Maren Nordberg

Schattenfrucht


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hatte, versuchte sie, den Fahrzeugschlüssel mit der linken Hand aus der rechten Vordertasche ihrer modernen, sprich sehr engen, Jeans zu ziehen. Die rechte Hand mit der Brandverletzung war dafür nicht zu gebrauchen, allein der Gedanke, die verbrannte Haut zu berühren, ließ sie zusammenzucken. Leider hatte die Jeans recht tiefe, Smartphone taugliche, Taschen. Wenigstens hing am Schlüssel ein vernünftiger Anhänger, so dass sie mit ihren Fingerspitzen das Ohr der Phantasiefigur erwischen konnte. Sie stutzte kurz, diesen Anhänger hatte sie nur in Gebrauch, weil Jakob ihn ihr geschenkt hatte, nicht weil sie ihn schön fand. Wahrscheinlich fand Jakob den auch nicht schön und hatte ihn nur ausgewählt, weil er meinte, dass ihr so etwas Kindisches gefiele. Zweifelnd hielt sie das kleine grüne Monster mit Riesenohren ins Licht der Straßenlaterne, als sie es endlich mitsamt dem Schlüssel aus der Tasche bekommen hatte. Plötzlich hörte sie leise Schritte und sah verunsichert auf. Richtig, dort hinten war jemand. Ihr lief ein leichter Schauer über den Rücken, die Brandblasen sandten bei jedem Herzschlag neue Schmerzsignale aus. Dieses Herzrasen und die Ängstlichkeit waren neu.

      »Verdammte Leiche!«, quetschte sie leise zwischen den Zähnen hervor und starrte hinüber, konnte außer einer dunklen Silhouette vor der Baguetterie aber nichts erkennen. Dafür tanzte das entstellte Gesicht der Leiche wieder durch ihre Erinnerung. Langsam setzte sich die Silhouette in Bewegung und kam auf sie zu. Tania starrte weiter angestrengt in die Dunkelheit, bis ihr auffiel, dass sie selbst im Lichtkegel der Straßenlaterne keine gute Sicht haben konnte. Entschlossen trat sie der Gestalt entgegen, für eine Flucht war es sowieso zu spät. Sekunden später sah sie in das belustigte Gesicht des Kunden und Joggers. Tania bemühte sich, ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle zu bekommen, sie hätte vor Erleichterung heulen können. Klar, sie hatte ihm selbst ein Weizenbier im Baguetteladen angeboten, vielleicht vor einer knappen halben Stunde.

      »Da war ich wohl nicht schnell genug, die Baguetterie ist schon geschlossen«, stellte er trocken fest. Als Tania nicht antwortete, fügte er an: »Ich komme morgen wieder.«

      »Wir können das Weizen doch woanders trinken.« Tania lauschte interessiert ihren eigenen Worten. War das wieder diese spontane, unüberlegte Hilfsbereitschaft, gepaart mit unendlicher Erleichterung, oder schwang da etwas anderes mit?

      »Ich kenne eine nette Kneipe im Viertel, da ist um diese Zeit sicher noch was los.« Tania staunte über ihr eigenes Angebot, aber sie wusste plötzlich genau, was sie wollte.

      »Gerne, im Bremer Nachtleben kenne ich mich noch nicht aus«, meinte er.

      Wie selbstverständlich stiegen sie beide in Tanias Wagen, es fühlte sich eigenartiger Weise nicht einmal fremd an. An ihre Brandverletzung dachte sie erst wieder, als sie mit ihrem Handrücken an die Kupplung stieß, sie ließ sich aber nichts anmerken.

      Als sie im Bremer Szeneviertel einen der raren, engen Parkplätze erobert hatte, wusste sie, dass ihr Beifahrer Uwe hieß, siebenunddreißig Jahre alt war und derzeit beruflich in Bremen zu tun hatte. Ansonsten hatten sie sich die ganze Zeit angeregt unterhalten, viel besser noch, als das Paar am Abend im Baguetteladen. Tania fühlte förmlich, wie das Blut angenehm in ihren Adern rauschte, sie lotste ihn zielsicher in den Irish Pub, dabei hakte sie sich locker bei ihm ein. Mit Links, um ja nicht ihre verbrannte Haut zu berühren. Auch wenn sie es nicht wahr haben wollte, die Schmerzen waren ihr beständiger Begleiter.

      Seine braune Lederjacke duftete angenehm und sie musste sich anstrengen, nicht durch sein volles, dunkles Haar zu streichen. Dazu war es noch zu früh, aber sie wusste, dass sie sich beide einig waren, worauf es in dieser schönen, sternenklaren Nacht hinauslaufen würde.

