Tom Sailor

Es sind doch nur drei Wochen


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Erik die Tür öffnet, strömt ihm sogleich der angenehme Duft von frischem Kaffee in die Nase. An den Wänden des lang gezogenen Raumes stehen links und rechts Regale, die auf der einen Seite mit Akten und Unterlagen vollgestopft sind. In den Regalen auf der anderen Seite finden sich Computer, Werkzeuge, Ersatzteile, Kabel und sonstiges Material. In der Mitte des Raumes zwischen diesen Regalen sind einige Tische zusammengeschoben, an denen müde Kollegen sitzen.

      »Moin moin, ich bin Erik,« sagt Erik, als er den Raum betritt.

      Die Kollegen murmeln ebenfalls einen Gruß, ohne sich allerdings selbst vorzustellen. Sie sitzen weiter auf ihrem Stuhl und dösen vor sich hin. Direkt vor Erik ist noch ein Platz frei.

      »Sitzt hier jemand?« fragt Erik in die Runde.

      »Der ist frei, den kannst Du nehmen.« antwortet Alfred, der daneben sitzt.

      »Willkommen am Arsch der Welt.«, wendet sich Alfred an Erik und bietet ihm die Hand zum Gruß an.

      Alfred ist ziemlich dick. Sport hat er sicher nicht erfunden. Obwohl er sitzt, atmet er schwer. Er ist für die Elektrik mit den höheren Spannungen ab 6 kV zuständig. Sicher kein Kandidat für einen Dauerlauf, aber vermutlich ein eher angenehmer Kollege.

      »Wie regelt ihr das mit dem Kaffee?« fragt Erik in die Runde.

      »Jeder bringt halt was mit.« erklärt Peter.

      »Sorry, hab Deinen Namen vergessen?,« wendet sich Erik an Peter.

      »Ich bin Peter. Wenn Du es noch nicht weißt, ich bin hier der Chef!«, stellt Peter die Hierarchie klar. »Wenn etwas ist oder Du was brauchst, kommst Du als erstes zu mir, O. K.?«

      »Klar, versteht sich von selbst.«, erwidert Erik.

      Daraufhin wendet sich Peter wieder seinen Unterlagen zu.

      »Habt ihr hier noch eine Tasse für mich?«, fragt Erik in die Runde.

      »Die Blaue da gehört Wolfgang, der kommt nicht mehr!«, sagt jemand hinter Eriks Rücken.

      Als Erik sich umdreht, sieht er Gunter, der seine Füße auf den Tisch gelegt hat.

      »Danke, und dDu heißt …?,« fragt Erik zögerlich, da es ihm unangenehm ist, auch diesen Namen vergessen zu haben.

      »Ich bin Gunter.«, kommt es prompt zurück. »Sag mal, Du machst hier doch die Regelung, oder.«, fragt Gunter weiter.

      »Ja, das ist der Plan.«, antwortet Erik.

      »Wir sollten uns dann mal demnächst zusammensetzen. Ich mach hier Verfahrenstechnik und wir sollten uns abstimmen.«, erläutert Gunter seinen Vorstoß.

      »O. K.,« erwidert Erik. »Ich muss mir erst mal einen Überblick verschaffen, aber ich denke, dass das ab Morgen gehen sollte.«

      Erik nimmt die Tasse aus dem Regal und blickt dabei etwas angeekelt auf den Zustand derselben. Die Farbe Blau lässt sich nur noch erahnen. Diese Tasse hat schon lange kein Spülbecken mehr gesehen.

      »Wo ist denn hier die Küche«, fragt Sven in die Runde, um ein höhnischen Gelächter zu ernten.

      »Hast Du in Deinem Haus keine Küche?«, wird er von Siegfried spöttisch gefragt, der etwas abseits an seinem Schreibtisch sitzt.

      »Falls es Dir noch keiner gesagt hat: Wir haben hier keine Küche oder so etwas. Solche Auflagen gibt es in Indien nicht. Natürlich gibt es hier eine Toilette. Wo das Wasser aber herkommt, will keiner so genau wissen, so dass es auch keine Option ist. Komm bloß nicht auf die Idee, irgendwelches Wasser, das nicht abgepackt ist, zu trinken oder für unseren Kaffee zu nehmen. Außer, Du willst gleich wieder nach Hause. Wasser zum Trinken oder Kochen sollte nur aus mitgebrachten Plastikflaschen verwendet werden.«, beschließt Siegfried seine Vorlesung.

      »O. K., danke und Du heißt?«, fragt Erik.

      »Siegfried«, erwidert er, wobei er die Hand zum Gruß hebt.

