Katharina Johanson

Grete Minde in Tangermünde


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Hilfe zu holen. Das ging sehr schnell, die Ordnungshüter waren gut trainiert und binnen Minuten stürmten Landsknecht Karl Hafermaß und eine Handvoll seiner Kameraden das Haus der von Minden. Was sie sahen, war eher lächerlich, denn wehrbedürftig: Eine sehr junge Frau saß kummervoll auf einem Stühlchen und die beiden Hausherren redeten hochroten Kopfes auf sie ein. Hafermaß überblickte die Szene und dachte: Für so einen Quatsch holen die die Stadtwache. Hier ist doch kein Raub im Gange. Wer wird denn nun eigentlich bedroht?

      „Zu Diensten!“, meldete er sich zackig. Caspar ließ von Margarete ab und geiferte: „Bindet die Frau. Abführen. Ausweisen.“ Hafermaß tat, wie ihm befohlen war. Er griff Margarete am Arm und zerrte sie hoch. Augenblicklich fuhr sie spitz auf: „Ich kann alleine laufen!“ Hafermaß nahm Abstand.

      Von den Landsknechten umringt stolperte Margarete aus dem Haus. Inzwischen hatten sich Schaulustige auf der Straße eingefunden. Die Schreiber drängten der abziehenden Gruppe nach, mischten sich unter die Zaungäste und in Sekundenschnelle verbreitete sich die Nachricht: Die von Minden haben ihre Schwiegertochter verstoßen und ihren Enkel aus dem Haus gejagt. Ja, so geht es, war die einhellige Meinung, man legt sich besser nicht mit den von Minden an.

      Während Margarete die Straße hinunter geleitet wurde, gewann sie ihre Fassung wieder und unterhandelte mit dem Hauptmann: „Ich habe mir Wohnrecht erkauft. Ich muss ins Wirtshaus zu meinem Kind. Ihr könnt mich nicht fortjagen.“ Hafermaß kannte die Aufenthaltsbestimmungen. Freilich durften die von Minden ihm befehlen, die Frau aus dem Haus zu entfernen, mitnichten aber aus der Stadt. Er fühlte sich von den von Minden wegen einer läppischen Sache vorgeführt. Also entschied er streng: „Das überprüfen wir erstmal.“

      Wirt Ulrich erbleichte, wie sechs Landsknechte mit seiner Mieterin in die Stube traten. Aufenthaltskontrolle!, realisierte er schlagartig. Geistesgegenwärtig griff er zwei Krüge und rief zur Anna hin: „Gäste! Die wollen trinken.“ Anna stellte Becher zurecht und Ulrich goss ein. Gierig schütteten die Knechte den Branntwein runter, Margarete entschlüpfte und der Wirt holte aus: „Jungs, Ihr wisst doch, dass ich jeden, aber auch jeden gründlich abrechne und anmelde. - Was soll denn der Aufstand?“ Karl Hafermaß setzte seinen Becher ab und ließ sich nachschenken. Als der zweite Becher geleert war, führte er aus: „Wahrscheinlich Familienkrach bei den von Minden. Genaues weiß ich auch nicht.“ Er beschrieb die Szene, wie er sie vorgefunden hatte, den Befehl und endete: „Wenn Du aber beschwörst, die Frau wohnt hier, dann hat alles seine Ordnung und meine Pflicht endet an dieser Stelle.“ Ulrich nickte treu und schenkte ein drittes Mal nach.

      Margarete war über die Wendung tief erschrocken, denn die widersprach ganz krass ihrer bisherigen Erfahrung. Die Menschen begegneten ihr in der Regel freundlich, waren manchmal auch ignorant oder gleichgültig, aber eine so aggressiv offene Ablehnung hatte sie noch nie erfahren. Man verhaftete sie und brachte sie vor aller Leute Augen fort. Diese Aufführung demütigte Margarete. Das schmerzte, das wühlte, das ließ ihr keine Ruhe. Allmählich kamen ihr des Großvaters Worte zu Bewusstsein: „So einen zwingt man nur Kraft des Gesetzes.“ Allein, sie musste sich fragen, ob ihre Mittel ausreichen, sich in die Familie einzuklagen. Außerdem war zu bedenken, was sie damit wirklich erreicht: Ewiger Hader mit der Schwägerschaft ist vorprogrammiert.

      Margarete hockte im Zimmer und dachte nach. Nichts übereilen, mahnte die Stimme der Vernunft. Zurückschlagen verlangte die gekränkte Seele. Unentschieden raffte sie sich auf, nahm ihr Kind hoch und ging hinunter in die Gaststube. Es war Abendbrotzeit. Margarete hatte Hunger. Sie musste essen und ihr angeschlagenes Nervenkostüm beruhigen.

      Die Landsknechte waren fort. Nur ein Gast saß noch in der Stube. Das war der Tönnies. Er lud Margarete freundlich ein, zu ihm zu kommen und bot ihr einen Apfel an.

      Der Mann hatte beste Laune, denn für diesem Winter hatte er Quartier unter festem Dach bezogen. Der alte von Minden hatte ihm ein Goldstück und zwanzig Pfund Äpfel geschenkt. Das war ein Vermögen. Mit dem Goldstück mietete sich er sich beim Wirt ein und die Äpfel waren Verpflegung für viele Tage. Wenn er jetzt auch noch ab und an Gelegenheitsarbeit bekommt, wird sogar Nahrung bis zum Frühling da sein. Es sieht gut aus.

