Maren Nordberg

Schattenfrucht


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warf einen Blick auf die Uniformjacke, sie war hell beige und die dunklen Spuren von ihrem nassen Slip zeichneten sich wie die Silhouette einer Möwe auf dem Rücken ab. Richtig chic, auch das Hemd wies riesige dunkle Flecken auf.

      Ihre alte Nachbarin wünschte ihnen leicht spöttisch »guten Abend«, als sie in diesem Aufzug durch das Treppenhaus marschierten.

      6

      Kommissar Burkhardt rieb sich grübelnd das Kinn, als er um fünf Uhr morgens seinen vorläufigen Bericht auf dem Schreibtisch liegen hatte. Die kurzen Bartstoppeln zeigten an, dass seine Schicht nicht mehr lange dauerte. Wenn er die Geschehnisse Revue passieren ließ, konnte er zufrieden mit sich sein. Er hatte überlegt und systematisch gearbeitet, nachdem der Leichenfund verifiziert war. Die Spurensicherung war von ihm instruiert worden und jetzt mussten nach und nach die einzelnen Spuren abgearbeitet werden. Zum Beispiel gab es dort diese Kunststoffsplitter zu Füßen der Leiche und auf den Inhalt des Stoffbeutels war er auch schon gespannt. Derzeit befand sich alles in Obhut der Spurensicherung. Die Leiche musste etwa einen Tag dort gesessen haben, so wenigstens die vorläufige Einschätzung des Rechtsmediziners. Und es war von einem unnatürlichen Todesfall durch Vergiftung auszugehen. Die besondere Verfärbung der Nagelbetten hatte den Mediziner stutzig gemacht. Jetzt hatte Burkhardt endlich seinen ersten richtigen Fall, den konnte ihm niemand mehr nehmen.

      Bevor er ging, klopfte er bei seinem Vorgesetzten an, um ihm persönlich die wichtigsten Informationen mitzuteilen.

      »Ja, was gibt es?«

      »Haben Sie meinen Bericht schon in Ihrem Postfach gesehen?«

      Holger Arndt, der eine gehörige Leibesfülle vom Stress, vom Schichtdienst und vom großzügigen Verzehr süßer belgischer Schokoladenpralinen besaß, sah mit seinem Vollbart wie ein Wilder aus.

      Jetzt schüttelte er bedächtig den Kopf und ließ seufzend Luft durch seine gewaltige Nase entweichen.

      »Den sehe ich mir nachher noch an, bevor ich gehe. Wichtig ist, dass Sie schnell den Täter ermitteln, falls es nicht doch ein inszenierter Selbstmord war«, Arndt legte die Stirn in Falten und klickte während er sprach mit seiner Maus herum, »ist ja jetzt groß in Mode, dass man selbst das Leben beendet, wenn man nicht mehr will. So von wegen Tod auf Verlangen oder Sterbehilfe für alle.« Arndt hatte anscheinend doch seinen Bericht geöffnet, jedenfalls ruhte der Dialog einige Sekunden, bevor er meinte: »Am besten, Sie behalten die Foren im Internet und Youtube ein wenig im Auge.«

      Das war typisch sein Vorgesetzter, er gönnte ihm keinen Mord.

      »Und passen Sie auf, dass keine Hysterie ausbricht, das erschwert die Ermittlungen ungemein.«

      Arndt wendete sich ab, ergänzte aber noch: »Geben Sie keinerlei Fotos der Leiche an die Presse, nach der Schilderung in Ihrem Bericht würde das den ganzen Stadtteil zum Beben bringen. Die Identität der Toten werden Sie schon so herausbekommen.«

      Von Burkhardt wurde kein Wort mehr erwartet, das war deutlich, also schloss er leise grußlos die Tür und machte Feierabend beziehungsweise Feiermorgen.

      7

      Burkhardts nächste Schicht begann erst am Abend, aber ihn hatte das Jagdfieber gepackt. Mühsam hatte er sich vier unruhige Stunden Schlaf abgerungen, einen starken Kaffee getrunken und war jetzt schon wieder fast beim Polizeipräsidium.

      Die stummen Passanten mit ihren auf den Boden gerichteten Blicken in der feuchten, kühlen Luft berührten ihn nicht. Burkhardt sprühte vor Energie. Auf dem Weg deckte er sich in der nahen Bäckereifiliale mit überbackenen Käsebrötchen und einer Plastikschale Salat ein. Um dreizehn Uhr saß er kauend und voller Tatendrang an seinem Rechner.