      Sie bestellten beide ein Guinness an der Theke und blieben genau wie viele andere Besucher einfach stehen, weil nirgends mehr ein Platz frei war. Tania genoss es, seiner ruhigen, dunklen Stimme zuzuhören. Alles andere verlor sich unwirklich im feuchten Dunst des engen Kneipenraums. Unauffällig betrachtete sie seine Hände, entdeckte aber keinen Ring. Eigentlich war das auch egal, dieser Abend gehörte ihnen beiden. Immer mal wieder wurden sie aneinander gedrängt und Tania meinte, seinen Atem in ihrem Haar zu spüren. Langsam leerten sie ihre Gläser und Tania spürte, wie sich immer mehr entspannte. Er stand jetzt hinter ihr und sie schmiegte sich vorsichtig an ihn. Als sie seine Wange seitlich an ihrer spürte, überschwemmte sie eine warme Welle. Sie wandte sich vorsichtig um und ihre Lippen fanden sich. Erst tastend, dann immer fester. Sie spürte seinen durchtrainierten Körper und sie freute sich mit jeder Faser ihres Körpers auf das, was noch kommen würde. In diesem Moment wurde ihr klar, dass es mit Jakob nie so gewesen war.

      »Komm, lass uns zahlen.« Sie musste Jakob jetzt wieder aus ihrem Kopf bekommen.

      17

      In der kühlen Nachtluft blieben sie nach wenigen Metern stehen und Uwe umschlang ihre Taille mit beiden Armen. Zärtlich und doch bestimmend zog er sie an sich und Tania spürte seine forschende Zunge zwischen ihren Lippen. Langsam gab sie nach. Dann fasste er sie an beiden Unterarmen und schob sie ein wenig von sich. Als sich ihre Blicke trafen, fuhr es ihr in den Magen und noch tiefer. So hatte sie es sich immer gewünscht. Spielerisch lockerte er seinen Griff und nahm fest ihre beiden Hände, da zuckte sie getroffen zusammen.

      »Ahhh«, sie ging fast in die Knie. Sofort lockerte er seinen Griff und sah sie besorgt an. Die Brandverletzung forderte ihren Tribut. Sie riss ihre verletzte Hand im Reflex zurück und drückte vor Schmerz gekrümmt beide Handballen fest zusammen, als ob das den Schmerz lindern könnte. Uwe wartete augenscheinlich auf eine Erklärung, aber Tania biss weiter die Zähne fest zusammen und blinzelte die Tränen weg, die sie sich nicht ganz verkneifen konnte. So ein verdammter Mist, da erlebte sie gerade den Anfang eines wunderschönen Traums und dann verhagelte ihr diese Brandverletzung alles, das durfte sie nicht zulassen. Ihr Gegenüber war jetzt nicht nur besorgt, sondern auch energisch. Tania ließ es geschehen, als er entschlossen ihre Handgelenke packte und die Hände ins Licht einer Schaufensterbeleuchtung hielt. Als er die angeschmorte Haut mit den dicken Brandblasen entdeckte, pfiff er leise durch die Zähne.

      »Mensch, Tania, wie ist das denn passiert? Warum hast du nichts davon erzählt?« Sie zuckte nur die Schultern und kämpfte gegen Übelkeit an. »Fährst seelenruhig mit mir in eine Kneipe, anstatt zum Arzt!«

      »So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht, da brauche ich doch keinen Arzt.« Tania hatte glücklicherweise ihre Sprache wiedergefunden. Diesen Abend ließ sie sich nicht nehmen, die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden waren so ungewöhnlich, da ließ sie sich von so einer blöden Verletzung nicht aufhalten.

      »Tania, das muss richtig versorgt werden, damit es sich nicht entzündet!«

      »Quatsch, die Blase ist doch auf, wenn ich das jetzt steril verbinde, passiert schon nichts. Zum Arzt kann ich immer noch gehen. Und Schmerzen habe ich auch kaum noch, wenn nicht gerade jemand darauf herumdrückt...« Dabei sah sie ihn schräg von unten an, was nicht seine Wirkung verfehlte.

      »Dann halten wir aber gleich bei einer Apotheke, die Notdienst hat und besorgen Verbandsmaterial.«

      Auf dem kurzen Weg zum Auto liefen sie stumm nebeneinander her.

      »Dann reich mir mal den Wagenschüssel, ich fahre.«

      Uwe sagte das so bestimmt, dass sie nicht zu widersprechen wagte. Aber an der Apotheke ließ sie es sich nicht nehmen, mit auszusteigen. Ihr Verbandsmaterial wollte sie selbst bezahlen. Dass sie nicht mehr genug Bargeld hatte, machte nichts, es ging auch mit EC-Karte. Als sie vor der Nachtklappe der Apotheke warteten, fuhr sie ihm leicht mit dem Bein an der Wade entlang und spürte seine sanfte Erwiderung. Ein Glücksgefühl durchströmte sie, der Abend ging weiter.

      »Wir fahren zu mir«, diesmal war sie diejenige, die keinen Widerspruch duldete. Was sie nicht sagte, war der Grund: Jakobs uraltes Meerschwein, das sonst die ganze Nacht nach Futter pfiff und die neugierige Alte in der Wohnung unter ihr vogelig machte.

      18

      Tania hatte nicht gewusst, dass sie zu solchen Gefühlen fähig war. In ihrer Wohnung füllte sie als erstes zwei schwere Gläser mit Whiskey. Noch im Stehen nahmen sie den ersten