Maren Nordberg

Schattenfrucht


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einen doppelten Espresso und als Nachtisch noch einen. Dazwischen aßen sie beide eines der üppigen Nudelgerichte, mit dem schwindenden Hunger stieg Verena Bellmanns Stimmung, eine lockere Plauderei kam in Gang. Sie verhielten sich beide professionell und wechselten während der Pause kein einziges Wort über die Obduktion der Toten. Dann machte er allerdings einen Fehler. Er wandte sich um und rief: »Fräulein, die Rechnung bitte!«

      »Wie bitte«, zischte ihn Verena Bellmann an und es kam Burkhardt so vor, als ob ihre knalligen Haare Funken der Verachtung versprühten.

      »Entschuldigen Sie, wenn es Ihnen so wichtig ist, können Sie Ihre Rechnung selbst zahlen...«, zuckte Burkhardt zurück, da hatte er sich in ihr getäuscht. Er war kurz davor gewesen, Verena Bellmann einen gemeinsamen Kinobesuch vorzuschlagen, seine Nachtschichten waren bald beendet. Jetzt sah sie jedoch nicht zufriedener aus, eher im Gegenteil.

      »Wo leben Sie eigentlich?« giftete sie ihn aus ihrem nach dem Essen weniger roten Mund an. Er fragte sich, ob sie ihren Lippenstift noch auffrischte, bevor sie wieder ins Institut hinüber gingen. Irgendwie gefiel sie ihm so wütend, wie sie war. Er lehnte sich zurück und ließ Ausdrücke wie »Chauvinist« und »Macho« über sich ergehen, bis sie ihm endlich entgegen schleuderte: »Fräulein, das es heute tatsächlich noch jemanden gibt, der dieses Wort benutzt!«

      »Aber, das ist doch üblich, was soll ich denn sonst sagen? Hallo? Frau Oberin? Bedienung?«

      Burkhardt merkte, wie seine Mundwinkel verdächtig zuckten. Hoffentlich sah sie nicht, dass er sich kaum das Lachen verkneifen konnte. Aus seiner Sicht gab es viel Wichtigeres, über das man sich aufregen konnte. »Die Emanzipation der Frau muss sich auf ganz anderen Ebenen entfalten, nicht auf diesem Nebenschauplatz.«

      »Gerade die Sprache ist wichtig, sie transportiert die dominante Männersicht unreflektiert weiter!«

      So konnte man sich täuschen, Burkhardt hatte Verena Bellmann für umgänglicher gehalten als die Kolleginnen im Präsidium, dabei war sie viel giftiger. Aber auch direkter, sie forderte ihn geradezu heraus, deshalb hielt er ihr entgegen: »Die deutsche Sprache ist unvollkommen, ihr fehlt der französische Charme. In Frankreich wird dauernd das Wort Madame benutzt, zum Beispiel wenn man sich entschuldigt, oder wenn man sich grüßt, dann heißt es locker und freundlich Pardon Madame, Bonjour Madame oder eben auch Bonjour Monsieur. Und was sagt man im Deutschen? Guten Tag Frau? Meine Dame? Wenn man den Namen der Betreffenden nicht kennt, steht man blöd da oder man wirkt total altmodisch.«

      »Es wird höchste Zeit, dass die gesamte Politik feministisch wird. Schweden ist ein gutes Beispiel, die Menschen dort haben ein völlig entspanntes Verhältnis zum Feminismus. Die Außenministerin hat schon 2014 erklärt, dass das Land eine feministische Außenpolitik verfolge. Damit ist gemeint, dass Frauen nicht nur die gleichen Rechte wie Männer haben sollen, sie müssen auch mit am Tisch der Entscheider sitzen und den gleichen Zugang zu Ressourcen haben.«

      Ehe er sich versah, waren sie mitten drin in einer lebhafte Diskussion, in deren Verlauf sie zwangsläufig beim Thema Frauenquote ankamen. Verena Bellmann war ausgebildete Medizinische Fachangestellte, im Volksmund Arzthelferin genannt. Und sie hatte es satt, sich in einer Praxis von einem Mann herum kommandieren zu lassen, deshalb war sie zum Institut für Rechtsmedizin gewechselt, das einem großen Klinikverbund angegliedert war. So wurde sie nach einem Tarif bezahlt, der keinen Unterschied zwischen Mann und Frau machte. Burkhardt konnte sich gerade noch die Bemerkung verkneifen, Mädchen, warum suchst du dir auch einen Beruf aus, in dem man keinen Meister machen kann, der dazu noch ein typischer Frauenberuf ist? Stattdessen erkundigte er sich unschuldig, ob sie es denn auch mal in der Praxis einer Ärztin versucht habe. Darauf ging sie nicht mehr ein, weil das Fräulein jetzt mit der Rechnung am Tisch stand. Während er die gesamte Rechnung beglich, zog sie sich noch schnell die Lippen nach.