      Jetzt galt es, einen Plan zu erstellen, damit er sich nicht in einseitigen Ermittlungen verstrickte. In diesem Fall entschied er, am Ausgangspunkt zu beginnen, danach konnte er spiralförmig die weiteren Anhaltspunkte abarbeiten. Der zentrale Punkt blieb die Identifizierung der Toten. Dafür waren die wichtigen Schritte weitestgehend automatisiert. Die Eingabe der Merkmale war von der Gerichtsmedizin noch in den frühen Morgenstunden vorgenommen worden, wie er zufrieden bemerkte, als er den Fall aufrief. Als verantwortlicher Kommissar war er dafür zuständig, dem Fall einen prägnanten Namen zu geben, so dass sich die Kollegen keine unpersönlichen Aktenzeichen einprägen mussten. Spontan tippte er Pavillon in die Eingabemaske. Das passte, die Tote im Pavillon war sein erster richtiger Fall. Er klickte durch die vorläufigen Untersuchungsergebnisse, der Abgleich mit aktuellen Vermisstenmeldungen hatte bisher keine Übereinstimmungen geliefert. Es wurde in Bremen und Umgebung keine etwa siebzigjährige, korpulente Frau mit auffallend langen grauen Haaren vermisst. Aber das bedeutete nicht viel, außer dass es sich nicht um eine aus einem Altenheim entkommene verwirrte alte Dame handelte. Die Meldung vom Leichenfund verbreitete sich derzeit über Radio und Regionalfernsehen, die Chancen standen sehr gut, dass jemandem auffiel, seine alleinstehende Nachbarin schon einige Tage nicht mehr gesehen zu haben. Außerdem blieben die Operationsnarbe im Bauchbereich sowie der Zahnstatus, beziehungsweise die Prothese, um die Identifizierung abzuschließen.

      Zum Ausgangspunkt der Ermittlungen zählte auch der Fundort, in diesem Fall der Gartenpavillon des Immobilienunternehmers Johannes Marwede und seiner Frau Ruth. Zeugenaussagen zu Folge befanden sich die beiden auf einer mehrwöchigen Karibik-Kreuzfahrt, wurden aber morgen zurück erwartet.

      Immobilien Marwede, dort konnte er sich später umsehen, wenn er mit der jungen Zeugin von gestern Abend gesprochen hatte. Sie hatte was vom schwarzen Hut erzählt, wahrscheinlich meinte sie dieses schwarze, aufgeweichte Etwas, dass zertrampelt vor dem Pavillon gefunden wurde. Auch musste er für alle Fälle ihre DNA bestimmen lassen, um sie von den wichtigen Spuren trennen zu können. Burkhardt strich sich über sein Kinn und suchte nach den Daten der Zeugin, fand aber nichts.

      Als er in der Nacht zu seinem Wagen zurückgekehrt war, stand zwar noch der Rettungswagen dort, die Zeugin und auch dieser Objektschützer waren aber nicht mehr da gewesen. Wieso war sie überhaupt im Dunkeln dort im privaten Pavillon gewesen? Und wie war sie dort hingekommen? Der einzige Wagen, der dort auf dem Waldweg stand, gehörte einem Maximilian Röder aus Oyten bei Bremen. Zu dem musste er später auch noch Kontakt aufnehmen. Die Regentropfen auf der Motorhaube waren ungleichmäßig getrocknet gewesen, als er die Autonummer zum Abgleich weitergegeben hatte. Ein sicheres Zeichen, dass der Motor noch warm, also der Wagen erst kurz vorher dort abgestellt worden war.

      8

      Tania taperte im Schlafanzug in die Küche und kochte sich einen starken Kaffee, sie hatte ausgesprochen schlecht geschlafen. Sie fühlte sich völlig schlapp und trotzdem unruhig und aufgekratzt. Eigentlich musste sie heute planmäßig die Bienenstöcke in Lilienthal kontrollieren, aber es war ihr ganz recht, dass sie das nicht schaffen konnte. Dazu brauchte sie ihr Auto, und das stand leider noch in Oberneuland, sie schüttelte sich schon bei dem Gedanken, allein zu Fuß in diesen dunklen Park zu gehen, um den Wagen zu holen. Sie drückte das Sieb ihres Kaffeebereiters nach unten und goss das tiefschwarze Gebräu in einen großen Becher. Sie gab ausnahmsweise üppig Milch und Zucker dazu und stellte sich wie sie war mit ihrem knappen Höschen und dem kurzärmeligen Sleep-Shirt auf den Balkon. Der Himmel wies das typische Bremer Einheitsgrau auf. Es war empfindlich kalt geworden im Vergleich zum Vortag. Als sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, war sie ein Eiskloß, aber wenigstens fühlte sich ihr Kopf jetzt klarer an. Sie wischte den Gedanken beiseite, sich heute in der Baguetterie krank zu melden. Was sollte sie auch allein den ganzen Tag zu Hause vor sich hin grübeln. Sie kannte die Tote ja nicht mal, eigentlich ging es sie nichts an und sie durfte sich auf keinen Fall von diesem Erlebnis aus der Bahn werfen lassen.

      Sie befasste sich mit dem Fahrplan und stellte fest, dass sie mit dem Bus eine Ewigkeit bis zu ihrem Wagen brauchen würde, sie entschied sich also für ihr Fahrrad. Genauer gesagt für das Klapprad, welches ihr Jakob geschenkt hatte. Diese neue Generation der Falträder war echt chic und das Rad ließ sich mit wenigen Handgriffen auf Sporttaschengröße zusammenfalten.