Maren Nordberg

Schattenfrucht


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angebaut, die hinten an der Wümme nach Feierabend noch den alten familieneigenen Gemüsegarten pflegt. Wir Ökos sind eben Idealisten, man hat ein wenig Einkommen, aber reich werden kann man damit nicht, wir leben für andere Ziele.«

      Tania zahlte und nahm die offene Papiertüte mit den Möhren an, das Grün ragte weit heraus.

      »Mmmh, die duften ja noch richtig nach Karotten.«

      »Ach, ich habe ganz vergessen zu fragen, soll ich das Grün entfernen?«

      »Nein, danke, das kann ich gut gebrauchen, ich hüte gerade das uralte Meerschweinchen von meinem Freund.« Tania zögerte kurz. »Aber wären Sie so nett und würden mir zwei Karotten abspülen, ich würde sie gerne unterwegs essen.«

      Daniela Meininger verschwand mit einem freundlichen »Selbstverständlich gern!« im hinteren Raum. Man hörte Wasser rauschen und leise Schabgeräusche, dann kam sie mit zwei abgespülten Karotten zurück.

      »Ich musste sie an einigen Stellen mit dem Messer etwas schrabben, die gute Erde saß zu fest daran.«

      »Vielen Dank, diese Nervennahrung kann ich jetzt gut gebrauchen, denn ich hatte gerade ein gruseliges Erlebnis.«

      Die Frau guckte leicht irritiert und Tania biss gierig ein großes Stück ab.

      »Karotten knacken so schön beim Kauen und rütteln das Gehirn leicht durcheinander, das hilft mir immer, wenn ich etwas verarbeiten muss. «

      Der Blick wurde noch fragender.

      Die Tania wusste selbst nicht warum, aber irgendwie hatte sie plötzlich das Bedürfnis, von der komischen Figur und ihren Gefühlen zu erzählen. Dani hörte aufmerksam, ja fast gespannt, zu.

      »Sie meinen diesen verwunschenen alten Pavillon mit Blick auf die Weide?«

      »Genau den.«

      »Und dort sitzt jetzt auch so eine lebensgroße Puppe?«

      Tania nickte und erzählte weiter, es gab manche Menschen, die luden dazu ein, ihnen ihr Herz auszuschütten. Dani gehörte eindeutig dazu. Tania fragte sich, was sie sich hier in ihrem Laden wohl schon alles anhören musste. Sie schien aber ernsthaft interessiert zu sein.

      »Die Puppe wirkt total skurril, mit dem schwarzen Hut. Ich hätte beinahe meine ganzen Imker-Utensilien fallen gelassen.«

      »Ich dachte, der nette junge Mann betreut die Bienen dort, er hält auch manchmal bei mir an und kauft sich was Frisches.« Damit war es also erwiesen, auch Jakob war mit ihr ins Gespräch gekommen.

      »Das stimmt, ich vertrete ihn nur, wem gehört eigentlich das Grundstück mit dem Pavillon?«

      Danis Gesicht hatte einen unbestimmbaren Ausdruck angenommen, als sie vage antwortete:

      »Das sollen sich irgendwelche Leute mit genug Geld zurecht gemacht haben, erzählt man sich.«

      »Und kennen Sie die Leute?«

      »Kann sein, dass die auch schon mal bei mir eingekauft haben, so genau weiß ich ja auch nicht, wo meine Kunden wohnen. Wie sieht es eigentlich mit dem Honig aus, den könnte ich doch in mein Sortiment aufnehmen.«

      Tania blickte sich im Laden um, es stimmte, Honig gab es tatsächlich noch nicht. Da Dani sich augenscheinlich nicht für Ökosiegel interessierte, bot Tania an, in den nächsten Tagen ein paar Probegläser vorbei zu bringen.

      Als sie den Laden verließ, kaute sie noch auf den Resten der Karotte herum, nun musste sie sich doch beeilen, ganz pünktlich schaffte sie es nicht mehr zur Arbeit.

      3

      »Der Cappuccino ist ja total versalzen!«

      Tania zuckte zusammen und riss den Blick von ihrem Smartphone los. Jakob schrieb ihr mittlerweile im Viertelstundentakt. Und sie antwortete nicht. Es war wie von selbst passiert, aber sie hatte auf die Bienen-Frage nicht geantwortet. Und auch auf keine weitere Nachricht.

      Der einzige Kunde stellte ihr die volle Tasse auf den Tresen, braune Brühe schwappte auf die Untertasse.

      »Ich gebe kein Salz in den Kaffee«, erklärte Tania bestimmt.

