Katharina Johanson

Grete Minde in Tangermünde


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nicht ewig bringen. Da sind wir klug, wenn wir jetzt schon an gesetztere Stücke denken.“ Albrecht unternahm nichts, um seine Frau zu bremsen. Das wäre ja auch völlig zwecklos gewesen. Allein, ihre unkonventionelle Art ließ ihn immer wieder erschaudern. Freilich konnte er sich selbst auch nicht gerade einen lebenserfahrenen Mann nennen, aber er meinte fest: Eine mehr besonnenere Lebensart stünde Margarete besser zu Gesicht. Ihm lag an einer soliden Basis. Er gab sich der Hoffnung hin, sie würde ihrem Mutterglück nachgeben und sich vollkommen auf die Hausfrauenrolle konzentrieren. Er arbeitete noch besessener als zuvor.

      Eines Abends saß Albrecht völlig erschlagen am Tisch. Er mochte nicht essen, höchstens etwas Wasser trinken. Margarete stellte besorgt fest: „Du hast Dich übernommen.“ Er sagte schlaff: „Mag sein.“ Forschend beschaute sie ihn: Er sieht mitgenommen und sehr müde aus. Er muss unbedingt schlafen. Die heutige Nachtwache kann er unmöglich durchhalten. Kurz und gut: Margarete steckte ihren Mann ins Bett und setzte sich selbst neben das Schmiedefeuer. Die Nacht verlief wie alle anderen ohne Zwischenfälle.

      Als Margarete am Morgen ihren Mann wecken wollte, bemerkte sie, dass er hoch fiebert und nicht zu Bewusstsein kommt. Sie untersuchte ihn, stellte ein kleine, gerötete Wunde am linken Handteller fest. Die Frau versorgte die lädierte Stelle und blieb dann wachend, auf alle Lebenszeichen ihres Mannes achtend am Bette hocken. Der Mann schlief, schwitzte, stöhnte, röchelte, rang nach Luft, warf sich hoch, fiel in sich zusammen, warf sich wieder hoch und erwachte. „Margarete, ich sterbe.“ Die Frau wusste es bereits: Er stirbt am Wundfieber. Sie lächelte und tröstete: „Albrecht, Lieber, so leicht stirbt man nicht. - Wenn doch, sehen wir uns im Himmel wieder. Gott nimmt uns auf.“ Albrecht schloss die Augen und schlief ruhig.

      Margarete schöpfte Hoffnung: Vielleicht hat sein Körper ausreichend Kraft, vielleicht ist meine Diagnose falsch. Wunder gibt es immer wieder. Margarete vermisste schmerzhaft ihre Apotheke. In ihrer Not lief sie zum Medicus, rang die Hände, bat um Hilfe. Der Arzt dachte: Arme Leute, die werden mir nicht mal die Mühe des Weges entlohnen. Trotzdem ging er mit, denn er meinte: Vielleicht kann ich die Frau zu irgendwas verpflichten. Jung ist die ja, kräftig und hübsch.

      In der kleinen Stube überblickte der Medicus rasch die Situation: Der Mann stirbt am Wundfieber. Aber ach, was soll‘s?, zahlen muss die Frau. Er sagte schmierig: „Das ist so schlimm nicht. In ein paar Stunden ist Dein Mann wieder auf den Beinen. Ich habe ein probates Mittel.“ Er zog ein Fläschchen mit gefärbtem Wasser heraus, hielt es der unglücklichen Hausfrau vors Gesicht und versicherte: „Ganz neues Elixier, extra gegen Wundfieber. Allerdings kostet es einiges.“ Die Frau wusste, dass es immer wieder mal neue Entdeckungen gibt. Sie hörte, was sie hören wollte, und ließ sich täuschen. „Was soll es kosten?“, fragte sie. Er hielt die freie Hand bereits auf Margaretes Brust und sagte schleimig: „Eine kleine Gefälligkeit nur.“ Sie entzog sich dem Mann, nahm das Geldsäckchen aus der Truhe und schüttete ein paar Münzen auf den Tisch. Verdammt, die Frau hat Geld!, registrierte der Medicus scharf und befahl sich: Zulangen! Er trieb den Preis in die Höhe. Sie zahlte, ohne zu feilschen, immer mit dem Gedanken im Kopf: Um Himmels Willen, mir stirbt der Albrecht. Endlich händigte er ihr die Flasche aus und riet: „Einen Trank aus zwanzig Tropfen und alle Stunde wiederholen. Morgen ist er wieder wohlauf.“ Margarete eilte stehenden Fußes in die Küche und bereitete den Trank zu. Der Medicus nahm das Geldsäckchen an sich und schlich von dannen.

      Der Todeskampf des Albrecht dauerte einen halben Tag.

      Margarete wusch und bettete den Toten, wie es der Brauch verlangte, flocht eine Blume zwischen die steif werdenden Finger und stellte eine brennende Kerze auf. Sie setzte sich nieder, zog ihr Buch heran und notierte: „Albrecht von Minden verstarb am Abend des 1. Juli 1614 hier in Wittenberge.“ Margarete wartete bis die Tinte trocken war, schlug das Büchlein zu, verwahrte es am Busen und hielt die ganze Nacht Totenwache.

