Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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das ändern.

      Er bog rechts zum Fluss ab und hielt an. Am anderen Ufer standen einige Betonpfosten. Sie trugen noch immer ein verwittertes Fischgrätenmuster aus schwarz-rot-goldenen Streifen. Dort verlief vor Jahren die innerdeutsche Grenze, über die nichts Gutes erzählt wurde. Seine Mutter Bärbel stammte von drüben. Noch während der ersten Grenzöffnung vor der Wiedervereinigung hatte sie seinen Vater kennen gelernt. Ein halbes Jahr später waren sie verheiratet. Seine Verwandten im Osten besuchte er öfters. Mit dem Rad war es leicht, denn es gab inzwischen wieder eine Brücke über den Fluss. Drüben hatte er unter den Mädchen und Jungen seines Alters neue Freunde gefunden. Sie verstanden sich prima. Meistens verbrachte er aber seine Freizeit mit denen hiesigen im Ort. Es dunkelte bereits, als Pit zu Hause ankam. Sein Fahrrad ließ er einfach am Hofeingang stehen und verschwand sofort in seinem Zimmer. Eine gesunde Müdigkeit drängte ihn ins Bett. Doch vorher quälte er sich nochmals die zu lernenden Formeln ab. Es klappte noch halbwegs. Danach zog er sich aus, warf seine Sachen in alter Manier auf einen Haufen und legte sich hin. Wenig später schlief er tief und fest. Seine Mutter überzeugte sich später besorgt von seiner Anwesenheit. Kopfschüttelnd registrierte sie den neuerlichen Klamottenberg.

      Schulalltag

      „Pit, du musst aufstehen, es wird Zeit!“, klang eine ferne Stimme. Der nächste Morgen verschlang die Minuten seiner Mutter im Eiltempo. Jule, die auch zum Unterricht musste, ließ ihr kaum Zeit für ihn. Gehetzt klopfte sie noch kurz an die Tür bevor sie ging. Als gelernte Kindergärtnerin betreute sie die Kinder in dieser Woche vormittags. Vorher ließ sich seine Schwester noch zur Schule bringen. Sein Vater bekam meist von all dem nichts mit. Er arbeitete in einem Forschungslabor der Kreisstadt und musste früh los. Der morgendliche Stress blieb deshalb an ihr hängen. Das Pochen rüttelte Pit endgültig wach. Er hatte fast verschlafen. Gerade noch rechtzeitig verließ er das Bett, duschte sich kurz ab und sprang in seine Klamotten. Mit zerknittertem T-Shirt und ungekämmtem Haar stürmte er in die Küche, trank einen Schluck Apfelmost, griff sein Frühstück und im Flur seine Schultasche. Dann schlüpfte er in seine ausgetretenen Turnschuhe. Boldi kam und zog Aufmerksamkeit heischend am Schnürsenkel. „Das fehlt gerade noch!“,

      fuhr er den Hund an und verscheuchte ihn mürrisch. Gott sei Dank hatte sich das Band nicht gelöst, denn das Auf- und Zubinden betrachtete er nur als lästige Mühe. Die nächste Hürde erwartete ihn im Hof. Das Rad, wo hatte er es abgestellt? Vorsorglich von seinem Vater noch am Abend zuvor in der Garage eingeschlossen, konnte er es nirgends entdecken. Ihn juckten meist solche Vorkehrungen weniger, es handelte sich schließlich nicht um sein Geld, das man für so einen Renner aufbringen musste. „Verdammt, jetzt ist die Karre auch noch weg.“,

      schimpfte er entmutigt. Im letzten Moment dachte er an die Garage. Glücklicherweise war sie nicht verschlossen. Die Tür ließ er danach einfach offen.

      „Mist! Heute ist ja Sport, da brauche ich mein Sportzeug“,

      fiel ihm gerade noch rechtzeitig ein. Er rannte zurück ins Haus, holte den Beutel, sprang aufs Rad und raste davon. So wie heute Morgen bestritt er schon seit geraumer Zeit sein Dasein, leichtfertig und wenig rücksichtsvoll.

      Da Burgroda etwas abseits lag, gab es nur eine schmale asphaltierte Zugangsstraße von Neuburgroda. Als der jüngere Ort, stellte er aber den größeren von beiden Gemeinden. Er lag an einer alten Handelsstraße und verfügte seit 1915 über einen Bahnanschluss. Die Bevölkerung entwickelte sich aufgrund der günstigeren Verkehrslage und der damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung schneller und besaß deswegen die vierfache Einwohnerzahl gegenüber ihrem älteren und kleineren Nachbarn. Heute befanden sich dort auch das Verwaltungszentrum und die Albert-Schweitzer-Gesamtschule. Burgroda gehörte jetzt nur als ein Ortsteil zum Gemeindeverband.

