Maren Nordberg

Schattenfrucht


Скачать книгу

sogar über Hirse, Quinoa und Grünkern fachsimpeln. Jedenfalls richtete er sich seine Arbeitstage jetzt immer so ein, dass zwischendurch Zeit blieb zum Laufen, Rennradfahren oder, falls ein See in der Nähe war, auch zum Schwimmen. Sein sportlich durchtrainierter Körper war ihr gleich bei der ersten Begegnung aufgefallen. Wenn er wieder kam, musste sie ihn unbedingt fragen, ob er für einen Triathlon trainierte. Und er wollte auf alle Fälle wiederkommen, weil er in den nächsten Tagen beruflich in der Gegend zu tun hatte.

      Tania blickte auf die rustikalen Tische des Baguetteladens. Wo gestern ab dem frühen Nachmittag noch Hochbetrieb geherrscht hatte, war jetzt die große Leere. Wahrscheinlich nutzten alle Leute den ersten kühlen, düsteren Tag nach langer Zeit, um es sich zu Hause gemütlich zu machen. Es drohte ein öder Abend zu werden, aber sie war viel zu gut aufgelegt, um sich zu langweilen.

      Sie zog ihr lädiertes Smartphone hervor und wunderte sich. Keine einzige neue Nachricht von Jakob, hatte er so schnell gelernt? Sie versuchte ihn anzurufen, aber landete nur auf der Mailbox.

      »Hi, ich bin´s, mein Smartphone ist seit gestern kaputt. Wie das passiert ist, kann ich dir nachher erzählen, ruf doch an, wenn du Zeit hast.«

      Sie legte auf und biss sich auf die Unterlippe. Das klang so, als ob sie gestern nicht auf seine Nachrichten regieren konnte, weil ihr Smartphone defekt war. Damit war ihre Arbeit vom Vortag zunichte gemacht. Prima, es wurde wirklich Zeit, dass sich auch in ihrem Leben etwas änderte. Das war schon wieder falsch, sie durfte nicht darauf warten, dass sich etwas änderte, sondern sie selbst musste etwas ändern. Tania konnte es sich nicht erklären, aber ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie über sich nachdachte.

      Da sie Zeit zum Grübeln hatte, während sie Besteck in rotkarierten Servietten wickelte, tauchte plötzlich wieder das Bild der toten Frau in ihrem Kopf auf. Sie spürte, wie ungefragt ein leises Frösteln Besitz von ihr ergriff. Die gute Laune erstickte. An jedes angefressene kleine Fetzchen des Augenlids konnte sie sich plötzlich wie mit einem fotografischen Gedächtnis erinnern. Oder spielte ihr die Phantasie einen Streich? So genau konnte sie die Einzelheiten doch nicht gesehen haben. Unzufrieden knallte sie die fertig gerollten Messer-Gabel-Päckchen in das Besteckkörbchen.

      Claudia, die als Franchisenehmerin diese Filiale führte, kam ohne Schürze aus der Küche. »Wie ich sehe, ist keine Kundschaft in Sicht, ich nutze die Flaute und gehe zum Friseur. Spätestens in einer Stunde bin ich wieder zurück.«

      Das war der Vorteil am Chef-Sein.

      Nun knackte nur noch die Espressomaschine leise vor sich hin und ab und zu brummte eins der Kühlaggregate. Tania meinte die Leere körperlich zu spüren, sie brauchte jetzt Leben um sich, um den grausigen Fund wieder zu verdrängen. »Besser noch, um ihn endgültig zu verarbeiten«, knurrte sie mürrisch vor sich hin. Claudia konnte sie keinen Vorwurf machen, die ahnte von den Geschehnissen des Vorabends nichts. Ob Hassan ähnliche Gefühle beschäftigten? Er hatte der Leiche schließlich auch ins Gesicht geblickt. Warum hatte er sich das überhaupt angetan? Kurzentschlossen rief sie Hassan an und lud ihn auf eine Tasse Kaffee in die Baguetterie ein.

      14

      »Hallo Hassan«, Tania sah erstaunt auf, als er kaum fünf Minuten nach ihrem Anruf auftauchte. Neben dem hohen Tresen fiel besonders auf, wie klein und schmächtig er war. Sie ging erfreut auf ihn zu und umarmte ihn freundschaftlich zur Begrüßung, es kam ihr wieder vor, als ob sie ihn schon viel länger kennen würde. »Setz dich doch, was möchtest du trinken?«

      »Was Kaltes am liebsten«, er reckte den Kopf und blickte suchend durch die Glastür des Kühlschranks, »ich nehme ´ne Cola, bitte«

      Tania stellte die koffeinhaltige Limonade, ein Bitter Lemon sowie zwei Gläser auf ein Tablett und trug es zu dem Tisch in der Ecke. Solange keine Kundschaft da war, ging es in Ordnung, wenn sie sich selbst kurz an einen der hohen Bistrotische setzte, zumindest in dieser Hinsicht war Claudia eine tolerante Chefin. Ihr in der Hosentasche unter der langen dunklen Schürze vibrierendes Handy stellte sie auf stumm.

