Hans Günter Hess

Pit Summerby und die Magie des Pentagramms


Скачать книгу

schadenfroh auf Giuseppe. Jetzt konnte er beweisen, was er drauf hatte, dachten sie wohl. Auch Pit dachte das, aber Schadenfreude stellte sich nicht ein. Ihn quälte vielmehr die Tatsache, dass er nicht sicher war, ob er die Aufgabe fehlerfrei gelöst hatte. Schließlich wollte er einmal Techniker werden, da musste man mehr als das ‚Kleine Einmaleins' beherrschen. Erschrocken sprang er auf, als ihn Berg aufforderte, die Formeln in der üblichen Ausdrucksweise an die Tafel zu schreiben.

      „Aber bitte leserlich!“,

      schob er hinterher, der Pits liederliche Schrift nur zu gut kannte. Noch während er schrieb, musste die restliche Klasse zweistellige Zahlen so zerlegen, dass sie durch eine Summe oder Differenz aus leicht berechenbaren Zahlen ersetzt werden konnten, beispielsweise 13 durch 10 + 3 oder 17 durch 20 - 3. Das begriffen die Meisten auch sehr schnell, sogar Locke zeigte einen Anflug von Interessiertheit. Meli bekam den Auftrag, an der linken Tafelseite die aufgesagten Beispiele anschreiben. Sie schielte zu Pit rüber, der sich immer noch abmühte, die Formeln halbwegs lesbar auf der anderen Seite zu platzieren. Er spürte ihren Blick. Plötzlich wurde er immer aufgeregter und bekam einen roten Kopf. Das fehlte gerade noch in dieser Situation, ärgerte er sich und wurde total unsicher. Prompt setzte er ein falsches Rechenzeichen ein. Meli schrieb dagegen ruhig und sauber so ziemlich alles auf, was Berg den Schülern entlockte. Nach wie vor hatte sie aber auch Pit im Auge. Als sie seinen Fehler bemerkte, huschte sie zu ihm hin, korrigierte das Zeichen und lief schnell wieder zurück. Berg entging die heimliche Hilfe, nur die Klasse wurde Zeuge dieser kleinen Begebenheit. Pit versank fast vor Scham, er glühte förmlich. Obwohl er seine Aufgabe erledigt hatte, besserte er an einigen Stellen scheinbar schlecht Lesbares aus.

      „Nur nicht umdrehen",

      hämmerte es in seinem Schädel,

      „sonst wissen sofort alle, dass ich mit Meli was habe".

      Die saß aber schon längst wieder an ihrem Platz, als er noch immer vor der Tafel verharrte.

      „Willst wohl da vorne Wurzeln schlagen?“,

      hörte er Bergs ironische Stimme, die ihm unwirklich, wie aus weiter Ferne, auf sein Verweilen aufmerksam machte. Unwillkürlich fasste er sich ans Auge, täuschte ein Staubkorn vor. So konnte er sein Gesicht halbwegs verdecken. Beklemmt schlich er auf seinen Platz. Niemand beachtete ihn, nur Fauli fragte nach seinem Augenproblem und grinste. Noch immer in Gefühlsqualen, nahm er das übrige Geschehen im Klassenraum nicht wahr. Dort bemühte man sich schon, die Quadrate einiger Zahlen mit Hilfe der Zerlegung und der Binomischen Formeln im Kopf zu bestimmen. Das klappte recht gut, und der Eifer einiger wirkte ansteckend. Besonders Dicki brüstete sich, immer als Erster das richtige Ergebnis anbieten zu können, bis er aufgefordert wurde, sein Rechentalent unter Beweis zu stellen. Jetzt saß er in der Falle, denn wie so oft hatte er die Lösungen mit dem versteckten Rechner in seiner Federtasche ermittelt. Stotternd versuchte er, sich zu rechtfertigen. Seine Aufgabe sei besonders schwierig, schwerer als alle bisherigen, stammelte er zusammenhanglos. Aber Berg entlarvte seinen Betrug und drohte mit Konsequenzen. Danach schwieg er beleidigt. Pit wusste, dass er jetzt aus Frust in der nachfolgenden Pause die ganze Tüte mit dem süßen Backwerk in sich hineinstopfen würde. Er selber begriff inzwischen, dass seine Ängste betreffs Meli grundlos waren, er sich quasi umsonst in diese Misere manövriert hatte. Ob es ihm zukünftig gelingen würde, mit seinem Verhältnis zu ihr cooler umzugehen, wusste er nicht. Jedenfalls musste er es versuchen. Die Klasse interessierte am Ende der Mathestunde etwas ganz anderes. Immer noch stand Giuseppes Erklärung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Berg ließ sie aber zappeln und forderte stattdessen, für die nächste Stunde am Mittwoch alle Hilfsmittel für den Geometrieunterricht mitzubringen, was scheinbar bei vielen auf Gleichgültigkeit stieß. Man wartete immer noch auf Fellinis großen Auftritt. Daraus wurde nichts. Der Lehrer schickte sein Häufchen in die Pause. Während des Hinausgehens tauschte man leise Mutmaßungen aus. Einige Mädchen, die die Referendarin mehrmals höhnisch mit dem Spitznamen bedacht hatten, schwiegen jetzt kleinlaut. Giuseppe befand sich mitten unter ihnen. Plötzlich drehte er sich um, schob die hinter ihm Gehenden zur Seite und drängte zurück in den Klassenraum. Der restliche Trupp blieb wie angewurzelt stehen, keiner sagte ein Wort. Man spürte förmlich, wie sich ihre Ohren spitzten. Drinnen im Klassenraum stürzte Besagter auf Frau Seidenfad zu. Mit erhobenen Händen, fast flehend, stammelte er: „Signorita Seidenfad, ich bitte Sie tausendmal um Verzeihung, nein, hunderttausendmal, für meinen Ausrutscher. Es soll nie wieder vorkommen, das schwöre ich bei meiner Mama.“

