Georg Schmuecker

Holderhof


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war, der Medienrummel begann und Blaschek Drohungen gegen ihn und seine Familie ausstieß, war seine Frau kurzerhand mit den Kindern ausgezogen.

      Es war ein Warnschuss, und er verstand ihn. Danach hatte es in ihrer Ehe die üblichen Höhen und Tiefen gegeben, aber alles in allem war es eine erfüllte Zeit.

      Riemke bezweifelte, dass Blaschek wirklich keine Gefahr mehr darstellte. Plötzlich sah er seine Augen wieder vor sich, den hasserfüllten Blick, mit dem Blaschek ihn angesehen hatte, während sein Mund die Worte "dat zahl ich dir heim" formten. Riemke fielen die anonymen Briefe ein, die ihn nach der Verurteilung erreicht hatten. Er war nie dahinter gekommen, wie Blaschek es anstellte, aber die Briefe kamen unzweifelhaft von ihm. Riemke zwang sich, nicht an die Briefe und deren kranken Inhalt zu denken.

      Janson, der jetzige Leiter der Abteilung für Kapitalverbrechen, hatte ihm zugesagt, Blaschek nach dessen Entlassung beschatten zu lassen. Aber wie lang würde er das aufrecht erhalten können. Spätestens nach zwei Wochen würde er sich für die Stunden der Observierung, die vier Beamten, die für die lückenlose Beschattung notwendig waren, rechtfertigen müssen. Angst hatte Riemke nicht, hatte er nie gehabt, nur ein undefiniertes Unwohlsein.

      Sein Handy klingelte. Auf dem Display konnte er sehen, dass es sein Sohn war.

      "Hallo Stefan, mein Junge" meldete er sich, und trat wieder auf die Veranda.

      Stefan Riemke hatte eine Anwaltskanzlei, die, obwohl erst vor wenigen Jahren gegründet, bereits einen ausgezeichneten Ruf genoss. Nach dem Jurastudium hatte er einen MBA in Marketing gemacht und sich auf Medienrecht spezialisiert. Dank seines charmanten Auftretens knüpfte er schnell Kontakte. Das markante Kinn und die strengen Augenbrauen hatte er von seinem Vater, die blauen Augen und die schmale Nase von seiner Mutter. Mit seinen 1,90m und den breiten Schultern war er schon immer ein Frauenschwarm gewesen.

      "Was es Neues gibt?", fragte Stefan Riemke.

      "Was soll es Neues geben im Leben eines pensionierten Witwers?" Er versuchte Zeit zu gewinnen, während er überlegte, ob er Stefan von Blaschek erzählen sollte. Stefan würde sich nur unnötig Sorgen um ihn machen. Damals war er 16 Jahre alt gewesen und die ganze Geschichte um Blaschek und die Drohungen gegen seinen Vater, die ihm seine Klassenkameraden mit der Bild-Zeitung unter die Nase hielten, hatten ihn sehr bedrückt.

      Nach einem tiefen Seufzer begann er zu erzählen. Sein Sohn würde es sowieso erfahren.

      Zu seiner Überraschung wusste Stefan bereits Bescheid.

      "Eine meiner Anwaltsgehilfinnen hatte mal was mit einem Wärter in Ossendorf und die beiden telefonieren schon mal", sagte Stefan.

      Ein leichtes Misstrauen, Ergebnis seiner jahrelangen Arbeit als Ermittler, erfasste ihn, als er die Aussage seines Sohns hörte. Er schalt sich einen alten Narren und beglückwünschte Stefan zu seinem guten Netzwerk.

      "Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, was soll einem alten Mann schon passieren."

      "Du blöder, alter Egomane, ich mache mir Sorgen um meine Kinder", fuhr im sein Sohn über den Mund.

      Riemke wollte schon zurückschnauzen, als ihm klar wurde, dass sein Sohn Recht hatte. Blaschek war ein Kindesentführer und wusste, dass er ihn mehr treffen würde, wenn er seinen beiden geliebten Enkeln etwas täte als ihm. Riemke kratzte sich am Hals.

      "Du hast recht. Tut mir leid. Meine Dienststelle wird sich um ihn kümmern", sagte er kleinlaut.

      Das Schnauben am anderen Ende der Leitung konnte er schwer deuten, entschied sich aber, es für Erleichterung zu halten. Er hatte getan, was er konnte, um Blascheks Aufenthalt im Knast zu verlängern und ihm Sicherheitsverwahrung einzubrocken. Jetzt konnte er nur hoffen, dass die Gutachter richtig lagen.

