Tom Sailor

Es sind doch nur drei Wochen


Скачать книгу

Zeitung und kein Fernsehen. Diejenigen, die sich einen Weltempfänger besorgt haben, können zumindest ab und zu die Nachrichten auf der Deutschen Welle verfolgen. Erik schaut irritiert in die erwartungsvollen Gesichter und überlegt, was es denn nennenswertes aus der Heimat zu berichten gibt? Es fällt ihm allerdings anfangs äußerst schwer, da er keine Ahnung hat, was die Jungs interessiert. Zuerst erzählt er daher etwas über die Firma, welche neuen Projekte gerade in der Pipeline sind, was es mit dem Stühlerücken auf der Managerebene gerade auf sich hat und worüber sich die Kollegen zur Zeit aufregen. Ein kritisches Thema ist alles, was mit Geld zu tun hat. So gibt es zurzeit eine neue Regelung zur Abrechnung der Auslösung, also dem Schmerzensgeld für den Auslandsaufenthalt, wie die Kollegen sagen. Die aktuelle Tabelle hat Erik dabei, allerdings noch in seinem Koffer. Die Gespräche drehen sich sofort um die Gerüchte, die man irgendwo gehört hat. Die Kollegen zeigen deutlich, dass es ihnen am liebsten wäre, dass Erik sein Essen stehen lässt und die Tabelle sofort holt. Geld ist wohl wirklich ein wichtiges Thema. Vermutlich der einzige Grund, warum die Kollegen das Ganze hier auf sich nehmen. Jeden Tag rechnen sie sich vermutlich aus, was zuhause auf ihr Konto läuft. Erik verspricht, die Tabelle am nächsten Tag mit auf die Baustelle zu nehmen. Ansonsten fällt Erik nicht wirklich ein spektakuläres neues Thema ein.

      Das Essen ist in Schüsseln und Platten auf dem Tisch angerichtet, der sogar mit einer weißen Tischdecke eingedeckt ist. Es ist nicht nur ordentlich angerichtet, sondern riecht auch lecker, so dass Erik nicht überrascht ist, dass es ihm gut schmeckt. Nach dem Mittagessen fühlt Erik sich jedoch erschöpft und beschließt, zurück zu seinem Haus zu gehen und sich kurz hin zu legen. Er fühlt sich von der Anreise und der Zeitumstellung einfach zu gerädert, um jetzt schon auf die Baustelle zu gehen.

      Der Hausboy

      Aus irgendeinem unerfindlichen Grund befindet sich Erik in einem verschlossenen Gebäude. Er weiß, dass er dort eigentlich nichts verloren hat und die Wachleute ihn jeden Moment entdecken können. Vorsichtig geht er durch die dunklen Gänge und versucht, möglichst keine Geräusche zu machen. Gerade als er ängstlich um die Ecke in einen neuen Flur lugt, schrillt eine Alarmsirene los und reißt Erik aus seinem Traum. Mit einem Auge schielt er unter der Bettdecke hervor und versucht, sich zu orientieren. Es ist schwarze Nacht ringsum. Die Leuchtzeiger des unbarmherzigsten aller Wecker zeigen in ihrer momentanen Stellung auf 5:45 Uhr. Natürlich hatte Erik den Wecker ausprobiert und den Weckton vor dem Kauf als akzeptabel eingestuft. Jetzt, so früh am Morgen, wirkt das ungewohnte Signal allerdings wie eine Alarmsirene, die spontane Fluchtreflexe auslöst, so dass Adrenalin in Eriks Körper schießt. »Wir werden wohl keine Freunde!«, sinniert Erik über seinen Wecker, als er mit der flachen Hand nach ihm schlägt, um ihn auszuschalten. Natürlich kommt es, wie es kommen musste. Durch das Moskitonetz, an das Erik nicht mehr gedacht hat, wird seine Hand abgelenkt, so dass er den Wecker knapp verfehlt, diesen aber noch so viel erwischt, dass er auf den Fußboden segelt und das Batteriefach aufspringt. Erik hört das Klimpern der Teile, die sich über den gefliesten Boden verteilen und kommentiert das Ganze mit einem tiefen Seufzer. Halb aufgeschreckt mit pochendem Herzen sinkt Erik wieder in sein Kissen und wartet darauf, dass der hochgeschnellte Puls abklingt. Das war es also schon mit der Nacht. Mühsam versucht Erik, seine Augen offen zu halten. Dabei merkt er, dass sein rechtes Auge sich irgendwie nicht richtig öffnen lässt, was ihm einen gehörigen Schrecken einjagt. Als er dann sein Auge reibt, stellt er fest, dass die Wimpern irgendwie zusammengeklebt sind. Durch das Reiben lösen sich kleine Stückchen der Kruste, die nun allerdings in sein Auge geraten, was sofort zu einem heftigen Brennen führt. »Na super, das fängt ja gut an!«, schimpft Erik und versucht nun die salzigen Partikel aus dem tränenden Auge zu reiben. Er vermutet, dass er im Laufe des gestrigen Tages viel Staub eingesammelt hat, der in der Nacht ausgeschwemmt wurde und somit ein Gemisch aus Staub und dem Salz der Tränenflüssigkeit die Wimpern verklebt hat. Als Erik nun im Bett sitzt und an seinem Auge herum reibt, schieben sich einige Bilder der letzten Tage in den Vordergrund, so dass er langsam wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt wird. Allmählich gewinnt der neue Tag immer mehr an Dimension. Im Moment gibt es noch keinen Automatismus, den man morgens ohne nachzudenken abspulen kann. Zunächst muss Erik erst einmal bewusst alle Schritte planen, bevor das Aufstehen auch im Halbschlaf gelingen kann.