      »Das habe ich selbst besorgt.« Der große sportliche Mann mit den kräftigen, sehnigen Händen hatte wohl doch Humor, denn er stellte den Zuckerstreuer neben den verunglückten Kaffee. Claudia, ihre Chefin, kam interessiert aus der Küche nach vorne.

      »Was gibt es denn?«

      Tania ließ einige weiße Kristalle aus dem Streuer auf einen Löffel rieseln und probierte ein wenig.

      »Salz, mit Zucker, aber eindeutig auch Salz. Entschuldigen Sie bitte vielmals, manchmal haben wir hier Schüler als Gäste, vielleicht hat sich da einer einen Scherz erlaubt.«

      Mit dem neuen Cappuccino brachte sie dem Kunden drei Zuckertütchen aus Papier an den Tisch. Dann zog sie eilig alle Zuckerstreuer aus dem Verkehr, die sie heute Mittag als erstes, nachdem sie zu spät zur Arbeit erschienen war, aufgefüllt hatte.

      Claudia warf ihr missbilligende Blicke zu, als sie die Zucker-Salz-Mischungen in den Mülleimer

      kippte. Dafür war der Kunde so freundlich, die leere Tasse auf die Ablage zu stellen.

      »Vielen Dank.«

      »Nichts zu danken, wann öffnen Sie eigentlich morgens? Ich werde jetzt ab und zu hier in der Gegend zu tun haben.« Tania reichte ihm den Flyer mit den Öffnungszeiten und dem Speiseangebot, dabei meinte sie zu merken, dass sein Blick eher auf ihr selbst ruhte, als dass er den Prospekt beachtete.

      Als er gegangen war, fragte sie sich, ob ihre Sinne an diesem Tag gestört waren, erst die Sache mit der Figur im Pavillon, dann das nette Gespräch mit der ihr fremden Gemüsefrau, jetzt dieser Kunde mit seinen Blicken und zwischendurch noch der verwechselte Zucker. Wahrscheinlich lag das alles daran, dass es sie viel zu viel Energie kostete, Jakobs Nachrichten nicht zu beantworten. Und trotzdem war es richtig, das fühlte sie, sie musste sich Abstand verschaffen, damit sie ihre eigenen Gefühle und Wünsche endlich sortiert bekam. Jakob, wie aus heiterem Himmel durchzuckte sie die Erkenntnis, dass sie seine wichtige Mappe mit den Beobachtungen bei den Bienen vergessen hatte. Und nachts sollte es kräftig regnen. Das war ein toller Tag, wo sollte das noch hinführen?

      Die folgenden Stunden war sie damit beschäftigt, den Kundenansturm zu bewältigen, alle Welt wollte diesen lauen Septembertag auf der Terrasse der Baguetterie ausklingen lassen. Da sie zum Dienstantritt zu spät erschienen war, konnte sie schlecht darum bitten, früher zu gehen. So beobachtete sie mit gemischten Gefühlen die dunklen Wolken, die sich langsam zu einer tiefen, unheimlichen Masse zusammenschoben. Von Ferne grollte immer mal wieder ein leiser Donner und im Radio wiederholte sich die Warnung vor örtlichen Gewittern mit schweren Sturmböen und Starkregen.

      Als Tania endlich, nach heißem Käse und süßen Crêpes stinkend, wieder im Wagen saß, lauerte sie skeptisch auf die ersten dicken Regentropfen auf der Windschutzscheibe. Die blieben aber aus, während sie auf schnellstem Weg zu den Bienen fuhr. Sie war so angespannt, dass ihr Nacken wieder zu schmerzen begann. Der kleine, buckelige Wirtschaftsweg war auch mit Hilfe der Scheinwerfer kaum noch zu sehen, sie tastete sich die letzten Meter mit dem Wagen vorsichtig voran, die dunklen Bäume hoben sich gerade noch vom düsteren Himmel ab.

      Wie gut, dass sie auf ihrem Handy eine Taschenlampen-App hatte, so konnte sie den Rest des Weges zu den Bienen zu Fuß zurücklegen, ohne sich die Beine zu brechen. Ab und zu fuhr eine Windböe kräftig in die dicken Äste der Baumkronen, dann war es wieder ganz still, wie die Ruhe vor dem Sturm. Knackte da jemand hinter ihr? Erschrocken blieb sie stehen und deckte das Licht ab. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie meinte, es zu hören. Leise bewegte sie sich weiter voran und blieb immer wieder zwischendurch stehen um zu lauschen. Sie war schon eine alberne Gans, nur weil es dunkel war, machte sie sich in die Hosen. Jetzt klatschten die ersten dicken Tropfen laut auf das Blätterdach der Bäume. Augenblicklich verstummte das leise Fiepen einer Maus. Am Rand zur Wiese, wo die Bienenkästen standen, war es glücklicherweise etwas heller