Maren Nordberg

Schattenfrucht


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»Ich mach mal schnell die Ladentür auf, damit der Gestank abzieht.« Sie hielt sich den brennenden Handrücken und unterdrückte Tränen, während sie mit schnellen Schritten den Laden durchquerte.

      Prima, sie musste nachher unbedingt noch mit Claudia sprechen, vielleicht hätte sie heute doch lieber nicht arbeiten sollen. Sie fühlte, wie die ersten Tränen über die heißen Wangen liefen und bückte sich, um den Türstopper unter dem Regal hervor zu ziehen. Dann öffnete Tania die schwere Glastür, keilte sie fest und trat in die Dämmerung hinaus. Sie brauchte frische Luft. Ihre Hand glühte, die Tränen flossen jetzt ungehindert. So konnte sie unmöglich hinter den Tresen zurückkehren.

      Am besten, wenn sie niemand so sah, vor allem nicht die Gäste. Unschlüssig ging Tania ein paar Schritte die Straße entlang. Warum taten Brandverletzungen auch immer so weh? Sie biss die Zähne zusammen und ärgerte sich über sich selbst. Ohne nachzudenken bog sie in einen der kleinen Verbindungswege ein, die aufgrund alter Regelungen für die öffentliche Nutzung bestimmt waren. Sie mutmaßte immer, dass die Kirche für diese Regelung gesorgt hatte, damit die Kirchgänger auf kürzestem Weg zum Gottesdienst gelangen konnten. Vorsichtig pustete sie über den immer mehr schmerzenden Handrücken. Zwischen den hohen Buchenhecken fühlte sie sich erstaunlicherweise geborgen und das leichte Rascheln der kräftigen Spätsommer-Blätter tröstete sie sogar ein wenig. Sie schüttelte den Kopf, da war wieder diese Sache mit dem subjektiven Eindruck, der über Geborgenheit oder Angst entschied. Sie kam zu einem kleinen Platz, der geschützt zwischen den alten Bauernhäusern lag. Ohne nachzudenken ließ sie sich auf die wuchtige Holzbank sinken und hauchte kühle Luft über den Handrücken. Wie lange sie hier verharrt hatte, wusste sie nicht so genau, als sie das gleichmäßige, fast federnde Geräusch eines nahenden Joggers vernahm. Auf alle Fälle war es inzwischen fast dunkel geworden und ihre Gesichtshaut spannte von den getrockneten Tränen. Unschlüssig stand sie auf und machte sich auf den Rückweg, hoffentlich war Claudia nicht zu sauer. Der Jogger kam ihr entgegen, sie konnte ihn jetzt schemenhaft erkennen. Er trug dunkle Kleidung, aber die Reflektorstreifen an Schuhen, und am Oberteil erstrahlten in jedem kleinsten Lichtschein, der sich seinen Weg von der Straße bis hierher bahnte. Um ihn vorbei zu lassen, stellte sie sich nah an die Hecke. Der Jogger lief aber nicht an ihr vorbei, sondern stoppte kurz vor ihr, Tania zuckte instinktiv zurück. Sie fühlte, wie ihr Herz kurz aussetzte um dann so stark zu schlagen, dass es sich wie ein lautes Trommeln anhörte. Sie setzte an, um zu schreien, aber es kam allenfalls so etwas wie ein Räuspern aus ihrer Kehle.

      »Ich hätte gerne ein alkoholfreies Weizen!«, hörte sie die Person sagen. Tania schwankte, war sie jetzt schon ganz durcheinander? Die Ereignisse des letzten Abends hatten sie auf alle Fälle sehr schreckhaft werden lassen, so viel stand fest. Aber sie befand sich hier auf einem dunklen Fußweg und nicht im Baguetteladen.

      Langsam dämmerte ihr, dass sie diese Stimme kannte.

      »Hey, alles klar?«

      Tania zuckte ruckartig zurück, denn der Mann machte einen Schritt auf sie zu.

      »Entschuldigung, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber Sie tragen doch noch die Schürze aus dem Baguetteladen, das weiße Logo leuchtete mir hier im Dunkeln förmlich entgegen.«

      Stimmt, diese Stimme kannte sie wirklich. Sie gehörte dem netten Unbekannten, mit dem sie sich so gut über vegetarische Kost unterhalten hatte. Nach Quinoa wollte sie ihn noch fragen, fiel ihr ein, aber das passte jetzt nicht. Sie merkte, dass sie schon wieder viel zu lange stumm geblieben war.

      Ihr Gegenüber machte einen halben Schritt zurück, zog etwas aus der Tasche und erhellte die Szene kurz darauf mit dem diffusen Licht seines Smartphones.

      »Sagen Sie, ist alles in Ordnung, haben Sie Feierabend?«

      »Klar, alles ok.« Tania hatte endlich ihre Sprache wiedergefunden. »Kommen Sie doch gleich noch auf ein Weizen vorbei, ich bin im Dienst.«

      Er schien zu zweifeln und hielt das Handy höher, wahrscheinlich, um ihr Gesicht besser zu sehen. Hoffentlich bemerkte er nicht ihre vom Weinen verquollenen Augen. Entschlossen wandte sich Tania ab, sie musste jetzt endlich zurück.

