Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


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legte er jede Einzelheit, jede Idee dar, die sie in der Gemeinde abgesprochen hatten. Pit kam sich vor wie Einer, der ihre Absichten begutachten und bewerten sollte. Er hörte aufmerksam zu und schwieg. Das hatte ihm einmal sein Großvater eingebläut.

      „Dadurch gewinnst du die Achtung und den Respekt der Menschen, sie werden dir vertrauen“,

      hatte er damals gesagt, als er sich bei einem Gespräch zwischen Erwachsenen als kleiner Naseweis einmischte. Jetzt erfuhr er mit dieser Lebensweisheit alles, was nur einige Wenige wussten. Auch Freisitze mit einer Überdachung sollten entstehen, die zum Verweilen animieren. Man wollte die Radwanderer dort auch über das Dorf, seine Umgebung und die Sehenswürdigkeiten informieren. So eine Informationstafel könnte beispielsweise die Schule gestalten. Sein Vater redete plötzlich mit einer Begeisterung, als wäre alles schon unter Dach und Fach. An bestimmten Feiertagen hätte man an eine Bewirtschaftung gedacht, die die Radwanderer den Dorfbewohnern näher bringen könnte. Um den Platz und die Mühle in Ordnung zu halten, wolle man eine ABM-Stelle einrichten. Derjenige, der die Stelle bekäme, solle auf einen Lehrgang für Windmüller geschickt werden. Damit entstünde möglicherweise eine dauerhafte Arbeitsstelle.

      „Und wie wollt ihr das finanzieren?“

      Pit brach mit dieser Zwischenfrage seinen Grundsatz. Sein Vater schien ihm aber diesmal sichtlich dankbar zu sein, denn das stellte offensichtlich das größte Problem dar. Man hätte überlegt, einen Kredit zu nehmen, aber die Idee gleich wieder verworfen. Danach wären Sponsoren und Fördergelder ins Gespräch gekommen, doch dazu sei ein Verein erforderlich, den es nicht gab. Man brauchte zunächst ein strategisches Konzept, so hatte man sich geeinigt, um das Vorhaben nicht gleich am Anfang im Ideenchaos zu beerdigen. Pit hörte aufmerksam zu. Er werde nachdenken, versprach er, einen Einfall hätte er schon, der zweite kam ihm nachts im Traum. Das Bild, das sich dabei in seinem Kopf verhakte, war nicht neu. Er musste es im Fernsehen beim abendlichen Sandmann aufgeschnappt haben. Doch das lag schon lange zurück. Jetzt trug alles realistische Züge.

      Eine Windmühle, so groß wie der Feuerwehrturm, drehte ihre Flügel ächzend im Wind. Der Müller stand mit einer weißen Zipfelmütze und zu kurz geratener grauer Hose vor dem Mühleneingang und spähte in die Ferne. Mit seinen hölzernen Pantoffeln trat er polternd auf die Bretter des Podestes vor der Tür, als wolle er jemanden zur Eile antreiben. Sein kurzer heller, Mehl verstaubter Kittel flatterte im Wind, so wie üblich bei einem Windmüller.

      Das Traumbild präsentierte etwas Vertrautes. Es betraf nicht die Mühle, die hatte er ja nur aus dem Fernsehen entliehen, es lag am Gesicht des Müllers, das ihm bekannt vorkam. Er überlegte nach dem Hirngespinst sehr lange, zu welchem Dorfbewohner es passen könnte. Früh unter der Dusche fiel es ihm ein. Es handelte sich um Herrn Katzmann, Stinkis Vater. Aber warum ausgerechnet er, der durch seine Trunksucht all seine guten Eigenschaften in Misskredit brachte? Pit überlegte erneut: Er konnte hart arbeiten, wenn er nicht trank, verstand mit Holz umzugehen und er hätte endlich eine dauerhafte Aufgabe, die seinen Fähigkeiten am besten entsprach. Vielleicht würde er dann dem Alkohol abschwören, wenn man ihm diese Chance böte. Freudig begab er sich an den Frühstückstisch, aber leider fehlte sein Vater. Trotzdem ließ er sich nicht entmutigen. Die zweite Idee wollte er mit seiner Mutter besprechen. Er hoffte insgeheim, gleichzeitig ihre Vorbehalte gegen das Windmühlenprojekt auszuräumen. Sein Großvater in Vorbach, also der Vater seiner Mutter, besaß dort eine Zimmerei. Auch sein Onkel, Mutters Bruder, war gelernter Zimmermann. Geschickt brachte er seine Überlegungen bei ihr unter. Am Ende seiner Bemühungen versprach sie, bei den Großeltern anzurufen, um die Interessenlage auszukundschaften, dabei schwante ihm etwas. Sein ungewöhnliches Verhalten von gestern wirkte offensichtlich ansteckend. Dieser Eingebung oder seiner Stimmung folgend - er wurde nämlich erneut von Melis Liebeszauber eingefangen - machte sich Pit übertrieben nützlich, holte sogar für seine Schwester die Nusscreme, die sie nörgelnd vermisste. Das fiel natürlich auf und hatte zur Folge, dass das Frühstück seit langem wieder einmal harmonisch verlief. Als er sich auf den Weg zur Schule machte, sah nicht nur seine Welt rosarot aus, sondern auch sein Zimmer zeigte erste Ansätze von Ordnung. Seine Mutter konnte ihr Schmunzeln nicht unterdrücken und zwinkerte ihm zum Abschied zu. Im Wegfahren hörte er noch, wie Jule sie erneut mit ihrer Neugier traktierte. Sein Name kam dabei öfters vor.