      »Bist du wieder im Einsatz, oder warum warst du so schnell hier?«

      Hassan ließ sich Zeit mit der Antwort. Er sah im freundlich-warmen Licht der auf Augenhöhe über dem Tisch hängenden Lampe bleich und mitgenommen aus.

      »Im Einsatz ist gut, ich bin gerade auf dem Weg, meinen Dienstwagen abzugeben. Den bin ich los.«

      Er beschrieb ihr den Auftritt des Kommissars in allen Einzelheiten.

      »Der ist ein Totalausfall. Denk doch mal an gestern Abend, anstatt die Spuren zu schützen, hat er sie selbst kaputtgelatscht«, er zögerte kurz, »und mir die Gelegenheit zu einem guten Coup geboten.«

      Dieser Teil schien Hassan Freude zu bereiten, stolz zog er sein Smartphone hervor und zeigte Tania das Foto. Die zuckte zurück, als sie wieder in das zerfressene Gesicht mit der aufgequollenen Zunge blickte.

      »Diese Foto ist einiges wert, und es wird morgen exklusiv im größten Boulevardblatt erscheinen«, Hassan nahm genüsslich einen Schluck aus seinem Glas, »und warte es ab, dieses Bild wird zur Identifizierung beitragen. Bis jetzt wissen sie nicht, wer die Tote ist.«

      »Meinst du nicht, dass die Polizei den Druck noch verhindern wird?«

      »Dieser Volltrottel ist doch der Einzige, der es weiß, aber der kann nichts vorab unternehmen, sonst fällt seine Unfähigkeit auf.«

      »Bist du dir da sicher?« Tania blickte ihn sehr skeptisch an.

      »Verlass dich drauf, ich habe ihn genau durchschaut.«

      »Und dein Dienstwagen, heißt das, dass du jetzt praktisch wegen mir, weil du mir geholfen hast, entlassen bist?«

      »Ich bin nicht entlassen, nur intern degradiert.«

      »Das ist aber nicht richtig«, empörte sich Tania, »im Gegenteil, die können stolz auf dich sein! Da gehe ich morgen hin und erzähle ihnen, wie es war!« Sie redete sich in Rage. »Und wenn sie das nicht zurücknehmen, gehe ich zur Zeitung. Das ist kein gutes Zeugnis für deinen Arbeitgeber!«

      »Ich glaube nicht, dass du ihn damit erschrecken kannst, der ist gut im Geschäft.«

      »Stört es dich denn nicht, wenn du jetzt eine Sache ausbaden musst, für die du nichts kannst?« Tania wunderte sich, wie Hassan so gelassen bleiben konnte.

      »Natürlich stört es mich, aber ich bin es gewissermaßen gewohnt, Sachen auszubaden, für die ich nichts kann. Ich wollte diesen Job sowieso nicht ewig machen, nur so lange, bis ich genug Startkapital habe.«

      »Wofür?«, erkundigte sich Tania perplex. Es gab also noch andere, die ihrem Leben ab und zu eine neue Richtung geben wollten. Allerdings schien Hassan sehr konkrete Pläne zu haben, im Gegensatz zu ihr selbst.

      »Ich will mich selbständig machen, Objektschutz und Gefahrenabwehr, das kann ich auch in Eigenregie organisieren, vielleicht irgendwann mit einigen Angestellten. Ich bin schon dabei, mir die Grundausrüstung zusammenzustellen. Einen Hochleistungsrechner habe ich schon.« Er räusperte sich. »Ich meine, nur für den Fall, dass ich mal weitgehender zum Schutz recherchieren muss. Accounts überwachen, Angebote checken um Hehlerware zu entdecken. Du glaubst nicht, was man an geplanten kriminellen Aktivitäten schon vor einer Tat erkennen kann. Wie oft werden hochwertige KFZ-Ersatzteile passgenau auf Bestellung entwendet.«

      »Du meinst, damit kannst du genug Geld verdienen, ich meine, mit dem Schutz vor solchen Taten?«

      »Aber klar doch, gerade in diesen Zeiten, wo die Reichen immer reicher werden und gleichzeitig die normalen Leute mehrere unsichere Billig-Jobs nebeneinander haben müssen, um über die Runden zu kommen.« Bei diesen Worten fühlte sich Tania wie ertappt. Hassan beschrieb ihre Situation sehr treffend.

      »Und denk mal an die EU-weite Öffnung der Grenzen, was glaubst du, wie viele Leute da Angst bekommen, von bulgarischen Banden ausgespäht und ausgeraubt zu werden. Allein die Angst belebt das Geschäft. Und ich wette, unsere Tote im Pavillon hat meinem Chef gleich ein paar neue Aufträge beschert.«

      Tania