      Claudia stand tatsächlich vor dem Laden und hielt nach ihr Ausschau. »Mensch, Tania, ich habe mir schon Sorgen gemacht, was ist denn nur los mit dir?«

      »Alles in Ordnung, das mit dem Auflauf tut mir leid, kommt nicht wieder vor.«

      »Das meine ich nicht, erst dieser Polizeibeamte, der dich vor allen Gästen ins Präsidium beordert, dann das Glas Rotwein, wo du sonst nie auch nur einen Tropfen Alkohol während der Arbeitszeit trinkst und jetzt diese Sache mit dem Auflauf. Was macht eigentlich deine Hand?« Die letzte Frage überging Tania, aber sie interessierte sich brennend, wie Claudia so schnell von der Vorladung aufs Präsidium erfahren hatte. Denn ihre Chefin hatte die Baguetterie erst betreten, als der Unsympath gerade ging, Tania konnte sich sehr gut an seinen leicht entrückten Blick erinnern.

      »Wer hat von diesem Polizei-Trottel erzählt?«, entfuhr es ihr

      »So was spricht sich rum, Tania!«

      Claudia hatte jetzt harte Züge um die Mundwinkel. Sie war die Chefin, sie musste den Laden am Laufen halten und Gerüchte konnten das Geschäft verderben, so einfach war das Ganze.

      »Es geht um eine Zeugenaussage, das ist alles.« Tania schleuderte ihr diesen Satz abschätzig entgegen. Wenn Claudia ihre Missbilligung schon vorher zur Schau trug, hatte sie keine Einzelheiten verdient. Tania durchquerte erhobenen Hauptes den Gastraum und kehrte zielstrebig hinter den Tresen zurück. Dort begann sie, die inzwischen ausgekühlten Folgen ihrer Unachtsamkeit aus der Auflaufform zu kratzen. Das gelang ihr nur teilweise, also trug sie die Form nach hinten in die Küche, füllte sie bis zum Rand mit Wasser und gab Spülmittel dazu. Zum Glück waren nur noch wenige Tische besetzt, so dass es bis zum Feierabend nicht mehr so lange dauern konnte. Ihre Hand brannte noch immer wie Feuer, und wenn sie den Handrücken auch nur leicht berührte, trieben ihr die Schmerzen Schweißperlen auf die Stirn.

      Sie räumte vorsichtig die Spülmaschine ein und hatte wieder Zeit zum Grübeln. Claudia würde ihr ganz bestimmt nicht kündigen, und wenn schon, vielleicht wäre das genau der richtige Zeitpunkt! Jeder vernünftige Mensch wäre mit solch einer Verbrennung sofort zum Arzt gefahren. Nachdenklich betrachtete sie die verbrannte Haut und die mächtigen Blasen, die sich auf dem Handrücken inzwischen aufgewölbt hatten.

      »Und ich erfülle meine Pflicht weiter, bis zum Umfallen!«, knurrte sie vor sich hin. Diese Eigenschaft war schon mal eine gute Voraussetzung, um sich selbständig zu machen. Ihr gingen Hassans Überlegungen durch den Kopf und fand immer mehr Gefallen am Gedanken, ein eigenes kleines Unternehmen zu gründen, oder sie tat sich sogar mit Hassan zusammen und sie bündelten ihre Kräfte. Vor allem musste sie endlich richtig erwachsen werden, aufhören, es immer allen Leuten recht zu machen. »Ich werde es ab jetzt mir recht machen«, presste sie zwischen den Zähnen hervor, »und ich werde Claudia nicht die Geschichte erzählen und um Verständnis betteln.«

      »Ich schließe jetzt vorne ab!«, hörte sie Claudia rufen. Das war Musik in ihren Ohren, die Gäste waren weg. Jetzt musste sie nur noch das restliche Geschirr reinigen und die Vorräte auffüllen. Sie hörte Claudias Schritte näher kommen.

      »Danke, Tania, es reicht für heute, du kannst gehen.«

      Tania schoss das Blut ins Gesicht, war das schon der Anfang der Kündigung? Es war noch nie geschehen, dass Claudia sie gehen ließ, wenn keine andere Aushilfe bereit war, die restliche Drecksarbeit zu übernehmen. Aber sie verkniff sich gerade noch rechtzeitig das Angebot, doch wenigstens noch schnell zu fegen. Stattdessen löste sie sofort ihre Schürze, hängte sie ordentlich an den Haken und verabschiedete sich freundlich.

      Als sie auf der Straße stand, stieß sie einen langen Atemstoß aus, ihre erste Lektion hatte sie erfolgreich beendet. Mal sehen, welche Übungsmöglichkeiten ihr die Zeugenaussage am kommenden Vormittag im Polizeipräsidium bot.

      16

      Tanias Wagen parkte nur wenige Meter von ihrer Arbeitsstelle entfernt. Langsam schlenderte sie hinüber und freute sich, als ein Windstoß