Maren Nordberg

Schattenfrucht


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das Fenster.

      »Endlich, sind Sie von der Polizei?« Sie konnte vor Zittern kaum sprechen.

      »Entschuldigen Sie, wenn ich nicht aussteige, aber ich habe fast nichts mehr an«, ihre Zähne schlugen unrhythmisch aufeinander, »die Leiche ist dort ganz am Ende des Grundstück, das zu dieser beleuchteten Villa gehört. Dort gibt es einen kleinen Pavillon, da sitzt sie drin, man muss nur diesem kleinen Weg dort folgen.«

      Burkhardt musste etwas seltsam geguckt haben, jedenfalls ergänzte sie: »Ja, sie sitzt dort auf einer Bank, an die Wand gelehnt wie eine Puppe.«

      Der Kriminalbeamte schien immer noch nicht so recht überzeugt zu sein, also ergänzte sie ihre Angaben.

      »Ich habe diesen schwarzen Hut zufällig heruntergestoßen, als ich im Pavillon Schutz vor dem Unwetter gesucht habe. Da habe ich das angefressene Gesicht gesehen.«

      Sie öffnete ruckartig die Wagentür und übergab sie sich.

      Burkhardt konnte gerade noch einen Schritt zurücktreten, er glaubte, dass seine Schuhe keine Spritzer abbekommen hatten. Er überlegte die Spurensicherung zu rufen, entschied sich aber vorher zu einem ersten Inspektionsgang. Das wäre für seine Kollegen ein gefundenes Fressen, wenn es gar keine Leiche gab. Aber die Reaktion der Frau ließ auf ein wirklich erschreckendes Erlebnis schließen. Er erkundigte sich in der Zentrale nach dem Verbleib des Rettungswagens und nahm dann den starken Strahler aus dem Kofferraum.

      »Warten Sie, ich begleite Sie«, Hassan Domoglu folgte ihm mit langen Schritten und hielt seinerseits ebenfalls eine starke Taschenlampe in der Hand.

      5

      Tania erlebte die folgende halbe Stunde wir im Zeitraffer, der Kriminalbeamte verschwand mit einem langgezogenen hellen Lichtkegel vor den Füßen zwischen den dunklen Bäumen, der nette junge Türke, in dessen Dienstwagen sie saß, rannte mit einer eigenen Taschenlampe hinter ihm her. Dann geschah lange Zeit nichts, bis es plötzlich von Streifenwagen wimmelte. Sie parkten mit eingeschaltetem Blaulicht kreuz und quer die Straße zu. Schließlich tauchten auch die Leute von der Spurensicherung in VW-Bussen auf, die wie im Film in ihre weißen Anzüge schlüpften und mit Alukoffern und großen Strahlern im Wald verschwanden. Dann sah sie den Kommissar von vorhin wieder, der an der herrschaftlichen Eingangstür des Hauses Nummer 51 klingelte. Niemand öffnete ihm. Was für ein Wunder, dachte Tania, falls dort jemand zu Hause war, hätte er oder sie wohl inzwischen was von dem Riesenzirkus im Garten mitbekommen.

      Langsam wurde ihr wieder wärmer, dank der Sitzheizung, die Hassan Domoglu für sie auf die höchste Stufe gedreht hatte.

      Als zu guter Letzt der bestellte Krankenwagen doch noch auftauchte, ging es ihr schon wieder einigermaßen gut. Dankend nahm sie die beiden angebotenen Decken an, lehnte aber jede weitere Hilfe ab.

      Hassan pfiff leise durch die Zähne, als er aus dem Dunkel zurückkehrte und sah, wie sie sich, oben ohne, eine Decke um die schmalen Hüften wickelte.

      »Hey, das ist ja ein ganz anderes Bild, so gefällst du mir schon viel besser.«

      Okay, das konnte man als sexistisch auslegen, aber es tat ihr unendlich gut, dass er so etwas wie Normalität mitbrachte. Schnell zog sie sich die zweite Decke um die Schultern und hielt sie vorne zusammen, so dass sie sich wieder fast wie angekleidet fühlte.

      »Vielen Dank für die Uniformjacke, und für das Hemd.«

      Zweifelnd betrachtete er beides im Licht seiner Taschenlampe. »Ist gar nicht so nass, für den Rest der Nacht wird es schon gehen.«

      »Du willst jetzt noch weiterarbeiten?«

      »Klar, ich will doch meinen Job nicht verlieren. Wenn ich mich beeile, schaffe ich meine Runde noch.« Bewundernd betrachtete sie seinen entschiedenen, ernsten Blick, der sehr gut zu seinen scharf geschnittenen Gesichtszügen passte. Er wirkte noch sehr jung, sie schätzte ihn auf höchstens zwanzig. Sie kam sich mit ihren fünfundzwanzig Jahren viel älter und reifer vor.

