Gerda Roth

Das Jahr 2967- Utopia


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sehr wenig Interesse an dem zu haben, was sich in ihrem Hof abspielte. Denn immer wieder streifte ihr Blick über den Hof hinaus, auf die weiten Wiesen die zwischen den Ortschaften lagen.

      Auch der Vater sah aus dem Fenster der Schulbibliothek. Er hatte die neuen Bücher schon eingeräumt, in der Bücherliste eingetragen. Alles weggeräumt, was wegzuräumen war: Papier in die Bücherkartons, Schreibutensilien ihn die Schublade. Dann war er an ein Fenster getreten, auch er blickte auf die Wiesen, über die Wiesen hinweg. Obwohl er völlig ruhig stand, ihm sah man eine innere Unruhe an. Deutlich erkannte man in seiner angespannten Miene, dass er auf etwas wartete. Dass er hoffte, dass etwas in seinem Blickfeld auftauchen würde, von dem er sicher wusste, dass es sich heute zeigen würde. Seine Ruhe wich einer Unruhe, die ihn immer wieder zu ein paar Schritten durch seinen Arbeitsraum trieb, aber auch wieder zurückzog an das Fenster.

      In der Ferne sah er am Horizont einen kleinen weißen Punkt über den Wiesen. Zuerst nur ein Punkt, der sich zum Strich ausbreitete. Ein weißer, dünner Strich, der langsam länger zu werden schien. Er wurde breiter. Dehnte sich aus. Wurde breiter, wurde länger, zerfiel endlich in einzelne weiße Flecke. Man sah nun deutlich, wie die Flecken immer breiter, immer höher wurden, je näher diese dem Dorf kamen. Der Wind trug den Ton einer Flöte aus der Ferne zu der Schule hin. Die Melodie schwang sich leise an der Schule vorbei in das Dorf hinein.

      Schnell schloss der Lehrer, der Verwalter des Wissens, die Türe zu seinem Zimmer ab, ging aus dem Schulgebäude hinaus. Mit großen, weitausholenden Schritten eilte er seinem Hause entgegen. Seine Frau sah ihn kommen, lief auf den Hof, winkte die Kinder herbei. Diese hörten auf mit ihrem Ball zu spielen, hüpften, jeder auf einem Bein, nun um die Wette dem Vater entgegen.

      „Der Schäfer kommt“, teilte dieser, etwas atemlos, seiner Familie mit. Die Augen seiner Frau strahlten ihn an. Auch die Kinder hüpften vor Freude, denn, wenn der Schäfer kam, war die Schule geschlossen. Dazu liess der Schäfer seine Schafe immer bei Ihnen weiden. Schon das war eine kurzweilige Abwechslung, denn einzelne SCHAFE waren ebenso wie die Schafsherde, mit spannenden, erfreulichen Ereignissen verbunden. Selbst das, an jedem Morgen und Abend stattfindende, Zählen der Schafe war für die Kinder kurzweiliger, als in die Schule zu gehen.

      Einzig die Großmutter schien von der Aufregung nicht betroffen zu sein. Ruhig setzte sie ihre Arbeit fort, fegte den Hof zu Ende, räumte den Besen in den Schuppen, setzte sich dann auf die Vortreppe des Hauses, wartete, die Hände in ihren Schoss gelegt, was kommen würde.

      Das Lied einer Flöte kam näher, wurde lauter, klang zum Haus der Familie hin. Die Mutter und der Vater warteten am Tor, als die Schafherde hinter dem Buschwerk hervortauchte. Irgendwann waren die ersten Schafe am Zaun des Gartens angelangt, der Schäfer mit seiner Flöte war jetzt an den Büschen sichtbar.

      Gleich hinter ihm tauchte ein zweiter Mann auf. Er trug die Kleidung eines Wanderers, pfiff die Melodie der Flöte mit. Seine Schritte wurden länger, er zog den Hut vom Kopf, warf ihn in die Luft und fing ihn mit dem Kopf wieder auf.

      „Erik“, jubelten die Geschwister, rannten auf ihren ältesten Bruder zu, aber dieser wich Ihnen geschickt aus, ging auf die Eltern zu, nahm sie beide gleichzeitig in seine Arme. „Endlich wieder einmal zu Hause“, sagte er strahlend. Er liess sich von seiner Mutter umarmen

      „Mutter!“ mehr sagte er nicht, aber in dem Wort lag alles was er für seine Mutter empfand. Er gab dem Vater ruhig die Hand. Wandte sich dann seinen drei Geschwistern zu: “Wer wird wohl der erste bei den Schafen sein? Der bekommt das größte Stück von der Torte, die ich von der Reise mitgebracht habe. "

      Sofort rannten die zwei kleineren los, der größere jedoch hielt sich zurück. „Gewonnen, gewonnen“, jubelte das Mädchen. Erik klopfte ihr auf die Schulter „Du bist schnell geworden in den letzten zwei Jahren, Jule. Jetzt Lauf zum Schäfer und sag ihm, er soll dir die Torte geben, und bring sie in die Küche. Das Beste wird sein, du stellst sie auf den Tisch.“ Zuletzt nahm er seinen jüngsten Bruder auf, wirbelte ihn im Kreis herum, dass dieser jauchzte. Dann, als er den Kleinen etwas atemlos seiner Mutter übergeben hatte, wandte er sich an den größeren der Jungen.

