Maren Nordberg

Schattenfrucht


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war nicht die einzige gewesen, die DNA- und Fußspuren am Tatort verteilt hatte. Auch Hassan Domoglu war am dem Pavillon gewesen, um die blöden Aufnahmen zu machen. Man benötigte unbedingt eine DNA-Probe von ihm, er wusste bloß noch nicht so genau, wie er seinen Bericht umfrisieren konnte. Seine ersten Aktionen am Tatort durften nicht zum Gespött seiner Kollegen werden, nicht gleich bei seinem ersten Fall. Zweifelnd drehte er wieder mehrere Runden im fremden Wohnzimmer. Er rieb sein Kinn und räusperte sich mehrmals nervös, dann wusste er, was zu tun war. Er musste es ausnutzen, dass er derzeit unbeobachtet in der Wohnung war. Burkhardt zog die Einweghandschuhe und eine der kleinen Plastiktüten aus seiner Tasche, die zu seiner Grundausstattung gehörten. Schnell war der Kugelschreiber, mit dem Hassan das Formular ausgefüllt und dessen Ende er mehrfach in den Mund genommen hatte, fachgerecht für eine kriminaltechnische Untersuchung eingepackt. Aus keinem der an den Flur angrenzenden Räume kam ein Laut. Wahrscheinlich saßen die Domoglus in ihrer Küche und warteten auf das Klappen der Wohnungstür. Burkhardt war wieder recht guter Laune, als er die Wohnungstür laut hinter sich zuzog.

      Mit diesem Arbeitsschritt hatte er sich selbst in die Lage versetzt, die Spuren am Tatort richtig zu deuten, die Spreu vom Weizen zu trennen. Er brauchte in seinen Berichten ja nicht so genau darauf einzugehen. Diesen Fall schien er als Einzelkämpfer zu beackern, da stellte ihm so schnell keiner unbequeme Fragen, glaubte er zumindest. Während seiner Ausbildung und während der Praktika im Rahmen des Studiums hatte er nie allein gearbeitet, es gab immer ein Ermittlerteam und der Austausch mit den Kollegen war immer hoch gehalten worden. Wenn er mit einem Kollegen am Tatort eingetroffen wäre, wären die blöden Patzer, die er sich geleistet hatte, nicht geschehen, da war er sich ganz sicher.

      Als er wieder im Wagen saß, plante er die nächsten Schritte. Von innen nach außen bedeutete, dass er jetzt endlich Kontakt zu Tania Redleffs aufnehmen musste. So wie er die junge Frau am Abend kennengelernt hatte, saß sie sicher heute den ganzen Tag in eine Decke gehüllt auf dem Sofa und trank Tee. Da konnte er sie auch gleich nach dem weißen Fiat Punto fragen. Domoglus Aussage zufolge, hatte sie ihn dort abgestellt. Das musste kurz vor dem Unwetter gewesen sein. Vielleicht aufgrund einer Verabredung? Burkhardt brauchte wegen der Adresse nicht mal die Zentrale zu bemühen, Tania Redleffs stand mit vollem Namen und Adresse im Telefonbuch, das war heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

      12

      Am frühen Nachmittag blickte Burkhardt am Haus der ersten Zeugin durch die verschlossene Glastür in ein weiß gefliestes, hell gestrichenes Treppenhaus und drückte auf den Klingelknopf mit dem Namen Redleffs. Nichts tat sich. Nach der Lage des Klingelknopfes zu urteilen, wohnte Tania Redleffs in der ersten Etage. Burkhardt trat unter dem Dach des Eingangs hervor und blickte hoch. Nach seiner Einschätzung musste es das Küchenfenster sein, das zur Straße hinausging. Der zur Hälfte heruntergelassene Rollladen sollte wohl vor der Sonne schützen, die am heutigen Tag nicht schien. Seufzend kehrte er zur Klingel zurück und läutete Sturm.

      »Hallo, was wünschen Sie?«, erklang eine kratzige Stimme.

      »Frau Redleffs? Kriminalpolizei Bremen, wir habe einige Fragen an Sie.« Burkhardt war sich sicher, nicht mit einer jungen Frau gesprochen zu haben, aber der Türöffner summte. Gleich im Hochparterre fing ihn eine alte, gebeugte Frau ab.

      »Warten Sie einen Moment, Frau Redleffs ist nicht da, ihre Klingel ist immer so laut. Da denke ich jedesmal, bei mir läutet jemand.« Sie schüttelte kaum merklich den Kopf mit den weißen, akkuraten Dauerwell-Locken.

      »Ich habe Sie herein gelassen, als ich hörte, dass Sie von der Polizei sind. Das habe ich mir gestern Abend ja gleich gedacht, dass etwas nicht stimmt.«

      Burkhardt blickte sie ausdrucklos an und wartete, worauf sie anspielte. Das hatte er während der Ausbildung gelernt, abwarten und keinesfalls aussagewillige Zeugen beeinflussen.

