Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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nicht mehr ernst genommen.“

      „Im Gegenteil, Oma“,

      echauffierte sich Pit,

      „diese Geschichten sind viel zu wertvoll und zu wichtig, als dass man sie totschweigen sollte. Du und auch Tante Käthe solltet sie aufschreiben oder jemandem erzählen, der sie aufschreibt. Bestimmt fällt euch noch eine weitere ein. Ich habe Zeit und würde sie gern hören.“

      Es wurde still. Pits Wunsch nach einer zweiten Geschichte hatte eine gewisse Betretenheit und Unsicherheit bei den Frauen ausgelöst. Es brauchte eine Weile, bis sich Tante Käthe schließlich aufraffte und sagte:

      „Eine Geschichte könnten wir dir ja noch erzählen. Sie beruht weitgehend auf Tatsachen, natürlich hat man im Laufe der Zeit auch etwas hinzu geflunkert.“

      „Welche meinst du?“,

      mischte sich Oma Gretel ein.

      „Na die von der Windmühle.“

      „Ja, bei der müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, die kannst du noch erzählen.“

      „Also“,

      begann Omas Freundin,

      „diese Geschichte beruht zum Teil auf Ereignissen, die im Kirchenbuch belegt sind. Es begann alles mit einem orkanartigen Sturm, der fünf Jahre nach dem Heraussägen eines dicken Astes aus der Eiche in der Gegend wütete. Der Müller benötigte ihn damals zur Reparatur seiner Mühle. Diesen Frevel hatte ihm der alte Baum lange Zeit nicht verziehen, doch nach fünf Jahren ließ er Milde walten und übernahm wieder sein altes Amt. Im 18. Jahrhundert - während ein Sturm in vielen Dörfern der Umgebung große Schäden anrichtete, machte er damals um Burgroda einen großen Bogen. Als Ursache vermutete man ein seltsames Rauschen der ‚Alten Eiche'. Es soll ihn zur Umkehr gezwungen haben, so sagen es die Annalen. In der Folgezeit lieferte sie auch wieder reichlich Eicheln, und die armen Tagelöhner des Dorfes konnten sich mit ihnen wie einst ein Schwein füttern. Danach blieb sogar das Hochwasser der Werla aus, das zuvor über Jahre die Ernten in der Flussaue vernichtete. Bis zum heutigen Tage hat es keine Überschwemmung mehr gegeben. Die Experten haben noch keine schlüssige Erklärung für dieses Phänomen gefunden. Die Älteren im Dorf sind nach wie vor davon überzeugt, dass es der ‚Alten Eiche' zuzuschreiben ist, die uns Schutz gewährt. Deine Großmutter und ich glauben das ebenfalls.“

      Pit lief ein Schauer über den Rücken. Jetzt ging es ihm nicht mehr um eine Geschichte, die aufgeschrieben werden sollte, er spürte, dass er einem Mysterium auf der Spur war, das den Dorfbewohnern über Jahrhunderte Respekt abverlangt und ihnen Angst eingeflößt hatte. Das schien nachzuwirken bis in die heutige Zeit, die als aufgeklärt und modern galt. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass man ihm ein winziges Stück dieses dunklen Geschehens offenbart hatte. Die gurgelnden Geräusche, die er vor kurzem bei seinem Sturz an der Eiche glaubte gehört zu haben, waren möglicherweise gar nicht trügerisch, sie mussten etwas mit der verschwiegenen Vergangenheit des Dorfes zu tun haben. Aber warum kam ausgerechnet er als derjenige infrage, den man damit konfrontierte? Er hatte schon einmal gehört, dass es Menschen gab, die einen siebten Sinn besaßen, und damit unbekannte Geschehnisse spüren oder voraus sehen konnten. Ausgerechnet er, der sich für naturwissenschaftlich aufgeklärt hielt, sollte doch gegen eine solche Fähigkeit immun sein. Oder? Pit wollte seine Überlegungen nicht ausufern lassen. Er stand auf, bedankte sich für die Einladung und den interessanten Nachmittag. Seine Oma drückte ihm noch eine Portion Fitzkuchen für Jule in die Hand, bevor er ging.

