Tom Sailor

Es sind doch nur drei Wochen


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klar, dass eine offene Unterhaltung zwischen gleichberechtigten Partnern wohl nicht zu erwarten ist. Erik befürchtet, dass die Frauen in diesem Land sicherlich in der klassisch unterwürfigen Frauenrolle erzogen werden. Dazu kommt noch die Sprachbarriere, die nur eine unvollkommene Kommunikation zulässt. Die kleinen Feinheiten, die den unterschwelligen Sinn vermitteln, lernt man erst nach einer langen Zeit. Im Ergebnis führt dies leicht zu vielen Missverständnissen und unnötigen Problemen.

      »I like to book a taxi for a sightseeing tour”, erläutert Erik sein Anliegen.

      »Okay, Sir, where do you want to go?”, fragt die hübsche, ständig lächelnde Inderin.

      »Die Inder haben doch das Kamasutra erfunden.«, schießt es Erik durch den Kopf. »Ob das wohl allen Frauen hier beigebracht wird?« Sie sitzt immer noch freundlich lächelnd vor Erik und wartet auf eine Antwort.

      »Do you have some maps or a tourist guide?”, fragt er nach.

      »One minute, Sir”, antwortet sie, erhebt sich und geht einige Meter entfernt zu einer Auslage, aus der sie diverse Broschüren heraussucht. Sie kommt zurück, setzt sich wieder hinter ihren Tisch und breitet die Unterlagen vor Erik aus. Nach einem kurzen Blick in die Unterlagen hat Erik auf einige Sehenswürdigkeiten gezeigt und bittet die hübsche, junge Frau um ein Taxi.

      »Why don’t you show me your city”, versucht er sie anzuflirten, wünscht sich aber sofort, dass er den Mund gehalten hätte.

      »Diese blöde Anmache hört sie bestimmt hundertmal am Tag. Vielleicht ist es aber auch etwas, was ihr gefällt. Frauen beschweren sich schnell, wenn man sie anmacht, sind aber tot unglücklich, wenn es nicht passiert.«, philosophiert Erik vor sich hin. Irgendwie suchen Frauen immer nach dem Gegenteil von dem, was sie gerade bekommen. Wenn sie das bekommen, was sie bestellt haben, ohne dass der Andere erheblichen Aufwand damit hat, sind sie wohl deshalb unzufrieden, weil dieser geringe Aufwand einer Königin nicht gerecht wird. Nur wenn sie das Gefühl haben, dass der andere sich ein Bein ausreißt, bestätigt man damit seine Wertschätzung und Zuneigung. Frauen lieben es, hofiert zu werden und Macht über andere zu haben. Nur wer in der Lage ist, dieses Gefühl zu vermitteln, kann damit rechnen, dass die königliche Dame Gnade walten lässt und die Gabe annimmt. Für Erik erscheinen manche Frauen, als wären sie immer auf der Suche nach einer Parallelwelt, wenn sie ständig mit dem Unzufrieden sind, was sie haben. Seine philosophischen Gedanken werden von einem lächelnden Bellboy unterbrochen.

      »Your Taxi, Sir«

      Erik folgt ihm aus dem Hotel zu einem Taxi, das vor dem Haupteingang steht. Oh ja, natürlich, Trinkgeld. Der Bellboy hält seine Hand so geschickt, dass es wie eine Aufforderung einzusteigen aussieht, aber gleichzeitig die Handinnenseite zeigt, in die man etwas Geld legen kann.

      Der Fahrer des Taxis trägt auch einen Turban auf dem Kopf. Erik hat gelesen, dass dies ein Markenzeichen der Sikhs ist. Die Sikhs treten zumeist mit einer höflichen Zurückhaltung auf, die man aber nicht als Unterwürfigkeit verstehen darf. Ihr Glaube entstand erst im 15. Jahrhundert und betont die Einheit der Schöpfung, die Abkehr von Aberglauben, religiösen Ritualen und sozialer Hierarchisierung entlang Religion, Herkunft und Geschlecht. Sie achten das Leben und meiden schädliche Lebensgewohnheiten wie Tabak, Alkohol und Drogen. Das ist sicher der Grund, warum sie bei Hofe vornehmlich als Leibgarde eingesetzt wurden. Auf jeden Fall hat diese Ehrhaltung bis heute überdauert. Wenn man einen Vertrag mit einem Sikh eingeht, wie es z. B. eine Fahrt im Taxi ist, dann wird ein Sikh mit seinem Leben dafür einstehen, dass man wohlbehalten am Ziel ankommt. Erik ist froh, dass er sich etwas Wissen angelesen hat, da mit einem Gefühl von Sicherheit ein solcher Ausflug doch gleich viel angenehmer wird.

      »Where you go, Mr.?«, fragt der Fahrer.

      »I like to make a sightseeing tour. Please show me some nice places in Delhi.«, erklärt Erik sein Anliegen.

      »Yes, Sir, please, where you go?«, wiederholt der Fahrer höflich.

