Marlon Thorjussen

Bis Utopia


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wollte er sich damals auf jeden Fall registrieren lassen. Vielleicht wäre er ja mal lebensrettend gewesen. Das wusste man ja nie, bis es so weit war. Peer hatte es sich damals so ausgerechnet, dass seine Verantwortung der Gesellschaft gegenüber damit getan war. Dennoch zahlte er weiter akkurat Steuern.

      „Ja, stimmt. Da war so ein Flyer in meinem Briefkasten. Und dann habe ich das einfach mal gemacht, glaube ich“, antwortete Peer dann.

      „Genau. Und die Probe hat Sven damals mitsamt ein paar anderen mitgenommen. Und Doktor Chart hat deinen genetischen Code komplett ausgelesen. Und jetzt kommt der Clou, mein lieber Peer Flint: Du bist perfekt!“

      „Ich bin perfekt? Das wundert mich aber“, sagte Peer ungläubig und wartete auf die Pointe.

      „Präziser: Du bist genetisch perfekt. Alle Gene, die bei dir für Gefäße, Herz, Stoffwechsel, und so weiter zuständig sind, sind nur darauf ausgelegt, alles zu erhalten. Du könntest theoretisch mindestens 110 Jahre alt werden. Bei bester Gesundheit! Und ohne größere Rückenbeschwerden!“

      „Allerdings ruinierst du dir das mit deinem Lebensstil“, tadelte Ruben.

      „Ich verstehe nicht“, sagte der Gefesselte.

      „Also: Ich erkläre es dir gern. Dein genetischer Code scheint Prozesse zu begünstigen, die gerade deine Stoffwechselraten und deine Selbstheilungsprozesse positiv beeinflussen. Und natürlich sind all diese winzigen zugrunde liegenden Teilprozesse in deiner Genetik verankert. Und wie du weißt – und wenn nicht, dann lies mal ein gutes Buch darüber! - unterliegt natürlich auch dein Genom Kopierfehlern, die während der Zellteilung auftauchen können. Jedoch scheinst du, neben deinem ja ohnehin doppelten Chromosomensatz, auch noch eine Art genetisches Back-Up zu besitzen. Deine eigene DNS korrigiert Kopierfehler weit effizienter als bei den meisten anderen Menschen. Wir haben das ausgiebig untersucht die letzten Jahre! Bei mir und Ruben hier ist es genauso.“ Melv zeigte stolz auf sich. „Doktor Chart könnte dir stundenlang etwas darüber erzählen. Zumindest musst du dir weniger Sorgen um Krebs machen. Und irgendwelche Stoffwechselstörungen wirst du so schnell auch nicht entwickeln“, schloss Melv ab.

      „Ich kapiere es trotzdem nicht“, gab Peer zu. Er hatte in Sachen Biologie nur eine sehr rudimentäre Bildung erhalten, die sich aber vor allem auf Beobachtung, Pflanzenkunde und allgemeines Wissen beschränkte. Das Nest des Eichhörnchens, so fiel es ihm spontan ein, nennt man Kobel.

      „Stell dir einfach vor, dass deine Zellteilung mit weniger Fehlern behaftet ist als bei anderen. Und auch das Aufbauen deiner körperlichen Bausteine läuft effizienter und – ich will fast sagen: zielführender – als bei anderen. Dein Körper arbeitet einfach besser. Hast du das wenigstens kapiert?“

      „Ich schätze schon?“, fragte Peer.

      „Ja... Und deine DNS enthält unglaublich effiziente Reparaturmechanismen. Dein Körper leistet eine evolutionär bedeutende Arbeit! Hast du gar nicht gewusst, oder?“

      „Nein“, antwortete Peer. Er hatte bis dato angenommen, dass die Evolution für ihn keine Rolle spielte, da er ja einfach da war und somit war seine Spezies erfolgreich - und das war dann auch schon alles, was Peer von Evolution verstand. „Was soll das genau heißen: evolutionär erfolgreich?“, fragte er deshalb. Beim Sprechen wurde er wenigstens nicht vor Angst ohnmächtig.

      „Ach, den Begriff verwendet Doktor Chart einfach gern, aber eigentlich tut er nichts zur Sache. Du bist aber ihr letztes Puzzlestück für ein Projekt, wie wir wohl wissen. Und dann ist da noch ein Grund, uns bei dir zu entschuldigen.“

      „Die Tür?“, fragte Peer vorsichtig. Er hoffte inständig, dass die beiden Klone nicht noch allzu viel von ihm wollten. Ihm brummte ja jetzt schon der Schädel. Überforderung machte sich breit.

      „Ja, ist gut geworden, oder?“, fragte Ruben sichtlich gut gelaunt.

      „Was?“, fragte Peer irritiert und aus seinen ängstlichen Überlegungen gerissen.

