Katharina Johanson

Grete Minde in Tangermünde


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auftaucht, dann schicke sie doch zu mir.“ Tönnies hielt die Hand auf und grinste spitzbübisch. Der Alte schob ein Goldstück in die offene Hand. „Sie ist im Wirtshaus am Markt abgestiegen“, gab Tönnies bekannt und forschte: „Wozu braucht Ihr sie?“ Conrad klärte ihn über die verwandtschaftlichen Verhältnisse auf. Tönnies pfiff anerkennend: Die Schönheit ist nicht nur stolz, sondern auch noch reich. „Aber warum haust sie dann in der Wirtschaft?“ - „Weil meine Kinder elende Geizkragen sind!“, giftete der Alte, „und genau diesen Zahn werde ich ihnen ziehen.“ Tönnies zweifelte: Das kann nicht gut gehen. Er behielt seine Meinung für sich und fragte: „Wohin mit den Äpfeln?“ - „Kannst sie haben“, winkte der Alte ab und ging zum Wirtshaus am Markt.

      Margarete war überrascht und erfreut, als der Großvater sich zu erkennen gab. Wenn der Stammvater der von Minden sich auf ihre Seite stellt, kann nichts mehr schief gehen. Sie strahlte den Mann an. Margarete musste ihre Geschichte noch einmal von vorn erzählen. Der Alte hörte interessiert zu, stellte ein paar Fragen und war schließlich voll und ganz von der Legitimität Margaretes und ihres Sohnes überzeugt. Gern hörte er, wie sich Albrecht draußen durch Fleiß und Anstand bewährt hatte. Von wegen ein Spieler, von wegen ein Feigling. Albrecht war erwachsen geworden. Der rechte Erbe ist eingetroffen. Behutsam nahm der Großvater den Urenkel in die Arme, schaukelte ihn und säuselte: „Sebastian, sehr schöner Name.“

      Nun entwickelte er den Plan: „Wenn Du recht bekommen und Deinen Sohn von uns anerkannt wissen willst, musst Du uns auf dem Rathaus verklagen. Mein Sohn ist ein verdammter Lügner und in Familiensachen eine Lusche geworden. So einen zwingt man nur Kraft des Gesetzes.“ Margarete wich zurück. Klagen? Klagen! Die eigene Familie vor den Kadi zerren? Das schafft böses Blut. „Kann man es nicht friedlich versuchen?“, wendete sie zaghaft ein. Der Alte streng: „Friedlich? Niemals! Die sind mit allen Wassern gewaschen. Du bekommst keinen Fuß in unsere Tür.“ - „Nicht?“, fragte Margarete verunsichert. Conrad fest. „Gegen die kommst Du nicht mit bitten und betteln an. - Was willst Du denn? Recht für Dein Kind? Das erstreitest Du nur vor Gericht.“ Margarete überlegte: Der Alte mag recht haben. Er kennt seine Familie. Ich nicht. Aber verbaue ich mir nicht mit der Klage jeglichen friedlichen Zugang, ja letzten Endes, das geborgene Nest, das wir alle brauchen? Conrad schmeichelte: „Es ist doch für den Kleinen“, er streichelte behutsam Sebastians Köpfchen, „so ein Kind ist doch schutzlos. Da braucht es Geld, ein Dach überm Kopf und Beziehungen.“

      So lieb der Großvater sprach, so klar seine Argumente waren, Margarete verfestigte den Gedanken: Eine Klage kommt nicht in Frage. Die Leute haben mir nichts getan. Vorerst war ich zwar nicht freudig begrüßt, aber immerhin auf Anhieb eine reiche Frau geworden. Die Männer hatten gezahlt. Sie hatten gemurrt und gezahlt. Ist es nicht ihr gutes Recht, erstmal ihr Haus vor einer völlig Fremden zu verschließen? Wer nimmt denn gleich eine Unbekannte bei sich auf? Sie werden es sich überlegen und später von allein einlenken.

      Margarete wich aus: „Ich werde es mir überlegen und komme später darauf zurück.“ - „Na fein“, antwortete der Großvater geneigt und legte achtundzwanzig Goldstücke auf den Tisch. „Du wirst hier solange wohnen, bis der Prozess vorbei ist. Geld habe ich genug. Ich regele das mit dem Wirt. Außerdem brauchst Du einen Rechtsbeistand, den werde ich Dir auch besorgen.“ Margarete sah das Gold, war geblendet und hörte nur noch mit halbem Ohr hin, wie der Alte sich genüsslich die Szenen vor Gericht ausmalte. Er würde als Zeuge aussagen, der Sohn knickt ein, Enkel Caspar muss klein beigeben und die taube Juliana ist aus dem Rennen. „Dann übernimmst Du das Haus, ich ziehe wieder in die Wohnetage und wir beide kümmern uns anständig um den echten von Minden. Ist das so?“, versicherte er sich augenzwinkernd der Zustimmung Margaretes.

      Die Visionen waren verlockend, allein die Ausführung allzu gewagt. Margarete wand sich: „Großvater, ich will Dir ja nichts abschlagen. Auch denke ich, dass Du da eher die rechte Sichtweise hast. Du kennst Deine Leute, ich nicht. - Das mit dem Wirt kläre ich und einen Rechtsbeistand brauche ich nicht. Ich kann mich allein vertreten.“ Dem Alten imponierte die junge Frau. Er wähnte sich am Ziel, erhob sich, küsste seine Enkeltochter und das Kind, und ging frohen Mutes heim. Was er dem von-Minden-Unternehmen zum Ruhm, der Frau Juliana zum Trotze eingerührt hatte, sah er als gottgefälliges Werk.

