Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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außerhalb des Dorfes gelegen. Seine Mutter stammte aus dem Dorf. Im Ort sprach man immer noch respektvoll von Herrn Baron und Frau Baronin, so wie man es von früher kannte. Bingos Eltern hörten das gar nicht gern, sie wollten Gleiche unter Gleichen und für die Kinder im Dorf Herr und Frau Schambach sein sowie für die Älteren Baldur und Ruth. Auf ihren Äckern betrieben sie ökologischen Landbau und hatten den größten Teil der Ländereien in der Gemarkung Burgroda unterm Pflug. Außerdem besaßen sie im Kurland einige Hektar Laub- und Nadelwald. In ihrem schönen großen Anwesen gab es schon seit einigen Jahren einen Hofladen, in dem sie ihre eigenen landwirtschaftlichen und auch Ökoprodukte anderer Erzeuger der Region anboten. Der Laden erfreute sich inzwischen einer großen Beliebtheit. Viele Kunden von außerhalb des Kreises kamen jetzt häufiger zum Einkaufen. Auch Pits Eltern und seine Großmutter gehörten zu der Käuferschar. Seine Oma holte jeden Montag frische Milch und Sahne von dort.

      Doch zurück zur Schule. Die vierte Stunde verlief wie immer. Frau Helmer, sie unterrichtete Religion und das Fach Wirtschaft/Technik, beabsichtigte heute im Rahmen des W -Te-Unterrichts die gesunde Ernährung zu thematisieren. Zunächst lamentierte sie über das maßlose Essen vieler Menschen in der heutigen Zeit und die damit verbundenen gesundheitlichen Schäden. Es würde Milliarden kosten, um die Spätfolgen dieser falschen Ernährungsweise zu behandeln. Die Ausgaben müssten ja alle tragen, auch die Vernünftigen. Sie schickte einen strafenden Blick in Dickis Richtung. Außerdem ergänzten Bewegungsmangel und der zunehmende Konsum von Alkohol und Tabak diese Tendenz. Die drei rauchenden Mädchen aus der Frühstückspause guckten sich viel sagend an. Nicki errötete, das fiel sogar der Lehrerin auf.

      „Dich plagt wohl dein schlechtes Gewissen, Nicola?“,

      mahnte sie mit ironischem Unterton, wollte dieses Problem aber nicht weiter ausbauen. Vielmehr leitete sie über zum eigentlichen Ziel der Stunde. Als Beitrag zur gesunden Ernährung hatte sie ‚Müsli’ ausgesucht. Wer es erfunden hatte, wusste keiner, auch die Lehrerin nicht. Einige aßen es als erstes Frühstück mit Milch oder Fruchtsaft. Sie schrieben die Zutaten, die sie kannten, an die Tafel. Man könne auch Frischobst und Möhren ergänzen, schlug Nicki vor, um ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern. Dieser Hinweis wurde von der Lehrerin lobend quittiert. Sie lenkte dann weiter auf die Frage, mit welchen Bestandteilen man bestimmte Wirkungen erzielen könne. Die Schüler rätselten, eine befriedigende Lösung wurde nicht gefunden. Deshalb unterbreitete sie der Klasse einen Vorschlag. Im Rahmen einer Projektarbeit könne man doch Müsli-Rezepte entwickeln. Sie regte an, eins für Kraft und eins für gute Laune zu erfinden, die man am Ende der Projektwoche mit einer großen Verkostung vorstellen könne. Wider Erwarten stieß dieser Vorschlag sofort auf Begeisterung. Nicki, Dicki und Bingo erklärten sich sofort zum Mitmachen bereit.

      „Ich habe schon eine interessante Idee“,

      verkündete Bingo ungefragt. So euphorisch, wie er sich aufführte, schenkte ihm Frau Helmer entgegen allen Regeln Gehör.

      „Erzähle!“,

      forderte sie.

      „Wenn wir die Rezepte erfunden haben, bieten wir die Müsli in unserem Hofladen an. Die können wir ja selber herstellen. Den Erlös tun wir in die Klassenkasse.“

      Seine Idee wurde freudig beklatscht. Sogar Giuseppe wollte jetzt mitmachen. Die Lehrerin fand den Tipp hervorragend, sie wies aber noch auf ein paar Hürden hin, die genommen werden müssten. Wichtig wäre, die Wirkung der einzelnen Müsli-Bestandteile zu erforschen. Ein Problem, das noch intensive Arbeit bedeute. Dann bräuchte man sicherlich auch das Einverständnis von Bingos Eltern. Es gäbe auch noch behördliche Vorschriften.

      „Meine Mutter regelt das schon“,

      versicherte er, um die Begeisterung nicht zu dämpfen. Man erarbeitete schließlich einen Plan. Zuerst sollte zu Wochenbeginn in der Schulbibliothek und im Computerraum über Internet die Wirkungsweise verschiedener Komponenten erforscht werden. Vorarbeit am eigenen PC wäre dazu erwünscht. Die Planung sah vor: Mittwoch - Finden geeigneter Rezepturen; Donnerstag - kleine Verkostung im Rahmen der Gruppe; Freitag - Verteidigung des Projekts mit großer Verkostung vor der Jury.