      »Hast du die Leiche richtig gesehen?«

      »Klar, die sah ja echt fies aus, aber ich war wenigstens vorgewarnt.«

      Tania stand unschlüssig mit den Decken neben dem Wagen. Es war was dran, geteiltes Leid ist halbes Leid. Die Erinnerung hatte augenblicklich etwas von ihrem Schrecken verloren, seitdem sie wusste, dass Hassan das Gleiche wie sie gesehen hatte. Das war wieder mal nur psychisch, eigentlich mit nichts zu begründen.

      »Komm, steig ein, ich nehme dich noch ein Stück mit, an dein Auto kommst du die nächsten Stunden nicht ran, das ist aussichtslos.«

      Dankbar nahm sie mit ihren Decken auf den Beifahrersitz Platz.

      »Ach, hier ist auch dein Handy. Ist nur etwas Kunststoff vom Rand abgeplatzt.«

      Erstaunt nahm sie das Gerät in Empfang. Das Wasser war anscheinend nicht eingedrungen, jedenfalls startete das Display sofort und gab den Blick frei auf viele neue Nachrichten von Jakob, und leider auch auf eine wunderschöne Spiderman-App.

      »Tja, da ist wohl ein neues Display fällig.« Missbilligend strich sie über die feinen Risse, die sich von der oberen rechten Ecke ausgebreitet hatten. Wenigstens schien der Touchscreen trotzdem noch zu reagieren.

      Hassan startete den Wagen und fuhr langsam los.

      »Woher wusstest du, dass es mein Handy ist?«

      »Na, ich musste doch mit meinem eigenen Handy die Polizei rufen, weil du deins in den Pavillon geschmissen hattest«.

      Stimmt, das hatte sie ihm bibbernd und klappernd erzählt, nachdem sie ihm vors Auto gesprungen war. »Aber durftest du das einfach so vom Tatort mitnehmen?« Sie musste an den Jutebeutel mit den Aufzeichnungen von Jakob denken, der am rostigen Nagel hing und nicht in der Asservatenkammer der Polizei enden sollte, frei nach dem Motto Mord unter Bienenforschern.

      »Ich habe gedacht, wenn die alle so lahm sind wie dieser Polizist, dauert es Monate, bis du das Gerät wieder hast, und das ist überflüssig und nervig. Wer fragt ist selber schuld. Ich konnte es aufheben, ohne den Pavillon zu betreten, es lag ziemlich weit vorn. Ich wollte dort ja keine Spuren hinterlassen.«

      »Und der hat nichts gesagt?«

      »Der hat es nicht mal gemerkt, der war noch damit beschäftigt, sein Kinn zu massieren und die Autonummer von deinem Wagen zu notieren, als ich schon längst am Pavillon war.«

      »Der Wagen ist auf den ehemaligen Lebensgefährten meiner Mutter zugelassen, war billiger.«

      Sie konnte sich ein Grinsen darüber nicht verkneifen, so schnell konnte eine Spur in die Irre führen. Sie überlegte, was Hassan wohl dazu getrieben hatte, sich die Leiche anzusehen, verschob die Frage aber, weil ein Taxistand in Sichtweite war.

      »Vielen Dank fürs Mitnehmen, hier kann ich in ein Taxi umsteigen.«

      »Lass mal, wohin musst du denn?«

      Sie nannte ihm ihre Adresse in Osterholz Tenever.

      »Das ist nicht mehr weit, da bringe ich dich noch hin.«

      Den Rest des Weges plauderten sie über den Pavillon und die Leiche, fast so, als ob sie sich über einen interessanten Film unterhielten. Es dauerte nicht lange, bis sie vor ihrem rot verklinkerten Mehrfamilienhaus hielten. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hatte diese vierstöckigen Wohnblocks aus den Siebzigern nach und nach saniert und die reparaturanfälligen Flachdächer durch richtige Dächer ersetzt. Jetzt sah es in diesen Straßenzügen ganz hübsch aus, wenn auch der Blick auf die benachbarten hohen Wohntürme des gescheiterten Demonstrativbauvorhabens der Siebziger Jahre blieb. Aber die Miete war bezahlbar und Tania fühlte sich hier in dieser Mischung aus Bodenständigkeit und wirrem Multi-Kulti wohl.

      Sie angelte ihre klitschnassen Kleidungsstücke aus dem Kofferraum, während Hassan seine Dienstkleidung vom Rücksitz zog und zweifelnd im Licht der Straßenlaterne betrachtete. Hier schien es weniger geregnet zu haben, denn die Pfützen waren nur noch große feuchte Flecken auf dem Asphalt.