      „Die Tür. Frisch geölt. Hast du das gemerkt?“

      „Aber unbrauchbar ist sie. Ihr habt das Schloss rausgeschraubt. Wie soll ich die denn jetzt wieder schließen?“, kam es ein wenig gereizter von Peer zurück.

      Ruben zog dich das Türschloss aus einer Gesäßtasche seiner dunklen Jeans. Aus der anderen kramte ein paar Schrauben. Das alles hielt er Peer vor die Nase und schaute wissend.

      „Null Problemo!“, krächzte er.

      Peer seufzte und nickte ergeben.

      Die beiden waren seltsam, aber offensichtlich waren sie nicht durch und durch böse. Sie waren einfach nur ganz anders als alles, was Peer kannte. In ihren dunklen Jeans und makellos weißen Hemden wirkten die jungen Männer völlig deplatziert in Peers Küche. Er hatte die Zeugen Jehovas ja auch nie hereingebeten.

      Melv hatte nicht weiter vor, sich um die belanglose Tür zu scheren und fuhr in seiner Erklärung fort: „Wir müssen uns ja entschuldigen. Auch für die Tür. Aber vor allem dafür, dass wir dich ein paar Jahre lang bespitzelt haben und deshalb - “

      „Ihr habt was!?“, schrie der Hausherr und es war ein kläglicher Ton, der da angeschlagen wurde. Emotionale Ausbrüche waren schließlich auch nichts, was Peer besonders beherrschte. Er war sogar ausgesprochen schlecht darin. Ob das nun an einer gewissen Ausgeglichenheit seiner Person oder eben der Unkenntnis seiner extremen Gefühle lag, war schwierig zu beurteilen.

      Tatsächlich war ihm auch für einen Bruchteil einer Sekunde sehr danach, den beiden Fremden ordentlich die Fresse zu polieren. Lediglich sein gefesselter Zustand hielt ihn davon ab.

      Melv und Ruben hatten wohl seine Mimik gut gedeutet, denn ihre ohnehin sanften Gesichter wurden noch ein wenig sanfter. Nur ihre Augen verengten sich ein wenig. Peers einsetzende Schnappatmung, die allerdings auch nur ein Paar Sekunden lang anhielt, wartete Melv noch ab.

      „Deswegen haben wir dich erst einmal so hergerichtet“, erklärte er betont gelassen, nachdem ihm Peer ausreichend ausbalanciert und besonnen vorkam. Dass sie Peer in seiner Wohnung festhielten und nicht etwa in einem schwarzen Kleintransporter, lag vor allem daran, dass sie keinen Parkplatz im Molkereipfad gefunden hatten, der nahe genug an Peers Wohnung lag. Aber das verschwiegen die beiden Klone aus taktischen Gründen.

      „Also, mein lieber Peer Flint: Wir haben dich beobachtet. Mussten wir tun. War halt unsere Arbeit, nicht wahr? Dass du genetisch perfekt bist, wussten wir ja schon vor ein paar Jahren. Aber auch GAS kennt nicht alle Feinheiten des menschlichen Genoms. Also haben wir vor allem deine Gesundheit im Blick gehabt.“

      Peer blickte nur fragend drein und Ruben befürchtete einen Ohnmachtsanfall bei ihm. Er blieb aber standhaft sitzen.

      „Nein. Nur beobachtet. Also, du warst selten beim Arzt und in sechs Jahren nur viermal erkältet. Das ist schon ziemlich gut. Und du hattest Nierensteine. Aber die waren ja, wie dein Arzt dir gewiss gesagt hat, ernährungsbedingt.“

      „Die waren vor allem unangenehm“, erinnerte sich Peer.

      „Aber harmlos, nicht wahr? Also: Du kannst dich glücklich schätzen. Wir haben aber eben während unserer Beobachtung auch andere Dinge gesehen. Und das tut uns leid. Vor allem das mit dieser Frau letztes Jahr. Wie hieß sie gleich?“

      Peer schwieg. Er nannte Fremden doch nicht die Namen seiner Sexualpartnerinnen! Es war ihm wirklich jenseits dessen, was er unter gesittetem Verhalten verstand. Die beiden Männer hatten ihn also beobachtet und wussten wohl sehr viel über ihn. Womöglich haben sie sogar noch masturbiert, während sie ihm beim Sex beobachteten. Peers Puls signalisierte wieder Wut. Und natürlich lief er rot an.

      „Du könntest dich vielleicht wieder ein wenig abregen“, forderte ihn Ruben auf und zog sich sein Blasrohr aus seiner Hemdtasche.

      Peer gönnte dieser ungewöhnlichen Waffe ein paar Sekunden der Betrachtung und bemühte sich, ruhiger zu wirken. Wie es sich angefühlt hatte, davon getroffen zu werden, wusste er nicht mehr. Aber ihm war auch nicht danach, wieder ein paar Minuten zu verlieren, nach denen er vielleicht woanders aufwachte. Seinen