      Pit trat in die Pedalen. Wenn er Pech hatte, würde er sich verspäten. Er fuhr als Einziger nicht mit dem Schulbus, auch nicht bei schlechtem Wetter. Trotz häufiger Spötteleien seiner Schulfreunde ließ er sich nicht davon abbringen. Schließlich gab es Prinzipien. Der Schulhof empfing ihn mit gähnender Leere. Er schloss sein Fahrrad an einen Zaunpfosten, denn im Fahrradständer gab es keinen Platz. Dann hastete er ins Schulhaus. Vor dem Klassenzimmer im Erdgeschoss stand zu allen Übeln auch noch Rektor Hirschwald. Er hatte die offene Tür noch in der Hand.

      „Na, Pit, hast du verpennt?“,

      empfing er ihn und stellte sich in den Weg.

      „Stimmt, Herr Hirschwald. Entschuldigung. Soll nicht mehr vorkommen!“.

      stammelte er verlegen.

      „Los, rein!“,

      kommandierte der Rektor ärgerlich und gab den Weg frei. Pit stürzte in die Klasse. Fast wäre er gestolpert. Alle lachten. Leicht verwirrt nahm er auf seinem Stuhl neben Fauli Platz. Da erst bemerkte er, dass vorn am Lehrertisch eine junge Frau saß. Sie trug ein rosa T-Shirt. Das passte zu ihrer Gesichtsfarbe. Auf ihrer Nase ruhte eine schmale Brille. Das Haar trug sie streng nach hinten gekämmt. Fauli flüstert, als er Pits verdutzten Blick bemerkte:

      „Das ist Frau Seidenfad, die neue Referendarin. Sie soll heute Berg vertreten, der hat was in der Stadt zu tun ".

      Jemand hinter ihnen kicherte.

      „Miss Piggy“ stand auf einem Zettel, der rumgereicht wurde. Das Kichern und Lachen hörte man noch öfter. Die junge Frau schaute ins offene Klassenbuch und machte Anwesenheitskontrolle. Einige hatte sie schon abgehakt. Pits Erscheinen quittierte sie mit einem strengen Blick, unterließ es aber, etwas zu sagen. Der Rektor hatte ja schon seinen Segen gegeben.

      „Martin Faulstich“,

      fuhr sie fort. Fauli sagte:

      „Ja!“

      und hob dabei die Hand. Sie blickte kurz auf und musterte ihn. Der nächste Aufruf galt Giuseppe Fellini, er drehte als Sitzenbleiber eine Ehrenrunde in der 7 b. Jetzt schoss er in die Höhe und antwortetet mit singender Stimme „Jaaaa“. Wieder lachten viele. Irritiert schaute die junge Frau zu ihm hin. Vor ihren Augen posierte ein hoch gewachsener Junge mit langen dunklen Haaren und einem ausgesprochenen südländischen Teint. Obwohl erst vierzehn Jahre, sah er aus wie siebzehn. Er besaß den Ruf, der größte Casanova an der Schule zu sein und hatte in den oberen Klassen schon vielen Mädchen erfolgreich den Hof gemacht. Triumphierend checkte er die Runde. Doch die Referendarin beachtete ihn nicht weiter. Sie rief den Nächsten auf.

      „Reinhard Katzmann“,

      so lautete Stinkis richtiger Name, wurde aufgerufen. Er saß hinten allein auf der Bank.

      „ Hier!“ rief er, meldete sich aber nicht. ‚Miss Piggy‘ sah sich suchend um.

      „Bist du das da hinten?“,

      fragte sie.

      „Warum meldest du dich nicht?“

      Er zuckte mit den Schultern.

      „Komm vor und setz dich neben das Mädchen in der zweiten Reihe!“

      „Iiih“;

      schrieen Einige,

      „der doch nicht, der stinkt!“

      Am lautesten protestierte Locke. Zu ihr sollte er sich nämlich setzen.

      „Wenn der vor kommt, haue ich ab“,

      drohte sie. Ihr blonder Lockenschopf hatte ihr zu dem Beinamen verholfen. Eigentlich hieß sie Floriane Dietzel. Sie war nicht nur hübsch sondern auch gut entwickelt. Das wusste sie und betonte ihre körperlichen Reize mit entsprechenden Klamotten. Die Ohren und den Bauchnabel schmückten Piercings. In der Klasse suchte sie keine Freundschaften. Anscheinend legte sie auch keinen Wert darauf. Das Hauptfeld ihrer Aktivitäten lag bei den Jungen der Zehnten. Ihren Zwillingsbruder Florian, auch Flori genannt, mochten dagegen alle. Sein Herz gehörte dem Fußball. Er spielte in der hiesigen A-Jugend. Aufgebracht herrschte er seine Schwester an:

      „Sei nicht so zickig, Locke, sonst gibt es Stress!“

      Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, hielt aber den Mund. Ratlos verfolgte