      „Ich bin gekommen, weil du in wenigen Tagen zur Weihe gehen wirst, Arne. Nur noch sieben Tage- am Abend danach, wirst du an die Berghütte gehen aus der du nach kurzer Zeit mit dem Zeichen Deiner Weihe wieder herauskommst.“

      Arne sagte nichts, er sah nur auf Eriks Stirn, auf der genau über den Nasenwurzel das Zeichen der Weihe zu sehen war.“ Ich wollte, dass ich noch etwas Zeit bis zur Weihe hätte.“ seufzte er.

      Dennoch, es wurde ein fröhlicher Abend. Sie aßen die Torte, die Erik mitgebracht hatte, sie sangen die Lieder die sie von früher kannten. Irgendwann waren sie alle müde. Erik ging mit seinen Brüdern in den Knabenschlafraum, unterhielt sich mit Ihnen, bis sie müde wurden. Als die beiden eingeschlafen waren, stand er vorsichtig auf, stieg über die Treppe hinab in den Wohnraum in dem die Eltern und der Schäfer auf ihn warteten.

      Wenn der Schäfer im Dorf war, das wußte ein jeder, war die Schule geschlossen. Solange das Wetter auch nur eine kleine Chance ließ, saßen die Kinder bei ihm. Er erzählte ihnen von der großen weiten Welt aus der er kam, und in die er weiter ging. Dieses Mal, so erklärte der Schäfer, war er in das Dorf gekommen, weil es für mehrere Kinder wieder eine Weihe geben würde, und Arne würde dazugehören.

      Die Weihe war der wichtigste Tag im Leben eines Kindes.

      Viele Verwandte kamen, sie brachten Geschenke mit, aßen und tranken, sie tanzten und sangen, unterhielten sich, und dennoch lag eine sonderbare Stimmung über der fröhlichen Gesellschaft. Jeder, ob Dorfbewohner oder Gast, wartete gespannt. Warf hin und wieder einen verstohlenen Blick hin zu einer unscheinbaren Hütte kurz unter der Bergspitze. Diese schien halb verfallen zu sein. Doch dann bekam die Hütte einem besonderen, geheimnisvollen Flair. Denn es flutete bläuliches Licht durch die Fenster der Hütte halb oben am Berghang.

      Im Dorf war der zweite Lehrer die Person, welche die ehrenvolle Aufgabe hatte, die Hütte während des Festes zu beobachten. In der Hand trug er ein schmales Trichterförmiges Instrument. Sah er das blaue Licht in der Hütte, blies er in das Instrument. Ein fast schriller Ton erklang.

      Ohne sich beim Tanzen und Singen stören zu lassen, bildeten die Bewohner jetzt eine Reihe, die sich den Bergpfad hinauf bewegte. Hinter ihnen schritten, zugleich ebenso angespannt wie ernst und feierlich, die jungen Menschen die an diesem Tag zur Weihe gingen. Die jungen Gesichter waren von hohem Ernst geprägt, dennoch sah man die Freude durchscheinen, ebenso wie den Stolz. Stolz weil sie jetzt den ersten wichtigen Schritt in ihrem Leben taten. Nach der Weihe würden sie noch einen Tag in die Schule gehen. Dort würde der Lehrer ihnen sagen zu welchen Berufen sie geeignet waren, und wo sie anfangen konnten diesen Beruf zu lernen, das war der zweite, wichtige Schritt im Leben eines jeden jungen Menschen. Vielleicht sogar der Wichtigste, sagten viele ältere Leute, diese sahen einander an und nickten einander mit freundlicher Miene zu.

      Der Weg der zur Hütte führte war gewunden. Zehn Kurven führten deutlich sichtbar zur Hütte. In der siebten Kurve war am Ende ein großer Platz. An dieser Stelle tanzten die Dorfbewohner in den Platz hinein, formierten sich zu einem Spalier, ließen die jungen Menschen an sich vorbeigehen.

      Oben an der Hütte standen die Jugendlichen vor der Tür und klopften an. Sie nannten ihre Namen, und warteten. Die Tür öffnete sich, der Erste konnte in das blendende, gleißende Licht treten. Ganz sanft verschloss sich die Tür hinter ihm.

      Eine sanfte, schöne Melodie ertönte, die klang als käme sie aus allen Himmelsrichtungen.

      Die Musik hörte auf, die seitliche Tür öffnete sich. Der Erste trat heraus, freundlich lächelnd ging er außerhalb des Weges den Berg hinab, nur beleuchtet von dem gleisenden hellblauen Licht. Das Zeichen, dass er jetzt ein Geweihter war, der kleine Punkt auf der Stirn, war deutlich zu sehen.

      Er erreichte den Platz in der siebten Kurve, das Licht verschwand.

      Im gleichen Augenblick öffnete sich die Tür erneut und der nächste konnte zur Weihe eintreten.

      Arne blickte bei seinem Bruder Erik auf die Stirn. „Du hast das Zeichen der Weihe?“ stellte er fest.

      „Ist