      Sein Auftritt endete ganz anders, als die Klasse erwartet hatte. Die Referendarin lachte: „Was für eine großartige Entschuldigung! Aber ich bin nicht beleidigt, als Lehrer muss man auch etwas einstecken können. Es gab sicherlich einen Grund für den Vergleich mit Miss Piggy.“

      Vollkommen irritiert murmelte Giuseppe:

      „Weiß ich nicht“ und ging.

      Niemand hatte darauf geachtet, dass auch Meli im Klassenraum zurückgeblieben war. Später erfuhr Pit von ihr, dass sie Frau Seidenfad im Beisein von Herrn Berg alles erklärt habe. Ab sofort gab es den Spitznamen „Miss Piggy“ nicht mehr. Respektvoll wurde die Referendarin jetzt mit ihrem wirklichen Namen angesprochen. Diese ließ sich dagegen nicht mehr im rosa T-Shirt während des Unterrichts sehen. Das eben noch vorherrschende Thema aller Gespräche wechselte sofort, als die Klasse den Schulhof erreichte. Vergessen „Miss Piggy“, vergessen Giuseppe. Der Vorfall mit dem Feuerlöscher rückte wieder in den Gesprächsfokus. Es wurde immer noch über die Verursacher gerätselt. Hellmer und Sauer verließen erneut das Schulhaus, sie hatten ihre Schultaschen dabei. Wortlos durchquerten sie den Pausenhof. Kaum waren sie auf der Straße, beschimpften sie Lehrer und Schule in unflätiger Weise. Sogar eine Bombendrohung stießen sie aus, als sie sich in sicherer Entfernung wähnten. Leider gab es auch jetzt einige Unbelehrbare auf dem Schulhof, die die wüste Schimpforgie der Beiden lustig fanden. Sie klatschten und johlten. Die Restlichen guckten neugierig oder schwiegen betreten. Unter ihnen gab es auch welche, die schämten sich sogar für die, die das gut fanden, dazu gehörten Meli und Pit. Sie sahen sich wortlos an und schüttelten nur voller Unverständnis ihre Köpfe. Als zwei Aufsicht führende Lehrer sich demonstrativ am Hoftor postierten, verdrückten sich die Unholde. Wie sich später herausstellte, waren sie an diesem Tag auf Beschluss der Lehrerkonferenz für alle Zeiten von der Schule verwiesen worden, was nicht bedeutete, dass sie ihr Unwesen in ihrem bisherigen Betätigungsfeld aufgegeben hatten. Was heute auffiel? Keiner der Schüler aus den oberen Klassen trieb sich vor dem Schulgelände rum und rauchte. Aber das interessierte nur wenige. Die Clique stand jetzt wieder zusammen. Mia schloss sich diesmal den Fünfen an.

      „Was wollte denn Berg von dir?“,

      erkundigte sich Dicki neugierig und noch schmatzend bei Meli. Er hatte ihren Verbleib im Klassenraum nach dem Unterricht mitbekommen.

      „Habe die Wogen wegen Giuseppes Ausrutscher geglättet, jetzt ist alles paletti. Frau Seidenfad hat gelacht. Die ist ganz anders, als wir dachten".

      Dicki, der immer noch mampfend seinen Frust vertrieb, knautschte:

      „Coole Reaktion, coole Frau!“

      Sein Spruch hinterließ aber nicht den erhofften Eindruck. Ein anderes Ereignis lenkte dagegen alle Aufmerksamkeit auf Guiseppe. Sich rhythmisch bewegend, ging er hin und her und stammelte dabei unverständliches Zeug. Viele Mädchen beobachteten verstohlen oder offen sein Treiben. Sie sahen in ihm so etwas wie ein Idol, weil sie nämlich ähnliche Wünsche hegten, nur sie schwiegen darüber, zumindest im Allgemeinen. Auch in der 7b gab es welche, die glaubten, mit Singen und Tanzen könne man die Welt für sich gewinnen. Dass sie bei der Eroberung auch noch ein paar andere Kenntnisse benötigen würden, ignorierten sie, jedenfalls mehr, als es ihnen gut tat. Pit schwirrte mit seinen Gedanken woanders rum, Überlegungen dieser Art waren ihm fremd.

      „Heute ist einiges seltsam und unerklärlich. Vieles weicht von dem sonst üblichen Treiben auf dem Schulhof ab“,

      stellte er nur fest, und warf Meli einen Blick zu, um sie aus der Runde zu locken.

      „Ich muss dir etwas verraten.“,

      begann er vertraulich tuend,

      „Ich habe es zwar Mia versprochen, zu schweigen, aber dir will ich