      Ungewöhnliche Ereignisse

      Auf der Landstraße begegnete er Frau Beierlein, die Mia wie üblich zur Schule brachte. Meist kam kurz darauf auch der Schulbus. Pit bog auf den kürzeren Feldweg ein, er wollte vor den Insassen an der Schule sein. Am Fahrradständer herrschte gähnende Leere, als er eintraf. Mit einem Mal fühlte er sich unsicher. Wie sollte er Meli begegnen, wenn sie im Pulk der Fahrschüler erschien? Er ging zu Mia, die schon bereits allein herumstand. Seine Ungeduld und Spannung legte sich etwas. Gewöhnlich kam Meli im Gefolge von Stinki, Dicki und Fauli. So geschah es auch heute. Mit dem üblichen „Hallo“ fiel die Begrüßung wie immer aus, nur Meli stellte sich diesmal ziemlich dicht neben ihn. Sie schaute ihn zwar nicht an, aber er spürte, wie sie seine Hand berührte und drückte. Es fiel Niemandem auf, weil jeder noch schnell irgendwelche Neuigkeiten vor dem Unterricht loswerden wollte. Auf einmal drang schallendes Gelächter zu ihnen herüber. Rocky und seine Gang standen wie immer vor dem Schulhof, rauchten und lästerten. Selbst das Klingelzeichen rührte sie nicht, sie blieben stehen, starrten hinter der Menge her, die sich zur Schulpforte bewegte. Dort staute es. Heute regelte nicht die Frühaufsicht das morgendliche Chaos, sondern der Hausmeister stand breitbeinig vor der Tür und ließ niemanden durch. Kurz darauf erschienen alle Lehrer, an der Spitze Rektor Hirschwald. Pit hielt im Gedränge Melis Hand. Ihn störte es nicht, dass es sich vor dem Eingang stockte. Sollten sie doch alle nach vorne gaffen, da konnte er sie unbemerkt festhalten. Die ersten fragenden Blicke machten die Runde. Was war los? Die zunehmende Neugier wirkte ansteckend. Pit und Meli konnten sich ihr nicht entziehen.

      „Wir müssen weiter vor, damit wir rauskriegen, was los ist“,

      schlug sie vor und zog ihn durch das ratlose Durcheinander. Der Rektor hob die Arme, es wurde schlagartig still.

      „Ein Vorfall“,

      begann er, an die Schüler gewandt,

      „zwingt uns, die oberen Klassenräume für zwei Stunden zu sperren. Die unteren werden gerade kontrolliert und stehen wahrscheinlich ab der zweiten Stunde wieder zur Verfügung. Die Lehrer bitte ich zu einer kurzen Besprechung ins Konferenzzimmer, und euch fordere ich auf, Disziplin zu wahren, bis euch die Klassenlehrer abholen. Sie werden euch über den weiteren Ablauf des Unterrichts informieren.“

      Das sonst entstehende Gejohle bei der Verkündung von Freistunden blieb aus. Stattdessen entwickelte sich eine Diskussion, gespickt mit Mutmaßungen und Verdächtigungen. Sie bekam neue Nahrung, als ein Trupp Reinigungskräfte mit seinen Gerätschaften und kurz darauf die Polizei erschien. Jetzt erreichte das allgemeine Gezischel ihren Gipfel. Mia zog Pit zur Seite und mit ihm Meli, die ihn festhielt. Sie schaute unsicher auf Sitznachbarin.

      „Eigentlich wollte ich es nur dir sagen“,

      flüsterte sie ängstlich.

      „Alles, was du mir sagst, kann auch Meli wissen. Du weißt, dass du uns vertrauen kannst.“

      Trotzdem stellte sie sich auf die Zehenspitzen und raunte ihm ins Ohr:

      „Ich habe vorhin Rocky gesehen, wie er durch die Hintertür ins Schulhaus geschlichen ist, die anderen haben Schmiere gestanden. Ich hoffe, du verpetzt mich nicht“,

      bat sie fast flehend, aber mit erleichtertem Gesicht. Pit nickte, ihm blieb keine Zeit, Frau Helmer, die Konrektorin, kam heraus:

      „Erik Hellmer und David Sauer melden sich sofort im Sekretariat!“

      Alle starrten wie auf Befehl in Richtung der Genannten. Sie, die größten Rabauken und Großmäuler der Schule, verhielten sich heute verdächtig ruhig. Noch wirkte ihr gestriger Auftritt in der Sportstunde nach. Fast zögerlich bahnten sie sich den Weg durch die herumstehende Menge, viel sagende Blicke begleiteten sie. Einige flüsterten miteinander, es kamen auch Schmährufe. Gespannte Stille trat erst ein, als sie im Schulhaus verschwanden. Schon kurze Zeit später erschienen sie erneut, aber in Begleitung