Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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anfangs stockend, dann immer freier, schließlich so, dass alle schallend lachten. Dicki, der das Gelächter von der Sandbank hörte, wusste sofort, dass es ihm galt. Noch mehr beleidigt, verzog er sich hinter einem Busch. Die fröhliche Ungezwungenheit stachelte jetzt den Übermut der Fünf auf der Sandbank an. Jeder spritzte jeden mit Wasser oder tauchte ihn unter. Pit machte einen Kopfstand, er fühlte sich leicht und froh wie selten. Plötzlich merkte er, wie ihn jemand an den Beinen festhielt. Zappelnd wollte er sich befreien und erwischte einen Fuß. Er zog ihn zu sich. Dieser Jemand verlor plötzlich seinen Stand, fiel hin und ruderte neben ihm im Wasser. Er zog weiter. Nach dem Fuß folgte ein Bein. Arme umschlangen ihn, hielten ihn fest. Jetzt spürte er, es handelte sich um Meli, die ihn umklammerte. Nicht ängstlich, vielmehr, um ihn festzuhalten. Die Luft wurde knapp. Gemeinsam tauchten sie auf. Sie lagen sich immer noch in den Armen. Was für ein wunderbares Gefühl! Pit hätte vor Glück schreien können, alle Welt teilhaben lassen. Sie schaute ihn lächelnd an, ein Lächeln, so tief und unergründlich, wie später noch so oft. Dann löste sie sich sanft aus seinen Armen. Entrückt und starr blieb er stehen.

      „Komm, schwimmen wir zurück!“,

      sagte sie leise und war schon unterwegs. Immer noch benommen, folgte er ihr. Es fühlte sich an, als ob sie ihn mit einem unsichtbaren Band hinterher ziehen würde. Er merkte nicht, was die anderen neben ihm quatschten. Erst am Ufer kam er langsam zur Besinnung. Doch auch hier blieb ihm das eben Geschehene immer noch ein Rätsel.

      Dicki erschien, umgezogen, mit den Utensilien seiner Schmierenkomödie bereits im Beutel. Fauli machte sich über ihn lustig.

      „Kommst hierher wie der größte Taucher aller Zeiten und spielst danach die beleidigte Leberwurst. Von mir aus brauchst du nicht abzuhauen.“

      Mit einer bittersüßen Miene ließ ihn der so Verhöhnte abblitzen und wollte gehen.

      „Bleib doch!“,

      forderte jetzt auch Meli, und der Rest nickte zustimmend.

      „Aber nur dir zuliebe, Meli. Die anderen warne ich vor einer Wiederholung.“

      Den drohenden Unterton nahm aber niemand ernst. Dicki gehörte nicht zu den nachtragenden Typen. Versöhnlich packte er seine Liegematte aus und machte sich lang. Die Mädchen saßen bereits auf ihren ausgebreiteten Decken. Fauli pflanzte sich sofort neben Anne, Stinki bat Dicki um ein Plätzchen, nur Pit stand unschlüssig rum.

      „Setz dich doch zu mir, oder traust du dich nicht?“,

      rief ihm Meli zu. Wieder errötete er, nur diesmal konnte er ihn nicht mit Wasser kühlen. Er drehte sich weg und hauchte:

      „Danke.“

      Dann ließ er sich auf dem äußersten Rand ihrer Decke nieder, obwohl sie die halbe Liegefläche frei gemacht hatte. Und wieder lächelte sie. Noch vor einer Woche hätte er sich nicht geniert, aber jetzt zersprang sein Herz fast vor Aufregung. Er wusste mit der Situation nichts anzufangen. Nur flüchtig registrierte er ihren unergründlichen Gesichtsausdruck, auch der entsprach nicht dem sonstigen. Milde, Zuneigung, Nachsicht, Opferbereitschaft, vielleicht auch Liebe und Hingabe hätte man herauslesen können, wenn er zu einer Deutung fähig gewesen wäre. Aber er konnte es nicht, denn der wummernde Herzschlag zertrümmerte im Moment jegliche Art solcher Gedanken. Er musterte zunächst Stinki, der bot Ablenkung. Sein muskulöser Körper glänzte in der Sonne. Jetzt, wo er im Wasser seinen Schweißgeruch verloren hatte, bot er eine Augenweide für jedes Mädchen. Warum hatte das noch keine bemerkt? Bescheiden und ehrlich war er schon immer gewesen, zu Hause ersetzte er oft seinen Vater, wenn der betrunken die Familie im Stich ließ. Sein Freund ertrug diesen Zustand wortkarg, er verhielt sich nur selten fröhlich. Pit mochte ihn von allen am meisten. Neuerdings störte ihn sein Spitzname. „Stinki“ - der klang beleidigend und entwürdigend, obwohl er ihn widerspruchslos akzeptiert hatte und auch darauf hörte. Diese Gedanken brachten etwas Ordnung in sein aufgewühltes Innere.