      Margarete zählte die Münzen, legte sie zu den anderen und resümierte: Wir sind angekommen, nicht angenommen, aber immerhin angekommen. Jetzt habe ich den Familienältesten auf meiner Seite. Das läuft ja wie geschmiert. Der Großvater wird peu à peu für mich gut sprechen und die anderen werden mir ihre Herzen öffnen.

      Sie sinnierte eine Weile, wie es weiter gehen soll, und entschied dann: Ich werde ab und an die Familie besuchen und schauen, wie die Dinge liegen. Alles in allem werde ich ihnen etwas Zeit geben, sich an die neue Situation zu gewöhnen und ziehe dann zu ihnen. Dauerhaft ist Wohnen in der Schänke sowieso nichts für uns. Doch bis dahin, sollte noch etwas Wasser die Elbe runter fließen. So dachte Margarete und träumte sich in eine respektable, gut versorgte, reiche Zukunft.

      In der folgenden Nacht setzten die Herbststürme ein. Der Wind zerrte an den Dächern und Fensterladen. Conrad von Minden lag wach. Bei solchem Wetter schläft man schlecht. Er lauschte und wartete auf den Geist der Ursula. Die kam dann auch tatsächlich im weißen Gewand, lächelte und setzte sich zu Conrad ans Bett. „Nun, wie habe ich das gedeichselt?“, fragte Conrad ein wenig selbstherrlich. Die Schwiegertochter antwortete: „Vater, Du bist wunderbar.“ - „Siehst Du“, ergänzte er, „nun kommt zwar nicht der Albrecht heim, aber seine Frau und sein Sohn. Ist das gut so?“ Ursula nickte und lächelte wieder. Sie schwiegen eine ganze Weile. Der Alte wurde schläfrig. Ihm fielen die Augen zu. Da sagte Ursula: „Komm Vater, ich will Dir was zeigen. Ich habe nämlich den Albrecht im Himmel gesehen.“ Der Alte sträubte sich: „Mitten in der Nacht? Was soll denn das? Können wir uns nicht vertagen? Ich bin so müde.“ Ursula nahm ihn bei der Hand. Er überwand und erhob sich. Kann man der lieben Frau etwas abschlagen? Sie führte ihn behutsam aus dem Dachkämmerchen fort.

      Der nächste Morgen: Dass der Großvater mal eine Mahlzeit ausließ, war nichts Ungewöhnliches. Hin und wieder pflegte er auf dem Zimmer zu speisen oder er hatte gar keinen Appetit. Also bekam die Magd Agathe nach dem Frühstück Order, dem Alten ein Glas Milch und zwei weiße Brötchen hinaufzubringen. Agathe fand Conrad von Minden neben dem Bette liegend. Er war tot.

      Juliana von Minden bestellte den Medicus, die Totenfrauen, den Sargtischler und Transportarbeiter. Der Tote wurde begutachtet, gewaschen, frisch eingekleidet, in den Sarg gelegt und zur Kirche getragen. Sie bahrten ihn auf, ließen eine Messe lesen und die Glocken läuten. Leute strömten herbei. Auch Margarete von Minden ward von dem Auflauf angezogen.

      Sie erfuhr: Conrad von Minden ist gestorben. Ihr Unterstützer ist heimgegangen. Das veränderte Margaretes Lage schlagartig. Der Plan, sich allmählich in die Herzen und das Haus der von Minden hineinzuschleichen, taugte nichts mehr. Da stirbt einer und schon ist alles anders, gewahrte sie, geriet in leichte Panik und steigerte sich in Befürchtungen hinein. Was sie dem gemächlichen Selbstlauf hatte überlassen wollen, kam ins Wanken. Mit dem Großvater schwand die Hoffnung, er werde für sie ein gutes Wort einlegen und die Dinge in ihrem Sinne richten. Jetzt ist Baltasar Familienoberhaupt. Der hatte bei der ersten Begegnung nichts gesagt. Der machte eine blasse Figur. Den sollte ich für mich gewinnen, meinte Margarete, und entschied: Sofort! Man muss das Eisen solange schmieden, wie es glüht. Sie lief ins Gasthaus, putze sich ein wenig heraus und ihrer anziehenden Wirkung völlig sicher, eilte sie in die Schlossfreiheit und klopfte bei den von Minden an.

      Schadenfroh, süffisant feixend, tuschelten die Schreiber: „Die lässt nicht locker.“

      Margarete wurde ins Verhandlungszimmer geführt und nahm den Herren gegenüber Platz. Konsterniert registrierten Baltasar und Caspar: Sie ist schon wieder da! Sie eröffnete ungeschickt: „Ich dachte, ich meine, man könnte, wir sollten -“ Sie fand den Anfang nicht und stockte.

      Caspar donnerte los: „Was erlauben Sie sich. Ich glaube jetzt nicht, was Sie hier aufführen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden werden Sie wortbrüchig. Sie haben sich verpflichtet, sich zurückzuziehen.“ Er bedauerte, kein Protokoll aufgesetzt und sich auf ihre Zusage verlassen zu haben. Solche Nachlässigkeiten fallen einem immer auf die Füße. Er geriet in Wut, sah rot, sprang auf