      Doch wer kann schon die Gedanken beherrschen, wenn sie erst einmal Besitz von einem ergriffen haben. Geistesabwesend lieferte er das Backwerk ab. Jetzt wollte er allein sein mit dem, was in seinem Kopf vorging und wie ein Bienenkorb zu summen begann. Doch die Einsamkeit in seiner Bude störte ihn plötzlich, hier konnte er nichts ordnen, nichts erklären. In letzter Minute fiel ihm noch ein, dass sich die Clique am Baggersee verabredet hatte. Bevor er losfuhr, versorgte er die quietschende Kette des Rades mit Öl. Eine Kleinigkeit mit großer Wirkung. Im Nu langte er am See an. Fauli und Anne vergnügten sich schon im Wasser. Sie spritzten und neckten sich, ein sicheres Zeichen, dass sich etwas zwischen den Beiden anbahnte. Meli stand am Rand und kühlte sich ab wie immer. Das machte sie stets vorschriftsmäßig, ließ sich auch von niemandem davon abbringen. Sie kehrte ihm den Rücken zu. Pit schaute nach ihr, ja er musterte sie unverhohlen. Sie bot ein unwiderstehliches Bild. Er blickte auf ein außergewöhnlich hübsches Mädchen, gut gebaut und für ihr Alter bereits mit allen Attributen einer heranreifenden Frau ausgestattet. In ihrem Bikini sah sie noch verlockender aus. Er hatte sie noch nie auf diese Weise so intensiv betrachtet. Plötzlich spürte er, wie sein Blut nach oben schoss, alle belastenden Gedanken verdrängte, seinen Kopf in einen hochroten, glühenden Ball verwandelte und nur für zwei Überlegungen Platz ließ. Erstens:

      „Ich mag sie, dieses göttliche Wesen“,

      eine Formulierung, die ihn selbst überraschte und zweitens:

      „Wie werde ich auf schnellstem Wege meine rote Birne los?“

      Für die zweite gab es eine rasche Lösung. Er sprang ins Wasser, das kühlte und verhalf ihm zu einer normalen Gesichtsfarbe. Noch schien es so, als ob Meli ihn nicht bemerken würde. Er schwamm ein Stück, täuschte Gleichgültigkeit vor, registrierte aber unter höchster Anspannung, dass sie vorsichtig ins Wasser ging und in anderer Richtung davonschwamm. Enttäuscht begab er sich zurück ans Ufer. Dicki erschien. Er setzte sich ins Gras und verstellte seine Taucherbrille, danach montierte er seine Schwimmflossen wie zwei große Paddel an die Füße.

      „Will was gegen meine Pfunde tun“,

      begrüßte er Pit. Der musste grinsen. So wie sich sein Kumpel aufgerüstet hatte, hätte er besser in ein Panoptikum gepasst. Er unterließ eine höhnische Bemerkung. Dicki war als Freund für seine theatralischen Auftritte bekannt. Er knurrte nur:

      „Gute Idee, Dicki.“

      Stinki nahte im Laufschritt, rief „Hi“ herüber, stürzte sich sofort ins Wasser und schwamm zu Anne und Fauli. Dicki, inzwischen fertig, stapfte wie ein lahmer Frosch ins Wasser. Dort tauchte er nahe dem Ufer hin und her. Plötzlich schrie er auf, riss Schnorchel und Brille herunter.

      „Pit, hier sind eben zwei Riesenhechte vorbei gekommen, Man, waren das große Viecher.“

      Er flüchtete hastig ins Trockene. Kurz darauf tauchten Stinki und Fauli auf, lachten lauthals und klatschten sich auf die Bäuche.

      „Ihr Blödmänner!“,

      maulte der so Blamierte beleidigt und befreite sich von seinen Schwimmflossen. Dann legte er sich ins Gras, vom Baden hatte er genug. Anne und Meli, die auf der Sandbank standen, durch das Schreien und Lachen neugierig geworden, winkten den Jungen im Wasser zu. Ohne Absprache begannen die Drei ein Wettschwimmen. Pit, der sich etwas abseits befand, holte schnell auf. Die Mädchen unterstützten den Kampf lautstark mit Temporufen. Er merkte, dass Stinki wieder eine Nasenlänge vor ihm lag. Vom Ehrgeiz getrieben, mobilisierte er alle Kräfte. Meli sollte sehen, was in ihm steckte. Zentimeter um Zentimeter holte er auf. Jetzt lagen noch ca. zwanzig Meter vor ihnen. Pit kam fast gleichzeitig mit Stinki an. Anne hob den Arm;

      „Stinki hat gesiegt“,

      jubelte sie,

      „und Fauli, na ja, der bekommt Bronze.“

      „Einspruch! Ich habe genau gesehen, dass Pit eine Armlänge vor Stinki lag, er ist der Erste. Was Recht ist, muss Recht bleiben“,

      mischte sich Meli ein. Pit schüttelte sich das Wasser aus den Haaren, um überhaupt etwas zu tun, das seine Verlegenheit übertünchte.

      „Ist doch egal, war ja kein Wettkampf“,

      murmelte er wie abwesend.

      „Das ist nicht egal“,

      widersprach sie,

      „das gebietet einfach die sportliche Fairness.“

      Meli stritt für ihn! Das hatte er nicht erwartet! Noch wusste er nicht, wie er reagieren sollte. Sie kam auf ihn zu.

      „Was war denn da vorhin