      Pit nahm sich vor, mit Meli darüber zu sprechen. Sie nannte ihn sowieso meistens Reinhard, wie er richtig hieß. Plötzlich ebbte die Aufregung ab. Sein Kopf wurde klar so wie früher. Auch die Röte verschwand. Wieder mutiger, rückte er auf der Decke ein Stück weiter. Fauli hatte ihn die ganze Zeit im Visier und grinste hintergründig. Pit kannte den Blick und wusste, dass bald ein flapsiger Spruch folgen würde. Er ging selbst zum Angriff über:

      „Warum bist du hier, Fauli, ich denke du hast Stubenarrest?“

      „Ich habe die Formeln gelernt, war ein Megastress. Danach hat mich meine Mutter abgehört. Sie hat keinen Patzer entdeckt, deshalb hat sie mich ziehen lassen.“ Meist formulierte er solche Antworten etwas derber. Ob es an Anne lag, dass er sich heute zusammen nahm? Jedenfalls stellte es Pit mit Genugtuung fest. Oft genug brachte Fauli die Clique oder andere Freunde mit seinen Grobheiten in Misskredit.

      „Dann ist wohl dein Hausarrest vorbei?“,

      freute sich Anne mit fragender Miene.

      „Weiß nicht?“,

      knurrte er und griff nach ihrer Hand. Pit wunderte sich über den vertrauten Umgang der Beiden, das machte ihn auch beherzter. Er streckte sich neben Meli aus, die jetzt auf dem Bauch ganz dicht an seiner Seite lag. Ihre Wärme, den Duft ihres Haares, den Schlag ihres Herzens, ihre Atemzüge, all das glaubte er auf einmal zu spüren. Er schloss die Augen und träumte. Seine Sinne verwoben alle Eindrücke, die ihm so unerwartet zuteil wurden. Sie mischten sich mit seinen innersten Wünschen. Gleitend entrückte er allem Irdischen, noch versank es im Nebel, was er zu sehen glaubte, aber es entwickelte sich langsam zu einem wunderbaren Bild. Er drehte sich, dabei bemerkte er Melis Blick. Sie schaute ihn an. Verwirrt wendete er sich wieder ab. Die nächste Viertelstunde verging schweigend. Die unbequeme Lage, die er bis zur Unerträglichkeit auszuhalten versuchte, zwang ihn aber erneut, sich zu wenden. Wieder kreuzten sich seine und ihre Blicke. Diesmal blieb er einige Sekunden an ihren Augen haften. Sie besaß wunderschöne dunkelbraune Augen, die ein Feuer in sich trugen, das Wärme ausstrahlte, aber nicht nur das, auch eine unergründliche Sehnsucht kam mit einem Leuchten herüber und brachte Glanz auf ihr Gesicht. Ihr Blick fesselte ihn. So hatte er Meli noch nie erlebt, ihre Augen noch nie so gesehen. Kurz danach senkte er wie geblendet seine Lider, er fühlte nicht die Kraft, diesem völlig anderen Gesichtsausdruck länger zu widerstehen, noch nicht. In seinem Kopf wirbelte es, versetzte ihn in Trance, als ob er unter Drogen stehen würde. Dicki zerstörte schlagartig alles, was Pit in seiner Entrückung empfand. Offenbar plagte ihn die Langweile. „Ich habe im Internet etwas über Eichen rausgekriegt. Vielleicht interessiert das jemanden unter euch?“,

      platzte er in die Runde.

      „Moment noch“,

      bremste Fauli seinen Mitteilungsdrang. Er bemühte sich gerade, Anne zu knutschen. Auch Pit wurde stinksauer. Unter anderen Umständen wäre er bereit gewesen, Dickis Gerede anzuhören. Aber ausgerechnet jetzt musste er mit seinem Internetgefasel diesen einmaligen Traum kaputt machen. Ihm lag eine grobe Zurechtweisung auf den Lippen, als sich ein Finger auf seinen Mund legte. Meli schüttelte fast unmerklich den Kopf und drückte seine Hand. Leise, aber bestimmt sagte sie:

      „Erzähl uns das später, Dicki, ich glaube, wir müssen nach Hause“,

      und wieder versanken ihre Blicke in Pits Augen. Dessen Zorn zerschmolz wie Wachs in der Sonne, alles um ihn herum war ihm plötzlich egal, nur eines nicht. Dieses Wesen neben ihm hatte ihn erobert, dafür würde er alles hergeben, alles opfern. Selig über so viel Glück, wünschte er sich nur eins, alle anderen mögen verschwinden. Dicki blieb hartnäckig. So verhielt er sich meistens, wenn er glaubte, etwas Wichtiges zu wissen. „Ich gehe jetzt zur ‚Alten Eiche', hier hört mir ja doch keiner zu. Offenbar sind jetzt andere Dinge interessanter. Werde allein der Sache auf den Grund gehen.“

      Die letzte Bemerkung weckte natürlich Neugier, doch noch reagierte niemand. Er ging, und Stinki folgte ihm. Anne kreischte plötzlich:

      „Ich muss heim, sonst bekomme ich Ärger mit den vorsintflutlichen Ansichten meiner Mutter. Ihr kennt sie ja.“

      Sie sprang auf. Fauli folgte ihr zunächst, bog aber dann ab.

      „Gehe zu Dicki!“,

      rief