Maren Nordberg

Schattenfrucht


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unter sein T-Shirt schob, bremste er sie abrupt aus.

      »Erst die Pflicht: Wo ist das Verbandszeug!« Sie musste sich auf das Sofa setzen und ihr enges langärmliges Shirt ausziehen. Zugegebenermaßen war das Verbinden ihrer Brandverletzung sehr schmerzhaft, besonders weil Uwe großzügig das Desinfektionsspray auf ihrem Handrücken verteilte. Während das Spray einwirkte, ließ sie zischend Luft durch ihre zusammengebissenen Zähne entweichen. Er hielt beruhigend ihren Kopf und liebkoste ihre Wangen. Ruhig und bestimmt. Sie spürte seine Bartstoppeln und rieb sich vorsichtig daran. Es fühlte sich himmlisch gut an, als ob alles so sein sollte. Als er die sterile Kompresse auf die verletzte Haut legte, hielt sie die Luft an. Danach riss er die Folie der Mullbinde auf und begann, die Kompresse zu fixieren. Er wickelte den Verband recht fest, Tania zuckte. Er ließ sich aber nicht beirren: »Schsch, das soll doch halten.« Und sie meinte zu fühlen, wie er noch ein wenig fester wickelte.

      Mehr als eine Stunde später wusste sie, warum er so fest gewickelt hatte. Langsam und beharrlich hatte er sie immer weiter getrieben, sie gehalten und auch immer wieder angehalten. In ihrem Kopf raste es, er schien sie wie ein geübter Tänzer hin und her zu wenden und spielend leicht zu beherrschen. Er streichelte sie, bis sie das Gefühl hatte zu explodieren, während sie ihn dort liebkoste, wo es ihm besonders gefiel.

      »Nicht schlecht, für das erste Mal mit uns beiden.«

      Er lag jetzt neben ihr und lächelte sie offen an. Tania beantwortete die Feststellung mit einem zarten Kuss. Es dauerte eine Weile, dann hörte sie seine regelmäßigen Atemzüge. Sie betrachtete noch lange seine schmale Nase und den sinnlichen Mund, bevor sie neben ihm in einen erschöpften, leichten Schlaf fiel.

      19

      Der Rhythmus war wieder da, es erschien ihm wie eine Befreiung, die frische Luft tief in die Lungen zu ziehen. Obwohl er als Apotheker an der Quelle saß, half er bei seiner Fitness nicht mit irgendwelchen Mittelchen nach. Finanziell lief es spitzenmäßig, es war der richtige Schritt gewesen, sich auf diese Weise zu verändern. Aber das war bei einer so gewählten Klientel nicht anders zu erwarten, die Nachfrage würde weiter ansteigen, der Alterspyramide sei Dank. Gleichmäßig setzten die leisen Sohlen der Laufschuhe auf, die Beine streckten sich abwechselnd durch und federten in den nächsten Laufschritt. Mit dem Handel von Apparaturen war Schluss. Das Internet war zwar anonym, aber trotzdem hatte vor kurzem eine Kundin in seiner Apotheke gestanden und nach einem eigenartigen Medikament, genauer gesagt nach einer speziellen Pille gefragt. Davon hatte er noch nie etwas gehört, aber die Frau war kaum davon zu überzeugen gewesen, dass sie auf einen blöden Spaß hereingefallen war. Wenn es denn ein Spaß war, sie hatte im Gespräch immer wieder einen Namen erwähnt, so als hoffe sie, dass ihr das Codewort die Türen öffnen werde.

      Diesen Namen kannte er, das hatte er sich natürlich nicht anmerken lassen. Es war der Deckname seines besten Kunden, den er zwar niemals persönlich kontaktierte, für den er aber im Laufe der Jahre diverse Laborgeräte und Grundstoffe geliefert hatte. Dass es sich offensichtlich nicht um ein legales Labor handelte, hatte ihn nicht weiter gestört. Er war nur Vermittler dieser Geschäfte gewesen. Gleich nachdem er diese penetrante Kundin losgeworden war, hatte er sicherheitshalber alle Accounts im Netz gelöscht, die ihm gefährlich werden konnten. Die benötigte er sowieso nicht mehr nach der Neuausrichtung seiner Geschäftsfelder.

