Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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den er einem Mädchen schenkte. Noch fiel er entsprechend unbeholfen und linkisch aus, aber er spürte, dass sie ihn begehrte. Auch ihre Erwiderung gelang nur zaghaft, aber er spürte bereits die versteckte Hingabe. „Komm, wir tun Dicki den Gefallen und hören uns seine Neuigkeiten an!“,

      schlug sie vor,

      „vielleicht ist es wirklich interessant, was er im Internet gefunden hat.“

      Nur widerwillig ließ sich Pit überreden, der Kuss hatte ihm jede Lust auf Neuigkeiten solcher Art abgekauft.

      Gewöhnlich hockten sie am Rand der Kuhle. Früher holte man hier Sand, jetzt lag auf dem Grund ein wirres Durcheinander von kleinen dürren Zweigen, Laub und Resten von Fruchtständen der Eiche aus dem Vorjahr. Die riesige Krone des Baumes überschattete den Platz. Alle in der Clique liebten dieses angenehme Fleckchen. Sie trafen sich oft an dieser Stelle, jeder hatte seinen Platz, man quatschte und heckte manchen Streich aus. Auch heute sollte es so sein. Bis auf Dicki befanden sich die anderen auf den angestammten Plätzen. Pit saß jetzt näher an Meli, blieb aber noch auf Distanz, keiner sollte merken, dass zwischen ihnen etwas lief. Fauli, der lieber mit Anne gegangen wäre, drängte:

      „Leg endlich los, Dicki! Du verschwendest wieder einmal unsere Zeit!“

      Der überhörte das Drängeln und hockte sich wichtigtuerisch in die Mitte der Kuhle. Jetzt sah er aus wie ein gluckendes Huhn. Diese Pose nahm er oft ein, wenn er etwas zu verkünden gedachte. Fauli fauchte ihn erneut an.

      „Wenn du jetzt nicht loslegst, haue ich ab!“

      „Also“,

      begann Dicki endlich,

      „ich habe im Internet Folgendes gefunden“.

      Mit diesem Standardsatz legte er meistens los, auch wenn er danach oft ganz Banales von sich gab.

      „Komm auf den Punkt!“,

      herrschte ihn nun auch Meli an, die ungeduldig wurde. Fast beleidigt, polterte er schließlich los:

      „Es ist eine Geschichte über Eichen, sie klingt mehr nach einem Märchen, scheint aber wahr zu sein.“

      Bis auf Pit schenkten ihm jetzt die anderen halbherzig ihr Gehör. Der wandelte auf geistigen Abwegen und malte sich ein Zukunftsbild mit Meli. Dickis Worte schwirrten an ihm vorüber. Die Eichen, so dozierte dieser bedeutungsvoll, wären zu allen Zeiten heilige Bäume gewesen. In den alten Religionen hätte man sie oft als Sitz von Göttern und Zauberern verehrt und gefürchtet. Unter ihren riesigen Wurzeln sollen Dämonen und Kobolde ihr Unwesen getrieben haben, die je nach Lust und Laune die Menschen zwickten, ihnen schadeten, aber sie auch mit Wohltaten überhäuften. Als Götterbaum sei sie bereits bei den alten Griechen zu finden. Sie weihten die Eiche dem Göttervater Zeus. Da gäbe es auch ein Orakel. Jetzt staunte Meli plötzlich über Dickis Wissen. Sie hörte ihm interessiert zu, während Pit sich immer noch im Gefängnis seines Liebestaumels befand.

      „Los, mach zu! Das ist ja mal richtig spannend!“,

      stachelte sie seine aufkommende Mitteilungsfreude an.

