Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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kennt eins?“

      „Weißbuche“, „Blutbuche“,

      lauteten die einzigen Antworten.

      „Alles richtig“,

      bestätigte die Lehrerin,

      „ich meine aber die Eiche.“

      Fast alle blickten sich ungläubig um. Anne wagte sogar, Widerspruch anzumelden.

      „Sind Sie ganz sicher, Frau Zacher, irren Sie sich auch nicht?“

      „Warum sollte ich nicht sicher sein?“

      lachte sie und schrieb mit gelber Kreide ‚Die Eiche‘ an die Tafel. Um zu betonen, dass sie zu den Buchengewächsen gehörte, ergänzte sie in der zweiten Zeile mit weißer Kreide: ‚gehört zur Familie der Buchengewächse (lat. Fagaceae)‘. Anne guckte etwas betreten. Alle schrieben im Heft mit, was sonst weniger üblich war. In der Einleitung trug sie der Klasse vor, dass zirka 600 verschiedene Arten von Eichen auf der Welt vertreten wären, als Bäume oder auch als Büsche. In den wärmeren Ländern gäbe es immergrüne Arten im Vergleich zu den Eichen in Deutschland. Alle kannten die ‚Alte Eiche' in der Werlaaue und stimmten zu. Dann fuhr sie fort. Baumeichen könnten sehr groß und alt werden. Ihr Stammdurchmesser messe mitunter drei Meter und mehr, und sie könnten Höhen bis zu fünfzig Metern erreichen. Am liebsten würden sie einen feuchten und lehmhaltigen Boden bevorzugen, wüchsen aber auch auf lehmigen Sandböden. Eine starke, tief in die Erde reichende Pfahlwurzel sichere ihren Wasserbedarf und verleihe ihr neben mehreren regelmäßig verteilten Flachwurzeln eine hohe Standfestigkeit. Sie könnten mehr als 1000 Jahre alt werden. Im Mittelalter hätten sie eine große wirtschaftliche Bedeutung gehabt und wurden außerdem in der Heilkunde verwendet. In der Antike und auch später galten sie als Sitz von Göttern. Zudem wurden damals die Plätze unter Eichen als besondere Orte von den Menschen angesehen. Es gäbe viele mythische Geschichten um diese Bäume, die bis in die heutige Zeit hinein wirkten. Als Beispiel nannte sie das Eichenlaub auf den deutschen Euro-Cent-Münzen. Damit schloss sie ihren Vortrag und befragte die Klasse nach Kenntnissen bezüglich des Baumes. Pit meldete sich.

      „Ich weiß, dass man Korken und Schuhsohlen aus einer südländischen Eiche macht.“ „Richtig!“.

      „Diese Eichen heißen Korkeichen und wachsen im Süden, zum Beispiel in Ländern wie Portugal, Spanien und anderen rund ums Mittelmeer. Die Korken und vieles mehr würden aus der Rinde gewonnen. Dazu müssten die Bäume alle zehn Jahre geschält werden. Soviel Zeit seit nötig, um eine neue, verwertbare Rinde auszubilden.“

      Bingo meldete sich. Er habe gehört, dass in einer spanischen Region Schweine mit den Eicheln größerer Eichenhaine aufgezogen werden. Die Schweine lebten dort in freier Natur und müssten sich ihre Nahrung selbst suchen. Dadurch wüchsen sie langsamer, ihr Fleisch wäre aber dann besonders zart und hätte einen exzellenten Geschmack. Der daraus hergestellte Schinken sei bei Kennern in der ganzen Welt sehr beliebt, wäre aber so teuer, dass sich nur Millionäre den Genuss leisten könnten. Frau Zacher zeigte sich beeindruckt und sagte das auch. Sie konnte Bingos Beitrag nicht bestätigen, weil sie darüber noch nichts gehört hatte.

      „Ich weiß, Henning, dass man früher die Schweine mit Eicheln gefüttert hat und dass Wildschweine heute noch gern nach Eicheln graben. Ihr seht, mein Wissen über Eichen ist auch nicht vollständig. Es gibt sicherlich noch viel Unbekanntes, das man erforschen könnte. Ich werde euch am Ende der Stunde dazu einen Vorschlag machen“,

      versprach sie. Als das Stichwort ‚Eichel’ fiel, meldete sich Locke ununterbrochen.

      „Na, was hast du zum Thema ‚Eichel’ zu sagen?“,

      sollte sie jetzt darlegen.

      „Ich habe gehört, dass die Jungen da unten an ihrem Ding etwas haben, was man auch Eichel nennt, oder?“

      Sie schaute herausfordernd in die Runde und kicherte. Einige Kerle johlten kurz, hörten aber sofort wieder auf, weil sie auf die Antwort der Lehrerin lauerten.