      Erik schnappt sich nun eine volle Plastikflasche und eine Hand voll Papiertücher, um seine neue Tasse zu reinigen. Als er das Klo findet, stinkt es so bestialisch, dass es Erik den Atem verschlägt. Dort wird er sicher nicht seine Tasse reinigen. Also läuft er die Treppe nach unten, um den Abwasch vor dem Eingang im Freien durchzuführen. Irgendwann gibt er allerdings mit seinem Versuch auf, den regelrecht eingebrannten Belag zu entfernen. Als er sich dann endlich den heißen Kaffee eingießt, hofft er nur, dass der dunkle Belag nicht durch den heißen Kaffee aufgelöst wird. Nach dem ersten Schluck fällt ihm ein, dass er Gaby anrufen wollte, wenn er endlich angekommen ist.

      »Wo ist denn das Telefon?« fragt Erik in die Runde. Als Antwort erhält er nur ein erneutes, höhnisches Lachen von den Kollegen.

      »Telefon? Schön wär’s.« lacht Gunter. »Willkommen im vorigen Jahrtausend. Wir haben hier kein Telefon!«, erläutert Peter.

      »Wenn Du unbedingt telefonieren willst, kannst Du es ja mal in Anta in der Post versuchen.«, ruft Siegfried durch den Raum, »Meistens klappt es aber nicht oder Du hörst nur die andere Seite, die können Dich aber nicht verstehen. Wir haben es inzwischen aufgegeben.«

      Na prima. Erik hat Gaby versprochen, sich sofort zu melden, wenn er angekommen ist. Er hat nicht damit gerechnet, dass es hier kein Telefon gibt. Wenn Gaby ewig nichts von ihm hört, wird sie sicherlich denken, dass ihm etwas passiert ist. Ich muss mal sehen, wie ich das mit der Post in Anta hinbekomme, überlegt er sich, während er den letzten Schluck Kaffee trinkt.

      »Wie macht ihr das denn, wenn ihr etwas aus Deutschland braucht?« fragt Erik in die Runde.

      Die Erklärungen der Kollegen zeigen Erik, dass das kein einfaches Unterfangen ist. Schriftliche Kommunikation mit der Firma oder sonst wem in Europa dauert mindestens in der Regel etwa eine Woche. Wenn es schnell geht! Und das, obwohl ein ständiger Kurierdienst zwischen Delhi und der Baustelle existiert. Na ja, Kurierdienst ist gut. Derselbe besteht aus einem einzigen Inder, der sein Leben aktuell in der Eisenbahn verbringt. Er pendelt ständig zwischen Büro und Baustelle. Er steigt am Abend in Delhi in den Zug, morgens in Kota wieder aus. Der Zug fährt weiter nach Bombay oder eher Mumbai, wie es ja jetzt heißt. Aus der Gegenrichtung fährt ein entsprechender Zug in Mumbai los, der dann am Nachmittag in Kota ankommt. Diesen nutzt der Bote dann, um wieder nach Delhi zurück zu fahren. Wenn man eine Frage hat, die ein Experte im Stammhaus beantworten soll, oder man dringend Material benötigt, so gibt man sie dem Boten, der am Abend damit nach Delhi fährt. Am nächsten Morgen kann er das dann im Büro in Delhi abgeben. Von dort wird das dann per Fax nach Deutschland versendet. Das ist allerdings oft eine Vollbeschäftigung für die Sekretärin, da es sehr häufig zu Abbrüchen und Fehlern bei der Übertragung kommt, so dass ein Fax oft mehrmals hintereinander in die Maschine gefüttert werden muss, bis es irgendwann erfolgreich übermittelt wurde. Die Abteilung in Deutschland, bei der das Fax dann ankommt, sucht dann jemanden, der sich um den Inhalt kümmern kann. Durch die Zeitverschiebung ist das jedoch nicht mehr am selben Tag möglich, so dass eine Antwort frühestens am nächsten Tag vorliegt. Dann ist der Bote aber gerade wieder auf der Baustelle. Also kann er die Antwort erst am Tag vier in Delhi wieder in Empfang nehmen und eine Antwort erreicht erst nach fünf Tagen die Baustelle. Vorausgesetzt, der Experte kann sofort eine Lösung oder Antwort präsentieren. Das ist aber gerade bei schwierigen Fällen nicht sofort möglich. Dann dauert die Bearbeitung im Stammhaus schon mehrere Tage, die dann noch hinzugerechnet werden müssen. Manchmal transportiert der Bote auch nur Zeitungen.

      Grundsätzlich läuft alle Kommunikation über das Büro in New Delhi. Telefonieren ist aus der Post in Anta nicht effektiv möglich und wird daher nicht wahrgenommen. Es wäre vielleicht möglich, ein Kabel zur Postverteilstation in Anta zu legen, aber die aktuelle Qualität, die ja Erik schon erleben durfte, würde das nicht rechtfertigen. Somit hat sich keiner ernsthaft mit dieser Idee auseinandergesetzt. Ein Fax zu versenden scheitert an der fehlenden Technik im Postoffice in Anta. Wenn es erforderlich ist, dass man selbst nach Deutschland telefonieren möchte, fährt man am besten nach Delhi und telefoniert dort von einem Hotel aus. Die Preise sind horrend, aber durch die Satellitenverbindung in vernünftiger Qualität. Die günstigste Methode ist immer noch die Kommunikation über den