      Er lachte die hübsche Frau vergnügt an. Margarete setzte sich, nahm den Apfel und biss herzhaft hinein.

      Ulrich näherte sich und fragte: „Wollt Ihr Abendbrot? Es ist noch Fleisch vom Mittag da.“ Margarete nickte. Tönnies wehrte ab: „Ich kann‘s mir nicht leisten. Bleib‘ bei meinen Äpfeln.“ Ulrich schlotterten noch die Knie vom Auftritt der Landsknechte. Er legte generös fest: „Ach was, Kinder, es ist noch genug da. Lasst uns essen. - Anna, deck doch mal den Tisch und komm mit ran.“ Er hoffte, dass ihm bei einer geselligen Mahlzeit wohler werden wird.

      Anna beeilte sich. Sie trug die restlichen Speisen auf und setzte sich. Die vier rückten um die Fleischtöpfe zusammen und langten herzhaft zu. Die Magd belächelte die Großzügigkeit ihres Herren: Was der mit seiner Krämerseele vorn aufbaut, reißt er mit seiner Gutmütigkeit hinten wieder ein. Ulrich ist einerseits berechnend und hat andererseits ein großes Herz, dachte sie, mit so was kommt man nicht weit.

      Sie ließen es sich schmecken. Die Gemüter beruhigten sich und allmählich kamen sie ins Plaudern. Ulrich ließ den Branntweinkrug kreisen. An Sparen oder Abmessen, war heute nicht mehr zu denken. Was er vorhin den Landsknechten in die Kehle gegossen hat, wirft sowieso wochenlange Haushaltskalkulationen über den Haufen. Morgen geht es hier wieder anders lang, nahm sich er vor.

      Gemütlichkeit breitet sich aus.

      Die zerriss abrupt, weil von draußen Lärm hereindrang. In diesem Moment trieben die Landsknechte die Obdachlosen und Bettler aus den Gassen zusammen und zum Tor hinaus. Die Mittellosen sträubten sich. Geschrei, Weinen, Zetern, Schimpfen, Schlagen, Treten.

      Die vier im Wirtshaus duckten sich unwillkürlich. Sie wussten: Bei dem heraufziehenden Herbstwetter bieten die städtischen Mauern mehr Bedeckung als das freie Feld. Manchmal gelingt es dem einen oder anderen armen Mann in einer Nische oder einem Schuppen zu verschwinden, dort zu nächtigen, und wenn schon nicht große Wärme, dann doch zumindest erträglichen Wetterschutz zu finden. Allerdings läuft auch der unfreiwillige Gastgeber Gefahr, streng verwarnt oder ausgepeitscht zu werden, weil er sein Anwesen nicht gut genug verschlossen, seine Räume nicht kontrolliert hat. Ulrich stieß seine Magd an: „Anna, ist der Hof zu, der Stall abgeriegelt?“ Sie nickte. Er stand auf, nahm den großen Schlüssel vom Brett und verriegelte die Wirtschaft. „Jetzt ist Ruhe“, vermerkte er und setzte sich wieder.

      Ruhe war längst nicht. Draußen ging es weiter. Einer schrie: „Euch müsste man die Stadt überm Kopf anzünden!“ Andere stimmten ein. Dann Peitschenhiebe und Pferdegetrappel. Die Szene war bekannt und den vier Menschen in der Wirtsstube schnürte es die Kehle zu.

      Margarete packten Mitleid und Zorn: „Euch muss man das Handwerk legen!“ Die jammervolle Zeit mit Albrecht rückte wieder ganz nah. Kälte und Hunger spürte sie körperlich. Zu dem Leid kamen jetzt die guten Vorsätze: Was hindert uns eigentlich, den Armen ein Stück Brot und ein Dach über dem Kopf zu schaffen? Sie überflog ihre Möglichkeiten. Die waren zu gering. Ja, wenn man Geld, Einfluss und Macht hätte! Schon stieß ihr das reiche Haus der von Minden auf: „Die haben. Die könnten! Sie tun es aber nicht. Sie tun es nicht, weil sie bequem und satt sind.“

      Anna, Ulrich und Tönnies schauten verdutzt zu Margarete. Sie gewahrten, wie die sich abarbeitet, ihre Gedanken riesige Kreise ziehen, ja wie sich unerbittlicher Hass breit macht.

      Ulrich besänftigte ängstlich: „Wir sind es doch gewöhnt. So ist es in der Ordnung.“ Anna und Tönnies empfanden wie Margarete und schwiegen doch.

      Margarete schaukelte sich weiter hoch. Die kleine, sanfte, schöne Frau schwang sich zur Walküre auf: „Geht es denn nur um mich? Nein, es geht auch um das Vermächtnis meines Mannes!“

      Endlich zog Ruhe ein. Die Gassen waren geräumt. Margarete hielt erschöpft den Atem an, horchte in sich hinein und sagte trocken: „Ich verklage den von Minden auf Unterhalt.“

      Tönnies dachte: Die hat Mut.

      Anna dachte: Ob das was bringt?

      Ulrich dachte: Das geht schief.

      Nach