Maren Nordberg

Schattenfrucht


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ist nicht unbegründet. Man hört immer wieder von Einbrechern, die nachts am Bett der Alten stehen, sie angreifen oder knebeln, und sie ausrauben.«

      Hassan fügte nichts hinzu, er schien in Gedanken bei seinem eigenen Betrieb zu sein.

      »Aber unsere Tote kann eigentlich nicht Opfer einer solchen Raubversuchs geworden sein.«

      »Auf keinen Fall, aber freiwillig hat sie sich bestimmt nicht umgebracht.«

      »Wie kommst du darauf?«

      »In dem Alter bringt man sich mit Schlafmitteln oder mit Beruhigungstabletten um, und das vor allem in den eigenen vier Wänden. Aber die sah so nicht so aus, als ob sie ruhig eingeschlafen ist.«

      Tania dachte an die aufgequollene bläuliche Zunge. »Stimmt, vielleicht hat sie sogar Gift an diesem Steintisch vor dem Pavillon untergeschoben bekommen. Hast du auch die weiße, Tischdecke gesehen? Vielleicht hat sie sich dort mit jemandem zum Picknick getroffen.«

      »Die Decke ist mir nicht aufgefallen, aber vielleicht ist sie auf den Bildern drauf.« Er wischte auf dem Bildschirm seines Smartphones herum, bis er eine passende Aufnahme gefunden hatte.

      »Stimmt, hier auf dem Foto kann man sie erkennen.«

      »Schade, dass wir nicht für die Polizei arbeiten, da könnte man eine ganze Menge mit ein wenig Fingerspitzengefühl herausbekommen.«

      Die Tür des Baguetteladens wurde geöffnet und Tania drehte sich um. Sie erwartete Claudia mit frisch gestylten Haaren, erblickte aber den großen, breitschultrigen Polizeibeamten vom Vorabend.

      »Ach, der hat also doch noch hergefunden«, knurrte Hassan und verließ seinen Platz. »Nichts für ungut, vielen Dank für das Getränk, Tania.« Hassan dreht sich jetzt so, dass er Burkhardt gut sehen konnte und sagte zum Abschied laut in den Raum: »Ich muss jetzt den Dienstwagen abgeben.«

      Für Burkhardt wurde es eine denkbar kühle und kurze Befragung. Er blieb nur wenige Minuten im Laden, denn Tania Redleffs hatte keine Zeit für ihn. Kaum hatte dieser Hassan das Lokal verlassen, kamen mehrere Kunden gleichzeitig herein und Tania nahm in Ruhe ihre Bestellungen auf. Dann begann sie, hinter dem Tresen zu hantieren. Sie ließ ihn nach allen Regeln der Kunst abblitzen. Nein, Zeit habe sie nicht, sie sei allein im Geschäft, da hätte er eher kommen oder sich anmelden müssen. Sie blieb freundlich, aber sehr distanziert, als ob er ihr etwas getan hätte. Wer weiß, vielleicht steckte sie doch mit Hassan unter einer Decke und am Vorabend war alles fingiert.

      »Dann kommen Sie bitte morgen früh um acht Uhr aufs Polizeipräsidium.«

      Das konnten die anderen Gäste ruhig mitbekommen, Burkhardt sprach laut und deutlich. Mit einem Lächeln der Genugtuung reichte er ihr seine Karte und ging grußlos. Beim Hinausgehen hielt er einer äußerlich jugendlich gebliebenen Frau um die Fünfzig die Tür auf. Im Vorbeigehen verströmte sie einen Duft nach zu viel Maiglöckchen und frischem Haarspray. So hatte seine frühere Freundin auch immer gerochen, wenn sie vom Friseur kam. Schmerzhaft wurde ihm klar, dass sein Privatleben stark unter seinem beruflichen Werdegang litt. Seit fast zwei Jahren war er unfreiwillig Single und es hatte nicht den Anschein, als ob sich das bald ändern sollte.

      Als Burkhardt seinen Dienstwagen öffnete, schlug ihm Salami-Geruch entgegen, er sammelte das fettige Papier der ersten Bagutterie, die leere Dose des Energy-Drinks, sowie Taschentücher aus dem Fußraum und lüftete gründlich. Er wollte schließlich keinen Kachelmann machen. Als er wieder hinter dem Steuer saß, wurde er von der Zentrale angefunkt. Eine alte Dame habe einen Trickbetrüger gemeldet, der ihr fünftausend Euro gestohlen habe. Laut GPS sei Burkhardt in der Nähe und könne sich der Sache annehmen, knarrte es aus der Sprechfunkanlage. Die Frau hatte angegeben, dass sich der auffallend große, kräftige Betrüger sogar als Kriminalbeamter ausgegeben und Einlass in ihre Wohnung erbeten habe. Das Geld war in einem alten chinesischen Porzellan-Teebehälter versteckt. Burkhardt beschlich ein mulmiges Gefühl, er gab vor, gerade mit dringenden Ermittlungen im Mordfall der alten Dame im Pavillon befasst zu sein.