      Erik stellt fest, dass die Diskussion mit Aashiyana bezüglich des Themas Sightseeing und der folgenden Kommunikationskette vollständig unter den Tisch gefallen ist. Es hat ihm also nur ein normales Taxi eingebracht. Jedes Zahnrädchen erfüllt nur seine klar definierte Aufgabe, scheint aber nicht das nächste Zahnrad anzutreiben. Jede Sonderlösung erfordert einen Manager, der sich darum kümmert. Eine Entscheidung für einen anderen zu treffen, bedeutet, dass man sich über ihn stellt. Ein Hotelangestellter würde sich nie anmaßen, für einen Gast eine Entscheidung zu treffen. Zum Glück hat Erik die Prospekte mitgenommen. Er zeigt auf ein imposantes Bauwerk und sein neuer Beschützer fährt los.

      »Was für ein Luxus!«, denkt Erik, als er sich in dem klimatisierten Taxi nur zum Vergnügen durch die Stadt kutschieren lässt.

      Erik lehnt sich entspannt auf die Rückbank, als das Taxi von der Lobby abfährt. In dem Moment, als es auf die Straße einbiegt, fährt Erik der Schreck in alle Glieder. Das Taxi beschleunigt, überquert die Fahrspur und ordnet sich auf der linken Straßenseite ein. Krampfhaft hält sich Erik in Erwartung des Aufpralls am Vordersitz fest. Aber nichts passiert. Die entgegenkommenden Autos fahren alle brav rechts an ihm vorbei. Mit der Müdigkeit und dem geringen Verkehrsaufkommen hatte er auf der Fahrt vom Flughafen nicht realisiert, dass in Indien natürlich Linksverkehr herrscht. Mit dem Adrenalin im Blut ist Erik jetzt allerdings hellwach.

      Aus den Unterlagen lassen sich einige Details erfahren. »Neu Delhi« oder auch »New Delhi« ist die Hauptstadt Indiens, aber nur einen Teil der Megacity bezeichnet man als »Neu Delhi«. Dieser Teil bildet zusammen mit der Stadt Delhi eine urbane Einheit, meist werden beide Teile zusammen einfach nur Delhi genannt. Die erste Station ist das Regierungsviertel, das in der Nähe des Hotels liegt. Die Engländer bestimmten 1911, dass Indien eine neue Hauptstadt benötigt. Sie bauten zuerst ein weitläufiges Regierungsviertel auf dem flachen Land und die Stadt siedelte anschließend um dieses Viertel. Das Regierungsviertel hebt sich deutlich von der restlichen Stadt ab. Es gibt keine schmalen Gassen, keinen chaotischen Verkehr, keine schmutzigen Bettler am Straßenrand und keinen Müll. Es finden sich dagegen ausgedehnte, grüne Parks, breite Alleen und jede Menge Polizisten, die in regelmäßigen Abständen am Straßenrand stehen. Das ist eine Gegend, in der man vor der drückenden Enge tatsächlich etwas Luft holen kann. Kaum haben sie jedoch das Regierungsviertel durchquert, stecken sie wieder in einem stickigen, lärmenden Stau. Somit geht die Fahrt nur noch langsam und stockend weiter. Eine Zeitlang beobachtet Erik fasziniert das bunte, stickige, dreckige, laute Treiben rund um das Taxi, so dass ihn das langsame Vorankommen nicht besonders stört. Ein kochender Kessel, in den alles hineingeschüttet wurde, was die Welt zu bieten hat. Er hat selten so viele Gegensätze an einem Fleck gesehen. Eigentlich noch nie. Luxuswagen neben überladenen Fahrradrikschas, qualmende und laut hupende Lkws, die einen Menschen mit seiner Handkarre vor sich hertreiben, gut gekleidete Menschen, die in ihr Büro eilen neben zerlumpten Kindern, die jedem ihre mageren Hände entgegenstrecken, kleine Garküchen auf mobilen Karren neben einem Rinnstein, durch den eine schwarze, stinkende Brühe kriecht, farbenfrohe, flatternde Gewänder im indischen Stil neben westlich gekleideten Menschen mit Anzug und Krawatte, graue Bettler, die einfach nur am Boden liegen und die ausgemergelte Hand verzweifelt ausstrecken, vor einem hoch modernen Marmorpalast. Und über allem schwebt ständig dieser penetrante Gestank von verbranntem Müll und Fäulnis. Von Fahren kann nicht wirklich die Rede sein. Um das Taxi kämpfen sich hunderte mehr oder weniger verbeulte Wagen, hilflos überfüllte Busse, an denen Trauben von Menschen auch außerhalb der Türen hängen, knatternde Tuk-Tuks, und bedenklich überladene Lkws Meter für Meter vorwärts. Erik erkennt, dass das geplante Fahrtziel bei dem langsamen Vorwärtskommen wohl erst nach Stunden zu erreichen ist. Er versucht daher zunächst vom Fahrer zu erfahren, ob dieses Chaos so bleibt, oder ob es irgendwann zügiger gehen wird. Die Antworten waren allerdings so vielsagend, dass es ja, nein oder vielleicht bedeuten konnte. Nach einer weiteren halben Stunde, in der sie vielleicht gerade einmal drei Kilometer voran gekommen sind, beschließt Erik ein neues Fahrtziel. Aus den Prospekten erfährt Erik, dass der Connaught Place der zentralste Punkt und das Geschäftszentrum von Delhi ist. Hier schlägt das touristische Herz der Stadt, in dem auch westliche Waren angeboten werden.

      »Please go to Connaught Place, Sir.«, dirigiert Erik seinen Fahrer in eine neue Richtung. Der Fahrer schaut Erik etwas irritiert an,