      Die Stunde ging zu Ende. Frau Helmer, die auch als Konrektorin fungierte, gab noch Folgendes bekannt: Durch eine Planänderung müssten die Sportstunden in der sechsten und siebenten um eine Stunde vorgezogen werden. Die zweite große Hofpause würde deshalb jetzt stattfinden. Danach sollte sich die 7b vor der Turnhalle einfinden. Die Mitteilung wurde mit Jubel aufgenommen. Jetzt befand sich die Klasse allein auf dem Schulhof. Die Clique suchte ihren gewohnten Platz auf. Diesmal kamen Bingo, Anne und Flori dazu, was Fauli sehr freute. Die Mädchen gesellten sich aber dann zu Mia, die abseits auf einer Bank saß. Die Jungen diskutierten heftig über die Projekte. In ihrer Euphorie verpassten sie beinahe den Beginn der Sportstunden. Diesmal wagte es auch niemand, vor dem Schulhof zu rauchen. Nicki saß die Lektion der Lehrerin in den Gliedern. Sie befürchtete Konsequenzen. In Zukunft wollte sie sich nicht mehr verleiten lassen.

      Madam Ruck-Zuck empfing sie am Sportfeld der Schule und öffnete zum Umziehen die Turnhalle. Danach sollte die Klasse draußen in einer Reihe antreten, also das übliche Ritual. Wie immer ließen sich einige mit der Aufstellung Zeit. Mia als kleinste, stand am Ende, sie hatte ein Dauerattest und musste das Klassenbuch bewachen. Die Lehrerin ließ durchzählen.

      „Ihr seid doch 23 Leute, warum fehlt jemand?“,

      fragte sie. Erst seit einem halben Jahr aus der Babypause zurück, kannte sie die Klasse noch nicht so gut, sonst hätte sie gleich Lockes Abwesenheit bemerkt. Nach dem Vermerk wandte sie sich an die Klasse.

      „Wir laufen jetzt eine Runde, um uns aufzuwärmen.“

      „Ruck-Zuck!“

      bedeutete bei ihr das Startsignal, das ihr auch den Spitznamen eingebracht hatte. Sie lief seitlich mit und munterte unterwegs Dicki und einige andere lahme Enten auf, sich etwas flotter zu bewegen. Die Wärme des Tages tat ein Übriges. Sie brach deshalb den Lauf vorzeitig ab, weil die ersten schlappmachten. Die warfen sich jetzt froh ins Gras. Nach einem Blick in ihr Notizbuch rief sie eine Handvoll Namen auf und erklärte:

      „Mit euch muss ich einige Übungen nachholen und auch noch prüfen. Die restlichen Schüler gehen zum Volleyballplatz und spielen Völkerball. Ihr kennt die Spielregeln. Florian bestimmt die Spielführer und diese losen die zuerst werfende Mannschaft aus. Danach macht er den Schiedsrichter.“

      Das gefiel ihm weniger, er hätte gerne mitgespielt, fügte sich aber. Das aufgetragene Amt versprach ja auch interessant zu werden. Er bestimmte jeweils Meli und Pit für diese Aufgabe. Durch Werfen der Münze, bekam Meli als Erste den Zug. Sie wählte Stinki, Pit nahm Fauli. So ging es weiter. Dicki wurde schon als Dritter genommen. Obwohl er einen beträchtlichen Körperumfang besaß, agierte er bei solchen Spielen wieselflink. Das machte ihn zu einem begehrten Spieler. Giuseppe kam als Letzter in Pits Mannschaft. Er hätte gern auf diese sportliche Lusche verzichtet, doch das ließ die Zahlengleichheit nicht zu. Jede Mannschaft musste jetzt noch ihren König bestimmen. Nach kurzer Beratung einigte man sich auf Meli und Pit, eine Konstellation, von der niemand ahnte, dass sie einmal tief greifenden Folgen haben würde. Flori nutzte erneut die Münze, um den ersten Wurf auszulosen. Pits Mannschaft bekam den Zuschlag und durfte auch das Spielfeld wählen.

      Nach der Spieleraufstellung gingen auch Meli und Pit in ihre jeweiligen Außenfelder. Fauli warf als Erster, traf aber niemanden. Pit nahm den Ball auf und zielte auf Stinki, der aber fing ihn, drehte sich blitzschnell und traf Giuseppe. Nach einer Viertelstunde verfügte Pit nur noch über zwei und Meli über vier Feldspieler. Draußen im „Aus“ feuerten alle ihre Mannschaften mit lautem Geschrei an. Sie merkten nicht, dass sich zwei Typen aus den Achten näherten. Das Duo stellte sich neben Mia, die seitlich im Gras saß, und begann sie zu hänseln. Flori bemerkte, dass sie zunehmend aggressiver wurden und das Mädchen mit zotigen Ausdrücken bedachten. Die schaute Hilfe suchend zu ihm hin, hatte Tränen in den Augen. Allein war er machtlos, deshalb unterbrach er das Spiel. Einigen schien inzwischen auch aufzufallen, dass etwas nicht stimmte. Meli, Pit, Stinki und Fauli kamen sofort gelaufen und hinderten die Beiden, sich weiter unflätig zu äußern.

      „Verpisst euch“,

      zischte Stinki,

      „und