      Danach saß er unschlüssig im Wagen, wie gut, dass seine Fingerabdrücke in keiner Verbrecherkartei waren. Seine Position war denkbar schlecht, er war alleine in der Wohnung gewesen, hatte ohne Grund mit bloßen Händen heimlich das Teegefäß inspiziert, wie sollte er nachweisen, dass er kein Geld entwendet hatte? Jetzt musste er auf alle Fälle eine Weile warten, bis er im Präsidium auftauchen konnte.

      Wenn er sich an seine Ermittlungstaktik hielt, von innen nach außen, fehlte die genaue Begutachtung des Auffindeorts der Leiche. Seufzend startete er den Wagen und machte sich auf die Suche nach dem kleinen Wirtschaftsweg, der zum Pavillon führte. Eigentlich war es ganz praktisch, dass er derzeit Nachtschicht hatte, so konnte er später in Ruhe seine Berichte schreiben und den Kugelschreiber von Hassan zur Kriminaltechnischen Untersuchung geben. Es blieb nur zu hoffen, dass ihn sein Vorgesetzter weiterhin von allen anderen Ermittlungen abschottete.

      15

      Seit Kommissar Burkhardt die Baguetterie verlassen hatte, waren mittlerweile mehrere Stunden vergangen, aber Tania hatte sich keinesfalls beruhigt. Dieser Kerl, was dachte der sich eigentlich. So, wie er die Einladung ausgesprochen hatte, kam sie sich vor wie eine Verbrecherin. Die Gäste hatten sehr interessiert geguckt. Vielleicht sollte sie sich, wenn sie für ihre Aussage auf dem Präsidium war, gleich bei seinem Vorgesetzten beschweren. Dieser Gedanke hob ihre Laune wieder ein wenig, sie musste sich nur immer wieder klarmachen, dass sie sich nicht wie eine kleine Maus wegducken durfte. Das galt im Übrigen auch für Jakob. Sie nahm einen der schönen großen Burgunderkelche aus dem Regal und füllte ihn exakt bis zum Eichstrich. Bei Kunden waren sie immer etwas großzügiger, darauf legte Claudia großen Wert. Normalerweise trank Tania nie Alkohol während der Arbeitszeit, aber jetzt hatte sie das Gefühl, ein kleines Gläschen Rotwein könnte sie beruhigen und wieder auf andere Gedanken bringen. Nach dem ersten großzügigen Schluck trug sie ihren Verzehr gewissenhaft in die Liste ein.

      Sie lehnte sich eine Weile mit dem Rücken an die Regalwand und betrachtete in Gedanken versunken die Gäste im Raum. Es war voll, aber alle waren versorgt. Vorne am Tisch unterhielt sich ein schickes Pärchen angeregt. Sie hatte knallrot lackierte Fingernägel und trug eine sehr enge Jeans zu einem hellen Shirt. Ständig zog sie züchtig den sehr weiten Ausschnitt zurecht, so als ob sie sonst zu viel von sich preisgeben könnte, obwohl man durch den Stoff des Oberteils sowieso jedes Detail ihres BHs mühelos erkennen konnte. Der Mann, mit dem sie dort saß war eindeutig älter, aber seiner Kleidung nach zu urteilen nicht ganz mittellos. Die coole Markenjeans mit den auffallenden Nähten und der dicke Ledergürtel waren sicher nicht billig gewesen. Die hellbraunen, für Tanias Geschmack zu spitzen Halbschuhe aus feinstem Leder passten perfekt dazu. Da er die Absätze unten auf dem Barhocker eingehängt hatte, konnte Tania die Sohlen aus echtem Leder erkennen. Sie sahen aus, als ob sie nagelneu waren. Tania nahm wieder einen großen Zug aus ihrem Glas. Wahrscheinlich hatte der für seine Klamotten so viel ausgegeben, wie sie in drei Monaten hier verdiente. Was die beiden redeten, konnte sie nicht verstehen, dazu war der Geräuschpegel zu hoch. Aber rein optisch sah es so aus, als ob es zwischen den beiden angenehm knisterte. Die Frau strahlte ihn an, redete und gestikulierte, wenn sie nicht gerade am Ausschnitt zupfte oder sich aufreizend eine Locke um die Fingerspitze wickelte. Tania stellte erstaunt fest, dass ihr Burgunderglas schon leer war. Seufzend stellte sie es auf die Ablage, die zwei hatten sichtlich ihren Spaß miteinander. Ihr Fall waren so geschniegelte Typen nicht, trotzdem fühlte sie sich leicht erregt. So wie schon sehr lange nicht mehr. Sie seufzte leise vor sich hin, das wäre mal wieder schön, Sex, einfach so aus einer Laune heraus. Jakob war ihr viel zu durchorganisiert und verplant, das wurde ihr in diesem Moment wieder schmerzlich bewusst. Die ganze Leichtigkeit fehlte ihrer Beziehung, sie musste unbedingt etwas daran ändern.

      »Hey, träumst du?«

      Tania zuckte wie ertappt zusammen und drehte sich erschrocken zu ihrer Chefin um.

      »Mmmh, nein«, gleichzeitig roch sie den anbrennenden Käse. »Oh, tut mir leid, den Gemüseauflauf hab ich total vergessen.«

      Hektisch riss sie den Ofen auf und zog den ungenießbaren schwärzlichen Klumpen in der weißen Auflaufform heraus.