      Erik zieht das Moskitonetz über seinem Bett zur Seite und geht zum Fenster. Als er die Vorhänge zur Seite zieht, sieht er nichts außer einer schwarzen Wand. Er hatte sich schon am Abend gewundert, wie schnell es so stockdunkel wird, dass man die Hand vor Augen nicht mehr sieht. Es gibt hier auch keine Stadt, die der Umgebung etwas von ihrem Leuchten abgibt. Vor allem liegt es aber an der Nähe zum Äquator, wodurch es keine richtige Dämmerungszeit gibt. Wenn die Sonne am Horizont versinkt, ist es nach wenigen Minuten einfach nur noch finster. Ebenso schnell wird es dann allerdings auch wieder hell, wenn die Sonne am Horizont wieder auftaucht. Im Moment ist bei seinem Blick aus dem Fenster allerdings nichts zu erkennen.

      Eriks erster Gang geht in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuwerfen. Zum Glück werden die Wasservorräte zum Kochen in Plastikflaschen geliefert, die angeblich unter hygienischen Verhältnissen abgefüllt werden. Wilfried hatte nach Eriks Frage einen der Boys beauftragt, einen Karton mit Wasserflaschen zu ihm zu bringen, so dass zumindest der Kaffee jetzt besser schmecken sollte. In der Zeit, in der die Kaffeemaschine in der Küche diese schlürfenden Geräusche verursacht, das von baldigem, heißen, wohlriechenden Kaffee kündet, lässt Erik sich warmes Wasser über den Rücken laufen. Er genießt es, wie das Wasser den Staub und Schweiß davon trägt und der Strahl seinen Rücken massiert. Mit einem Mal wird das Wasser allerdings kalt, so dass von angenehm keine Rede mehr sein kann. Im ersten Moment überlegt Erik, dass die Heizung wohl kaputt ist. Doch dann dämmert es ihm langsam. Er hatte am Tag zuvor zwar die schwarzen Tonnen auf den Dächern der Häuser gesehen, sich aber nichts dabei gedacht. Das Wasser wird durch die Sonne erwärmt. Wenn der Tank leer ist, dann muss man wieder warten, bis die Sonne scheint.

      »Ich muss mir wohl mal wieder die Stoppeln aus dem Gesicht kratzen.«, sagt sich Erik, als er sich im Spiegel sieht. Seine Kollegen hatten ihm in Deutschland zur Nassrasur geraten, da dies auch ohne Strom geht. Das Waschbecken präsentiert ihm allerdings nur einen Wasserhahn für auf und zu. »Also kein warmes Wasser,« seufzt Erik, der keine guten Erfahrungen bei einer Rasur mit kaltem Wasser gemacht hatte. Also beschließt er etwas Wasser auf dem Herd aufzuwärmen. Er erwärmt das Wasser nur gerade so viel, dass es lauwarm ist und er endlich das Projekt Rasur in Angriff nehmen kann. Etwas besser gelaunt zieht Erik anschließend seinen Bademantel an und holt sich eine Tasse Kaffee. So bewaffnet geht er vor das Haus. Es ist noch immer dunkel, aber die Morgendämmerung beginnt gerade, das Land aus dem Schlaf zu holen. Auf den Feldern der Umgebung sieht er kleine flackernde Feuer, so dass die Luft mit dem Geruch von Rauch durchsetzt ist. Es ist angenehm warm, obwohl es eine sternklare Nacht war. Erik sieht, dass der Boden in seinem Vorgarten diese typischen Risse von knochentrockener Erde aufzeigt. Da es nicht regnet und die Hitze alles Wasser aufsaugt, müssen die Pflanzen in seinem Vorgarten im Sommer wohl jeden Morgen gegossen werden. Schließlich findet Erik einen Schlauch, der wie eine Schlange in seinem Vorgarten herumliegt. Er geht an den Wasserhahn und dreht ihn auf. Sofort erwacht die Schlange zum Leben. Leider ist es nur ein Schlauch ohne Ventil, so dass Erik sich abmüht, in einer Hand seinen Kaffee zu halten und mit der anderen das Schlauchende so zusammenzukneifen, dass er etwas weiter sprühen kann. Er hat den Eindruck, dass es wie ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Wenige Sekunden, nachdem er eine Fläche besprüht hat, scheint sie schon wieder zu trocknen. Schließlich legt er den Schlauch einfach auf den Boden, so dass eine Pfütze vor ihm entsteht, die langsam immer größer wird. »Vielleicht ist es die einzig richtige Methode der Bewässerung,« überlegt Erik, »den ganzen Garten einfach unter Wasser setzen.«

      Der Himmel verfärbt sich im Osten langsam, wobei ein schmaler, gelber Streifen die Sonne ankündigt. Die ersten Vögel sind wach und wecken durch ihre kurzen Rufe ihre Kameraden. Von den Lagern der indischen Wanderarbeiter am Rande der Straße hört er das Plärren eines Radios, das sich mit den Rauchschwaden der Lagerfeuer verwebt. Erik genießt die friedliche Ruhe am Morgen vor seinem Haus. Es ist noch alles verschlafen, friedlich und irgendwie sanft und angenehm. In diesem Moment steigt die Sonne über den Horizont und hüllt das Land augenblicklich in einen gelben Schein, der lange Schatten wirft. Die Rauchschwaden über den Feldern sind nun als Rauchsäulen deutlich zu erkennen und scheinen nahezu senkrecht nach oben zu steigen,