      Sie schüttelte wieder leicht die festen Locken und ergänzte: »So ausländisch wie der aussah! Und dann stand er doch tatsächlich im Unterhemd vor ihrer Wohnungstür.«

      Burkhardt verging das spontane Grinsen, als ihm klar wurde, dass er hier gerade wieder auf eine geballte Ladung von Vorurteilen gestoßen war. Da hatte Tania Redleffs also ihren Helfer mit nach Hause genommen. Oder kannte sie ihn bereits vorher?

      »Kommen Sie herein, ich kann Ihnen alles erzählen.«

      Burkhardt trat in die mit Bildern und Nippes vollgepfropfte Wohnung und wunderte sich einmal mehr, wie sehr Äußerlichkeiten das Leben beeinflussten. Nur weil er ein gepflegter Mann mit mitteleuropäischem Aussehen war, wurde er arglos empfangen, ja sogar alleine im Wohnzimmer gelassen. Frau Vogelsang, den Namen hatte er vom Klingelschild, kramte lange in der Küche nach Gebäck, obwohl er nichts wollte. Es blieb genug Zeit, alleine und in Ruhe die Schäfchen, Körbchen und Herzchen aus Porzellan in der Schrankwand aus der Nähe zu betrachten. Wie erwartet, fanden sich auch ansehnliche Ersparnisse und Goldschmuck in einem Teebehälter aus feinem chinesischem Porzellan. Vorsichtig setzte er den zarten Deckel wieder auf das Gefäß. Wie gut, dass er ein echter Polizeibeamter und kein Trickdieb war.

      Als einzige Neuigkeit in diesem von Klatsch und Tratsch geprägten Gespräch erfuhr er, dass Tania Redleffs seit etwa einem halben Jahr in einer Baguetterie arbeitete. »Und das auf vierhundert Euro Basis!« Aber sie war viel länger und öfter weg, als es zu dieser Nebentätigkeit passte. Von vierhundert Euro konnte man sich diese Wohnung und den Lebensunterhalt mitsamt Auto nicht leisten! Und dann gab es da diesen Freund, den freundlichen Wissenschaftler mit der dickrandigen Brille. Warum sie den nicht endlich heiratete? Burkhardt merkte, wie ihm der Kragen zu eng wurde.

      »Und dieser Mann von gestern Abend, kannten Sie den?«

      Frau Vogelsang schüttelte entrüstet den Kopf. »Nein, den hätte ich mir ganz sicher gemerkt, mit der auffallenden Nase. Sie müssen nämlich wissen, ich kann sehr gut beobachten.«

      »Davon bin ich überzeugt.«

      Er verabschiedete sich so freundlich wie es ging an der Wohnungstür. »Auf Wiedersehen, Frau Vogelsang«, er zögerte kurz, »wo bewahren Sie eigentlich ihr Geld auf?«

      Dies hatte er sich nicht verkneifen können. Diese alten unvorsichtigen Weiber. Erschreckt zuckte die alte Frau zurück, wurde kalkweiß im faltigen Gesicht und knallte die Wohnungstür zu. Sicher suchte sie jetzt in ihren Geheimverstecken, ob alles noch an Ort und Stelle war.

      Wenigstens wusste er jetzt, dass Tania Redleffs in einer Baguetterie arbeitete. Der Beschreibung nach kamen nur drei Läden in Betracht, die konnte er gleich abklappern.

      Im ersten Betrieb, den er aufsuchte, arbeitete keine Tania Redleffs. Aber er merkte, wie hungrig er war. Er nahm ein doppeltes Salamibaguette mit ins Auto und verschlang es mit großen Bissen. Der Polizeifunk knisterte und rauschte dabei vor sich hin. Als er auf dem letzten Stück Salami herum kaute, hörte er auf einmal genauer hin. Es ging um einen neuen Fall von Trickdiebstahl, ein jüngerer Mann hatte sich als Polizeibeamter ausgegeben und fünftausend Euro erbeutet. Darum konnten sich die Kollegen kümmern.

      Nach dieser fettigen Mahlzeit wurde Burkhardt so schläfrig, dass er kaum noch seine Augen offenhalten konnte. Er benötigte dringend ein wenig Ruhe, auch im Hinblick auf die Nachtschicht, die ihm noch bevorstand. Er stellte den Funk ab und den Sitz in Liegeposition. Der unruhige Schlaf übermannte ihn augenblicklich.

      13

      Tania polierte die Kelchgläser mit einem weißen Geschirrtuch und stellte sie in das Regalfach neben den Weinflaschen. Dabei erzeugte sie lediglich ein zartes Klirren, ein sicheres Zeichen, dass sie bester Laune war. Ganz im Gegensatz zum Vortag lief wieder alles normal, man konnte sogar sagen, ausgesprochen gut. Sie fühlte eine warme Welle in sich aufsteigen, wenn sie an den smarten Typen mit dem versalzenen Cappuccino dachte, der tatsächlich vorhin wieder aufgetaucht war. Mit seinem markanten Lächeln hatte er einen Auflauf bestellt, einen vegetarischen. Darüber war sie mit ihm ins Gespräch gekommen, denn die meisten Männer wählten Gerichte mit Fleisch. Der Typ, seinen Namen kannte sie leider noch nicht, war seit zwei Jahren Vegetarier. Aus Überzeugung, nicht weil ihn eine Freundin dazu verdonnert