Mitglieder normalerweise nicht mordend durch die Parkanlagen von München ziehen. Er erhob sich halb von seinem Stuhl und hielt Elsterhorst eine lange knochige Hand entgegen.

      „Gestatten, Dr. Schäfer! Sehr erfreut, Herr Kommissar, dass Sie gekommen sind. Sie sind also mein Zeuge.“

      Die senkrechten Falten seines Gesichtes ließen ein echtes Lächeln nicht zu und in seinen Augen leuchtete etwas auf, was man bei anderer Gelegenheit als Ironie hätte deuten können.

      Nach kurzem Zögern ergriff Elsterhorst widerwillig die dargebotene Hand. Lieber hätte er den merkwürdigen Mann gleich aufgefordert, wieder Platz zu nehmen.

      „Also?“

      „Was heißt da ‚also’? Ich habe die Frau umgebracht. Ich erstatte Selbstanzeige!“

      „Warum?“

      „Was warum?“

      „Warum haben Sie sie umgebracht?“

      „Muss man für alles ein Motiv haben?“

      „Für einen Mord hat man meistens eins. Wie heißt sie?“

      „Martha