      Am nächsten Morgen rief der Schmied nach seinem Knecht. Er wurde nicht gehört und betrat forschend der von Minden Kammer. Er gewahrte den Toten und die trauernde Witwe. Ein Toter in seinem Haus! Der Schmied war ein rechtschaffener Mann. Er bestellte den Medicus und ließ den Mann die Todesursache zweifelsfrei feststellen. Inzwischen kamen die neugierigen Nachbarn gelaufen und gafften. Der Medicus untersuchte, dachte nach und gab sicher an: „Wundfieber, mag sein.“ Er ergänzte schonungslos: „Es kann aber auch die Pest wieder grassieren.“

      Das Wort „Pest“ zündete wie Schwarzpulver. Augenblicklich orderte der Hausherr Knechte. Der Seuchenschutz oktroyierte völlige Isolierung aller Kontaktpersonen und Abbrennen sämtlicher Gegenstände aus dem Umfeld des Verstorbenen. Die Männer luden den Toten auf einen Karren, schleppten den gesamten Hausrat der von Minden mit hinaus, türmten alles oben drauf, zogen mit der Last vor die Stadt auf freies Feld und legten Feuer an die Ladung. Schaulustige folgten neugierig, gruselig erregt, ängstlich und mitleidig der Vernichtungsaktion. Margarete stand dumpf ergeben dabei. Fast nichts hatte sie behalten dürfen und bei dem ganzen Tohuwabohu war irgendwann auch das Geldsäckchen verloren gegangen. Geduldig nahm sie hin, was nicht zu verhindern war. Margarete sah ihren Hausstand schwinden und den Toten verkohlen. Als aus dem winzigen Häufchen Asche nur noch ein feiner Faden weißgrauen Rauches in den strahlend blauen Sommerhimmel empor stieg, wendete sie sich ab.

      Margarete lief und lief. Doch wohin? Möglichst weit weg, denn der Pestverdacht war so leicht nicht auszuräumen. Sie musste eine Gegend aufsuchen, wo sie niemand kennt, kein Gerücht sie verfolgt. Nach einigem Nachdenken entschied sie sich, Jörgen Haffner in Stendal um Hilfe zu bitten. Hatte der Haffner ihr nicht versprochen, ihr in der Not beizustehen? In großer Not war sie ja nun: Sie besaß nur, was sie am Leibe trug, ihr Goldkettchen mit dem Anhänger, der wie eine Krone geformt ist, den Geleitbrief für Gaukler und das kleine Büchlein mit der Familienchronik.

      Am späten Abend des 1. August 1614 langte Margarete nahe Stendal an. Die Tore waren schon geschlossen. Sie lagerte wie andere Ankömmlinge am Fuße der Stadtmauer und wartete auf den nächsten Morgen. Sie überlegte, wie sie am besten in die Stadt hineinkommt. Ihr Geleitbrief als Gauklerin nutzte ihr diesmal nichts, denn in ihrem Zustand konnte sie sich nicht als Schauspielerin oder Artistin ausgeben. Unweigerlich würden strenge Verhöre bei der misstrauischen Stadtwache über ihre Ziele und Beweggründe folgen. Sie lief Gefahr, als Obdachlose abgewiesen zu werden. Am Morgen nutzte sie den Moment des größten Verkehrs und schlüpfte, sich geschickt duckend und wendend, unkontrolliert zwischen herein und heraus strömenden Menschen und Wagen in die Stadt.

      Die Haffners, Jörgen und seine Frau Ottilie, empfingen Margarete mit offenen Armen. Sie waren erschrocken über Margaretes Zustand. Die war in anderen Umständen und restlos heruntergekommen. Jörgen ordnete an: „Ein Bad, frische Kleidung und Essen!“ Seine Frau und die Knechte tummelten sich. Margarete nahm die Zuwendung dankbar an.

      Haffner selbst ging aufs Rathaus und meldete die Ankunft seiner Base an. Der über jeden Zweifel erhabene Ruf des Scharfrichters legitimierte den Aufenthalt der Margarete von Minden in der Stadt.

      Allmählich erholte sie sich von den Strapazen der Reise und von der niederschmetternden Tatsache, dass ihr Mann verstorben war. Zug um Zug erfuhren die Haffners, was die Frau in den letzten Jahren erlebt hatte, und mit tiefem, ehrlich empfundenem Mitgefühl beschlossen sie, Margarete dauerhaft in ihr Haus aufzunehmen.

      Dabei ging es im Hause der Haffners jetzt schon ziemlich eng zu. Neben Vater und Mutter, drängten sich zwei Knechte, Artur und Marcus, und Haffner junior, Otto, in den Räumen.

      Haffners Beruf brachte nicht so viel ein, dass er hätte üppig leben oder sich ein größeres Haus bauen können. Die Entlohnung eines Scharfrichters ging nach Leistung: Jeder Fall bringt je nach Länge des Verhörs und nach der Art der eingesetzten Mittel entsprechend einer festgesetzten Taxe ein bestimmtes Salär ein. Haffner hatte seinerzeit das Handwerk vom Vater geerbt. Ganz natürlich reihte sich der junge Jörgen in die Familientradition ein. Er überführte Missetäter und tötete sie. Er beherrschte sein Fach und den Sittenkodex. Sein Amt war eine Wohltat für die friedlichen Bürger und das Gemeinwesen. Allerdings ist ein Scharfrichter immer auch ein Richter. Er hat Recht von Unrecht zu unterscheiden, jeglicher Willkür Einhalt zu gebieten. Wenn der Scharfrichter die Tortur anwendet, will er die Wahrheit zu Tage fördern oder bekehren, nicht aber ein vorgefertigtes Urteil bestätigt wissen. Haffner stieß irgendwann auf: Da werden Leute