      „Eigentlich müsstest du Bescheid wissen, Floriane. In der sechsten Klasse haben wir bereits über die Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau gesprochen. Das Ding da unten heißt Penis, und der vordere Teil wird wegen seiner Form Eichel genannt. Möglicherweise hast du da gefehlt oder nicht aufgepasst“,

      antwortete sie im sachlichen Ton. Locke errötete und senkte beschämt ihren Kopf. Sie schwieg. Die Blamage schien ihr unter die Haut gefahren zu sein. Mit einem Lächeln lenkte Frau Zacher das Gespräch auf die in Deutschland am meisten beheimatete Eichenart. Sie schrieb an die Tafel ‚Die Stieleiche‘ und darunter in Klammern ‚lat. Quercus robur'. Dann erklärte sie, dass dieser Baum wegen seiner Robustheit als Symbol für Stärke, Ausdauer und Standfestigkeit galt und gilt, daher auch die Bezeichnung ‚robur’; und dass es darüber auch deutsches Liedgut gäbe und dass er bereits im 12. Jahrhundert zum deutschen Wappenbaum erklärt wurde. Kaum Einer wusste darüber etwas. Ein Großteil davon interessierte sich vermutlich auch jetzt nicht für diese Tatsache. Davon ging ebenfalls die Lehrerin aus. Sie forderte deshalb im nächsten Stundenabschnitt von der Klasse, mittels Lehrbuch folgende Schwerpunkte herauszuarbeiten:

      -Kurze Beschreibung der Stieleiche

      -Verbreitungsgebiete in Deutschland

      -Nutzung früher und heute

      Die Aufgabe erwies sich nicht als besonders schwierig, weil im Buch sowieso nur das Wesentlichste stand. Die Mehrzahl bearbeitete schon den zweiten Punkt, als sich Meli meldete.

      „Frau Zacher, was ich nicht verstehe“,

      fragte sie,

      „wenn die Stieleiche eine typischen deutsche Eiche ist und noch dazu Symbolbaum der Deutschen, warum gibt es bis auf die ‚Alte Eiche' in der Werlaaue weit und breit keine Eichen?“

      „Das stimmt so nicht, in den Laubwäldern des nahen Kurlandes ist sie vereinzelt vertreten. Dass es hier keine Eichenwälder mehr gibt, hat einen Grund. Die Eiche galt bei den Germanen als Sitz des Donnergottes Donar und wurde als religiöser Baum verehrt. Im Zuge der Christianisierung ließ der ‚Heilige Bonifatius‘ als Apostel der Deutschen im Jahr 725 die so genannte Donareiche bei Fritzlar fällen, um den zu bekehrenden heidnischen Germanen zu beweisen, dass ihr Gott ohnmächtig sei und sie nicht schützen könne. Danach wurden noch viele Eichen gefällt, so dass man sie in manchen Regionen gar nicht oder nur selten antrifft.“

      Diese Antwort hatte keiner erwartet. Bei einigen erweckte sie deshalb Neugier und Interesse. Für Pit eröffnete sich eine neue Dimension. Er wollte sofort noch weitere Fragen stellen. Die Lehrerin blockte aber ab, ließ sich von Anne, Bingo und Fauli den Inhalt ihrer Ausarbeitungen vortragen, korrigierte kurz und ordnete an, zu Hause das Ganze noch einmal gründlich in Augenschein zu nehmen. Dann kündigte sie an, in der Projektwoche wäre es bestimmt von Bedeutung, wenn man zu dem von ihr geplanten Vorhaben ‚Alte Eiche' solide Grundkenntnisse zusammen trüge. Sie würde es selbst betreuen und dazu die entsprechenden Aufgaben im Schaukasten des Flures aushängen. Flori sollte als Klassensprecher Interessierte in einer Liste erfassen und diese bis Freitag bei ihr abliefern. Damit beendete sie die Stunde. Keiner maulte darüber, dass die Stunde bereits mit zwei Minuten über der Zeit lag.

      Henning von Schambach stürzte zur Klassentür und hielt Frau Zacher auf.

      „Zu Hause haben wir noch eine große Scheibe, die irgendjemand mal aus einem Eichenstamm geschnitten hat. Kann ich die zur Projektwoche mitbringen.“ „Selbstverständlich, damit kann man viele Dinge über den Baum erfahren.“

      „Bingo, das mach ich!“,

      lautete seine übliche Reaktion und öffnete ihr galant die Tür. Er quittierte alles, was er verstanden hatte oder seine Zustimmung fand, mit ‚Bingo’. Folgerichtig gab man ihn diesen Beinamen, den er auch widerspruchslos akzeptierte. Ansonsten forderte er nichts ein, was auf seine adlige Herkunft schließen ließ. Er trug ziemlich abgewetzte Jeans und zerschlissene Sportschuhe. Seine T-Shirts, oft genauso ausgewaschen und zerknittert wie die der anderen, deuteten eher auf eine ärmliche Abstammung. Seine natürliche Art kam bei Gleichaltrigen und Lehrern sehr gut an. Heimlich versuchten einige