      Die Sonne schien nicht mehr und feuchte, kühle Luft strich durch seine dünne Stoffhose, als sie auf die Straße traten. Auf dem kurzen Rückweg zum Institut blieb Verena Bellmann unerwartet stehen. »Verdammt, jetzt ist Herr Doktor Müller-Lanz nicht mehr da, sein Wagen steht sonst immer auf diesem Parkplatz.«

      Burkhardt sah auf seine Uhr, fünfzehn Uhr, sie waren eine gute Stunde außer Haus gewesen. Der Herr Rechtsmediziner nahm sich also sehr wichtig, Verspätungen empfand er offensichtlich als zu strafende Missachtung seiner Person. Den Kommissar kratzte das wenig, so hatte er Gelegenheit, sich noch länger mit Verena Bellmann zu unterhalten. Mit ihrer direkten, impulsiven, allem Feminismus zum Trotz extrem weiblichen Art brachte sie die Dinge sehr gut auf den Punkt, sie fungierte quasi als Filter und Verstärker der Untersuchungsergebnisse. Den Bericht mit neutralen Fakten konnte er sich später immer noch durchlesen. Als sie sich im Besprechungsraum wieder setzten, spürte er einen Hauch Freude, obwohl sie nun wieder in das schwere Thema einsteigen mussten.

      »Das bitte noch einmal ganz genau!« unterbrach Burkhardt nach einer langen Konzentrationsphase. Er hatte das erste Mal, seit er in diesem Fall ermittelte das Gefühl, auf etwas Wichtiges gestoßen zu sein. Er drückte seinen verspannten Rücken durch und lauschte ihrer Wiederholung.

      »Der Schnelltest des Mageninhalts auf gängige toxische Verbindungen ist negativ. Das hat mich sehr verwundert, denn aufgrund der äußeren Anzeichen ist der Tod sehr wahrscheinlich auf eine Vergiftung zurück zu führen.«

      »Hat dieser Befund Herrn Dr. Müller-Lanz bewogen, auch andere Körperflüssigkeiten, etwa das Blut, ebenfalls zu testen?«

      Sein Gegenüber verneinte stumm. Burkhardt beschlich in diesem Moment das Gefühl, dass der Rechtsmediziner bereits zu diesem Zeitpunkt gegen ihn gearbeitet hatte. Das konnte ja noch was werden, viele Rechtsmediziner gab es in Bremen nicht.

      »Sind diese Tests dem Sparzwang zum Opfer gefallen?«, erkundigte er sich möglichst neutral.

      »Mir steht ein Urteil darüber nicht zu. In der Pathologie am Klinikum, wo ich einige Monate ausgeholfen habe, geht es in über neunzig Prozent der Fälle um Gewebeanalysen lebender Menschen. Die Kollegen dort müssen oft noch während der Operation eines Patienten Ergebnisse liefern, die den Fortgang des Eingriffs beeinflussen. Hier in der Rechtsmedizin hat man mehr Zeit. Natürlich wird an allen Ecken gespart, und diese Schnelltests kosten natürlich etwas. Außerdem erhalten Sie die Ergebnisse nach der umfangreichen Laboranalyse sowieso.«

      Burkhardt starrte die Assistentin fassungslos an. »Wann sind die Ergebnisse zu erwarten? Frühestens morgen? Vielleicht auch erst in ein paar Tagen?« Er rutschte mit dem Holzstuhl vom Tisch weg, das hässlich schabende Geräusch hallte ebenso wie vorhin Verenas Lachen, obwohl der Raum nicht groß war.

      »Es ist für die Ermittlungen unabdingbar, so schnell wie möglich sowohl die Art des Gifts als auch den Einnahmezeitpunkt einzugrenzen. Bei Gift ist es doch immer möglich, dass noch weitere Personen durch die gleiche Quelle gefährdet sind!«

      Er schüttelte den Kopf. »Das ist doch unglaublich, ich setze Himmel und Hölle in Bewegung, um die letzten Kontaktpersonen zu ermitteln, dabei müssen wir vielleicht einen ganz anderen Zeitraum betrachten!«

      Nach diesem Satz stockte er kurz, wenn er ehrlich war, hatte er noch nichts wirklich in Bewegung gesetzt, aber es wurde höchste Zeit. Je länger ein Mordfall unaufgeklärt war, desto wahrscheinlicher blieb er es auch. Er musste unbedingt Kontakt zur Nichte der Toten aufnehmen, egal wo diese gerade war. Oder sollte er erst die Nachbarn befragen? Am besten beides! So hatte er auch allen Grund, sich nicht zu früh im Präsidium blicken zu lassen. Er wandte sich wieder der Assistentin zu, die ihn gerade etwas fragend anblickte.

      »Schlafen Sie eigentlich noch, bevor Sie mit der Nachtschicht beginnen?«

      Ob er bereits so furchterregend aussah? Er hasste Fragen nach seinem Befinden ebenso wie Äußerungen über sein Aussehen. Das war seine Privatsache, deshalb überging er sie geflissentlich.

      »Hat der Herr Doktor denn wenigstens einen Verdacht notiert, um welche Art von Gift es sich handeln könnte?«

      »Nein, aufgeschrieben hat er nichts, aber er meinte, dass es sich um eine Verbindung handeln müsse, die in die Zellteilung eingreift. Eher ein pflanzliches Gift, das sehr langsam gewirkt hat. Ach ja, und Alkohol, wahrscheinlich irgendeinen klaren Schnaps oder