      Er setzte seinen Weg durch die kühle Landluft fort. Wie gut, dass die starke Stirnlampe wenigstens einen kleinen Teil des Asphaltweges beleuchtete, denn die Nacht war mondlos und stockdunkel. Aber die Runde zwischen den Wiesen war Routine und der asphaltierte Weg glücklicherweise neu und glatt, er wies keinerlei Schlaglöcher oder Stolperfallen durch Baumwurzeln auf. Nach der nächsten Biegung kam wie gewohnt der erste kurze Spurt bis zur kleinen Brücke. Im Dunkeln kam ihm sein Sprint rekordverdächtig schnell vor. Am Brückengeländer waren die Dehnübungen an der Reihe. Gegen das Geländer gestützt, dehnte er die hintere Beinmuskulatur. Das zog ganz schön, aber die Muskeln sollten sich nicht durch das Laufen verkürzen. War da hinten ein Geräusch? Es musste ein Tier gewesen sein, wer sollte hier um diese Zeit schon sein? Hoffentlich folgte ihm kein Wolf. Ein leichter Schauer kroch ihm über den Rücken. Der Wind strich leise durch die Gräser auf den Weiden und in der Ferne hörte man eine Kuh brüllen. Was raschelte denn jetzt dort im Gebüsch? Der Strahl der Stirnlampe reichte nicht aus, um richtig zwischen die Zweige zu leuchten. Die Nerven waren wohl überreizt, durch die beruflichen Aktivitäten sowie sein ehrenamtliches Engagement in der Region. Es gehörte dazu, dass er seinen guten Ruf in der Öffentlichkeit pflegte. Er war pausenlos auf Achse, von nichts kam nichts und die Konkurrenz schlief nicht. Ein Zweig knackte in nächster Nähe, er zuckte zusammen. Der Leichenfund auf dem Grundstück der Marwedes ließ die Phantasie tanzen, auch wenn er das seiner Frau gegenüber niemals zugegeben hätte. Sie nahm sowieso alles immer so ernst, sprach von Berufsehre und war stolz, aus einer alteingesessenen Apothekerfamilie zu stammen. Dabei konnte niemand seine Herkunft beeinflussen. Wohl aber den eigenen Lebensweg. Ohne ihn und sein sicheres Gespür, in spezialisierte Geschäftsbereiche vorzudringen, könnte sie sich weder ihre Pferde noch ihren Range Rover leisten. Ganz zu schweigen von den Urlauben in Luxus-Resorts in den USA, die sie so liebte. Die Gewinne einer einfachen Apotheke waren Peanuts dagegen. Er war allerdings sehr froh, dass sie sich nicht mehr oft in den Geschäftsräumen blicken ließ. Je weniger sie sah, desto besser.

      Er ging in den Ausfallschritt und begann mit der nächsten Dehnübung.

      Wenn die beiden Marwedes aus ihrem Karibikurlaub zurückgekehrt waren, wussten sie vielleicht Konkretes über die Tote auf ihrem Anwesen zu berichten, er musste sowieso wegen der Schwierigkeiten bei der Klimatisierung mit Marwede sprechen. Diese neuen Räume in Lilienthal, die er vom alten Fuchs Marwede gemietet hatte, waren viel größer und außerdem noch um einiges günstiger. Perfekt, um die neuen Geräte aufzustellen und das Geschäft in diese Richtung auszubauen. Die Probleme mit der Raumtemperatur waren zwar besonders im Sommer ärgerlich gewesen, aber es war niemandem aufgefallen. Und jetzt war erstmal Herbst. Bei Marwede war er in guten Händen, der war gut vernetzt und kannte sich mit Treuhandverträgen und allen Varianten von Darlehen aus. Jetzt kam aber wirklich ein leises Räuspern von dort irgendwo.

      »Hallo, was machen Sie da?« Irritiert zog er die Stirnlampe vom Kopf und riss sich dabei einige seiner halblangen lockigen Haare aus. Mit der Stirnlampe in der Hand konnte man auch nicht viel mehr sehen. Oder kam das Räuspern doch von der anderen Seite? Verärgert fuhr er herum, aber niemand antwortete ihm. Der Schlag auf den Kopf kam unerwartet. Er wollte sich wehren, schlug aber ins Leere. So, als ob es gar keinen Gegner gibt, dachte er noch, als ihn der nächste wuchtige Schlag mitten auf den Schädel traf. Er spürte nicht mehr, wie er heftig vornüber auf die Knie und gegen das Brückengeländer schlug.

      20

      Kommissar Burkhardt trank den letzten Tropfen aus der Dose mit dem Red-Bull-Imitat, es schmeckte nicht gut, erfüllte aber hoffentlich seinen Dienst. Seine Schicht war um zehn Uhr am Vormittag genauso wie am Vortag schon lange beendet, aber er wollte sich auch heute, dem zweiten Tag nach dem Fund der Leiche im Pavillon, nicht zu früh von seinem Arbeitsplatz entfernen. In die Sache mit der alten Dame kam Bewegung, kurz nach Erscheinen des Fotos, das dieser Domoglu tatsächlich an ein Boulevardblatt verschachert hatte, waren die ersten Hinweise eingegangen.

      Müde blinzelte er in die Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Jalousien seines Bürofensters bahnten. Es hatte durchaus Vorteile, in einem Gebäude zu arbeiten, dass eigentlich als Kaserne erbaut worden war. Die Räume waren streng in Reih und Glied angeordnet und ein Fenster genau so groß wie das andere. Man fand sich gut zurecht, es gab lange, übersichtliche Flure und in alle Räume fiel gleich viel und vor allem auch genügend Tageslicht. Er blies gedankenverloren in Richtung der Jalousie und brachte damit das Licht-Schattengemälde in Aufruhr.

      Als das Telefon endlich klingelte, zuckte er erschrocken zusammen. Die Assistentin aus der Rechtsmedizin meldete sich: »Ja, wie Sie es vermutet haben, die Nichte hat die Tote als Dagmar Bieberstein identifiziert.«

      »Vielen Dank, dass Sie mir das auf direktem Wege mitteilen.« Burkhardt lächelte bei seiner Antwort, die Assistentin hatte er zwar bisher nur einmal gesehen,