      „Wie geht es sonst so, mein Sohn?“

      „Die gleichen Sorgen wie immer. Was nützt mir mein guter Ruf, wenn die Einnahmen von den horrenden Mietkosten aufgefressen werden. Kein Mensch braucht die überzähligen Büroflächen, die Denger in seinem Größenwahn angemietet hat.“

      „Wenigstens bist du Dr. Denger los.“

      „Ja, aber der Mietvertrag den er unterzeichnet hat gilt noch für fünf Jahre.“

      „Was machen meine Lieblingsenkel?“

      „Hast du etwa noch andere?“

      „Trotzdem sind es meine Lieblingsenkel.“

      „Laura versucht uns mit Handytelefonaten zu ruinieren. Aber wir haben sie jetzt auf Pre-Paid umgestellt. Da ist nach 50 Euro im Monat Schluss. Und Leo denkt, er schafft das Gymnasium, ohne Hausaufgaben zu machen. Zwei Engel also.“

      „Ich erinnere mich an einen Jungen, der die 7. Klasse doppeln musste, und der in einem Sportgeschäft erwischt wurde, wie er Fußballschuhe um etikettierte, um sie billiger zu machen.“

      „Erzähl das bloß nie Leo und Laura.“

      „Oh, mir fallen noch viel bessere Geschichten aus der Oberstufe ein.“

      „Ist ja schon gut. Sie sind wunderbar und es geht ihnen gut.“

      „Ja, Kinder kommen nicht auf andere Leute.“

      „Hältst du mich auf dem Laufenden bezüglich Blaschek?“

      „Klar, mach ich gerne. Bis dann“, sagte Riemke und legte auf.

      Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Was würde er tun, wenn Laura oder Leo etwas passierte. Er wusste es nicht. Ihm wurde plötzlich kalt.

      April, Bonn

      Sonja Sandel wachte weinend auf. Es war der gleiche Traum wie seit fünfzehn Jahren.

      Anfangs war er jede Nacht gekommen, immer gleich, nur manchmal leicht abgewandelt. Dann, nach der Behandlung nur noch zwei oder drei Mal die Woche. Später träumte sie ihn nur noch ein oder zwei Mal im Monat. Es war immer derselbe Traum. Sie sah ihren Sohn, wollte ihn erreichen, wollte ihn warnen, rief ihn, aber er hörte sie nicht. Dann kam die Nachricht und sie fiel in ein tiefes Loch.

      Sie wusste, dass die Nacht für sie vorbei war. Die Uhr zeigte wie immer viertel vor fünf. Sie stand auf, ging ins Bad und dann leise ins Wohnzimmer und las. Meist war es seichtes Zeug, das sie ablenken sollte. Bücher aus einer heilen Welt, in der das Gute gewann, die Guten schön waren und glücklich wurden. Auch sie waren eine schöne, reiche und glückliche Familien gewesen, aber das Glück hatte geendet am 13. November 1989. Lukas war auf dem Weg zum Tennisverein. Wie so viele Jungen hatten die Wimbledonsiege von Boris Becker und Michael Stich seinen Ehrgeiz angestachelt. In der Nähe des Klärwerkes Rodenkirchen war er zum letzten Mal gesehen worden. Jemand hatte einen parkenden weißen Lieferwagen in der Nähe beobachtet. Weitere Spuren gab es nicht. 24 Stunden später ging eine Lösegeldforderung ein. Als der Beweis erbracht war, dass Lukas noch lebte, wurde das Geld beschafft. Mittlerweile hatte die Presse von der Entführung erfahren. Berichte über die Familie und geerbtes Vermögen erhöhten die Lösegeldforderungen. Die Entführer wurden wegen des Medienechos extrem vorsichtig. Mehrfach änderten sie die Modalitäten der Geldübergabe. Das Team von Karl Riemke leitete die Operation auf Seiten der Polizei. Die Geldübergabe erfolgte auf Wunsch der Eltern komplett ohne Polizei. Das Leben des Jungen hatte absolute Priorität. Lukas Freilassung war für genau zwei Stunden nach der Geldübergabe vereinbart. Die Zeit hätte den Entführern gereicht, um das Geld zu prüfen und unterzutauchen.

      Dann nahm das Unglück seinen Lauf. Ein übereifriger Journalist sah Peter Sandel das Haus verlassen und folgte ihm. Es regnete heftig. Sandel bemerkte den Reporter nicht. Er nahm ein Taxi zum Bahnhof. Dort bestieg er den Regionalzug von Köln nach Aachen. Auf ein verabredetes Signal warf er eine Sporttasche mit dem Geld aus dem Zugfenster. Der Reporter hatte zwischenzeitlich einen Kollegen informiert, der dem Zug mit dem Auto folgte. So kam es, dass, kaum dass die Entführer die Tasche auf einem selten befahrenen Forstweg an sich genommen hatten, dort der Reporter auftauchte. Männer zwangen ihn auszusteigen, knebelten ihn und fesselten ihn an einen Baum.

      Unterdessen nahm der