      „Alle Einzelheiten weiß ich nicht mehr so genau“,

      fuhr er euphorisch dort,

      „aber die sind auch nicht so bedeutungsvoll wie das Weitere.“

      Wahllos kam er von den Griechen auf die Römer und dann auf die Kelten zu sprechen, nur zum angekündigten Orakel sagte er nichts. Mit ein wenig Phantasie ordnete Meli den Wirrwarr. Die Römer hatten die Eiche Jupiter, ihrem höchsten Gott, gewidmet. Die Kelten dagegen befragten das Eichenlaub, nutzten es für kultische Handlungen, das hätte sich teilweise bis heute erhalten. Wo? - dazu sagte Dicki wieder nichts, vielmehr brachte er das Wort „Druide“ ins Spiel. Das sollte die Bezeichnung für ihre Priester gewesen sein und von dem keltischen Wort „duir“ stammen, was in deren Sprache so viel wie Eiche bedeute. Plötzlich landete er bei den Germanen, die wähnten in Eichen den Sitz des Donnergottes Donar. Bei ihnen gäbe es auch „Druden“, die aber nichts mit den keltischen „Druiden“ gemein hätten. Bei ihnen würde es sich vielmehr um weibliche, göttliche Wesen handeln, die sich von Zeit zu Zeit in den Baumkronen aufhielten und mit ihrem Treiben die Früchte des Baumes beseelen sollten. Die Eichel wurde deshalb häufig von den Menschen zur Abwehr des Bösen oder zum Erfüllen von Wünschen als Amulett getragen. Die Zahl Fünf spiele dabei eine große Rolle. Beim Erwähnen dieser Zahl schreckte Pit plötzlich auf und wurde hellwach. Wie ein Blitz schoss er in die Realität zurück. Ob er sich je wieder trauen würde, Meli zu küssen, darüber war er sich jetzt nicht mehr sicher. Ihr auffälliges Interesse an Dickis Geschwafel ließ ihn unerwartet zweifeln. Sie kam ihm auf einmal so unnahbar vor. Sein Problem mit der Fünf versprach Ablenkung.

      „Was ist mit der Fünf?“,

      fuhr er begierig in Dickis Erzählung.

      „Was interessiert dich auf einmal die Fünf, hast doch bisher kaum zugehört?“, entgegnete der erstaunt und auch ein wenig beleidigt.

      „Hör zu, dann wirst du es noch früh genug erfahren!“,

      moserte er ihn an, bevor er seinen Vortrag fortsetzte.

      Plätze in Eichelhainen oder auch unter Eichen wären bei den Griechen, Römern, Kelten und den Germanen allesamt besondere, ja heilige Orte gewesen. Man nutzte sie zur Durchführung kultischer Rituale und als Orte der Rechtsprechung. Auch wenn ein Bann über jemanden verhängt werden sollte, fanden sich die Richter auf solchen Plätzen zur Urteilsfindung ein. Bei Beratungen orientierte man sich häufig am Rauschen der Blätter, flocht das in die Entscheidungen mit ein. Die Germanen nannten ihre Beratungen „Thing“, so wie man heute in skandinavischen Ländern immer noch die Parlamente bezeichnen würde.

      Über die aufgeworfenen Fragen ließ er sich mit keiner Silbe aus. Weder auf das Orakel noch auf die Fünf ging er ein. Stinki interessierte das sowieso weniger. Er fand das Vorgetragene bereits phänomenal.

      „Du musst das mal aufschreiben, Dicki, für das Eichenprojekt an der Schule!“

      Der winkte ab.

      „Wozu gibt es Drucker?“,

      machte er wieder auf wichtig und ergänzte: „Ich könnte euch noch mehr erzählen, habe aber keine Lust mehr.“

      Meli nahm ihm das übel.

      „Erst machst du uns neugierig, lässt Wichtiges offen und brichst plötzlich ab. Das ist unfair. Ich hatte mit Spannung auf eine abgeschlossene und vollständige Darstellung gehofft und nicht auf diese Halbheiten.“

      Jetzt saß er in der Klemme. Um den Vorwurf etwas zu entschärfen, fügte er schnell noch, nach seiner Meinung etwas besonders Wichtiges, hinzu.

      „Übrigens ist die Eiche der Baum der Deutschen. Darüber gibt es eine Unmenge von Geschichten.“

      Auch hier blieb er nur bei der Erwähnung eines Faktes. Warum und weshalb das so ist, darüber verlor er kein Wort, oder er wusste dazu nichts. Wie meist in solchen Situationen raffte er seine Siebensachen zusammen und erklärte den „Thing“ für beendet. Dann ging er, in der Ferne tauchte das Auto der Bäckerei auf.

      „So ein Spinner!“,

      empörte sich Fauli.

      „Wäre ich doch lieber gleich mit Anne gegangen.“

      Stinki befand, dass man selber noch Nachforschungen betreiben sollte. Dickis Geschichten könnte man ja als Hinweise und Tipps betrachten. Meli stimmte der Überlegung zu. In Pits Kopf geisterte immer noch die Fünf herum, er dachte an die Geschichte von seiner Großmutter und wandte sich an die Anderen:

      „Man müsste mal rauskriegen, was der Alfons Meyer so alles über die ‚Alte Eiche' herausgefunden hat, der wusste Bescheid, auch das mit der Fünf.“

      Nach einer kurzen Pause stieß er Stinki an.

      „Ihr habt doch von ihm das Haus bekommen, vielleicht gibt es noch Hinterlassenschaften, du musst unbedingt mal nachgucken!“

      Der winkte ab und wechselte das Thema.