Metin Buz

Wer hat Gerlinde Bauer getötet?


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der Konzern einen Amerikaner als Geschäftsführer: James Kiser. Der war kleinwüchsig, etwas rund, hatte einen großen, kugeligen und kahlen Kopf mit einem rötlichen Gesicht. Er sprach nur Eng-lisch und war nicht bereit, Deutsch zu lernen. Er war auch nicht bereit, Kunden zu besuchen. Sein Motto war: ‚Sie wollen unser Produkt, also sollen sie zu uns kommen‘. Die Kunden, vorwiegend Autohersteller, waren zu Recht verärgert, ließen sich diese Arroganz nicht gefallen und zeigten ihm die kalte Schulter. Die Aufträge wurden noch weniger und die Lage noch schlechter.

      Anscheinend war der Konzernspitze die Entwicklung nicht verborgen geblieben. Denn nach nur acht Mona-ten ließ sie ihm einen Deutschen folgen, Hartmut Lehnhoff, der vorher schon in der Konzernzentrale als Finanzdirektor weltweit tätig gewesen war und den Job in Deutschland zusätzlich übernehmen sollte. Er dachte intensiv über seine eigene Situation nach und kam zu keinem guten Ergebnis. Auch, dass seine deut-sche Frau ihm die Rückkehr nach Deutschland verwei-gert und es vorgezogen hatte, mit den beiden Kindern zu ihrem amerikanischen Friseur zu fliehen, trug weder zur Hebung seiner Laune noch zur Steigerung seines Arbeitseifers bei. Als er Villbeck übernahm, stand er regelrecht unter Schock, war unkonzentriert und über-wiegend mit sich und seinen eigenen Problemen be-schäftigt. Dabei hatte er eine so steile, vielver-sprechende Karriere hinter sich. Er hatte in Villbeck seinerzeit als Finanzanalyst angefangen, war wenig später zum Controller ernannt, und wiederum kurz danach als Finanzdirektor Europa nach London beor-dert worden. Nach zwei Jahren hatte man ihn nach Amerika versetzt und schließlich als Geschäftsführer wieder nach Deutschland abgeordnet. Gewiss hatte der Konzern sich einiges von Lehnhoff versprochen, in Deutschland kannte er sich ja aus. Aber auch Lehnhoff pflegte keine Kundenkontakte und schrieb keine neu-en Aufträge. Folglich wurden die Geschäfte auch dies-mal nicht besser.

      Nach einigen Monaten wurde er kommissarisch von Erwin Schubert ersetzt, einem esoterisch angehauch-ten Männlein, das mit autoritärem Gehabe seine Kleinwüchsigkeit zu überspielen und sich Respekt zu verschaffen bemühte. Die von New York beauftragten Unternehmensberater suchten währenddessen eifrig nach einem Geschäftsführer von dauerhafter Perspek-tive. Die ersten beiden Kandidaten, angeblich ‚Top-leute‘, hatten kurz vor Vertragsabschluss abgesagt. Schließlich hatte Kai Hallmann, der Mann dritter Wahl, unterschrieben und die Geschäftsführung mit Wirkung zum März 2000 übernommen. Zugleich wurde die Suche nach neuen Führungskräften für Deutschland intensiviert — für die Koordination der Personalabtei-lungen, nach einem neuen Director Operations, einem Director Quality und einem Director Finance. So wurde die Geschäftsleitung nach und nach ausgewechselt. Die Neuen kamen. Ihr Ruf eilte ihnen rascher voraus, als sie tatsächlich leibhaftig im Werk erscheinen konnten.

      Bei einigen in der Belegschaft wirkte schon dieser Ruf wie eine frische Brise. Bei anderen löste er Skepsis aus.

      Unter dem Strich aber überwog Freude. Endlich! Nach langer Führungslosigkeit hatte die Belegschaft eine neue Führung. ‚Nun geht es endlich wieder aufwärts‘, dachte man. ‚Neue Manager, neue Ideen, die uns aus dem Schlamassel ziehen werden‘. Die neuen Manager grüßten jeden, sie lachten und sprachen ruhig und gelassen, und sie trugen keine Krawatten. Die meisten fühlten sich in ihren positiven Erwartungen bestätigt. Doch schon bei der ersten Betriebsversammlung, auf der die neuen Manager und die neue Strategie des Unternehmens vorgestellt wurden, betonte man im-mer wieder, wie notwendig es für den Fortbestand des Unternehmens sei, in sämtlichen Bereichen zu sparen. Insgesamt müssten die Personalkosten erheblich re-duziert werden, um einige Arbeitsplätze retten zu kön-nen und marktfähig zu bleiben.

      Und tatsächlich meinten auch Teile der Belegschaft, das sei der richtige Weg. Und sie zählten der neuen Geschäftsleitung in allen Einzelheiten so fachmännisch wie naiv alles auf, was es nach ihrer Einschätzung an überflüssigen Funktionen im Betriebsablauf alles gäbe — ohne einen Gedanken auf die Folgen dieser Äuße-rungen zu verschwenden. Bei anderen sah man den Schock in den Gesichtern. Sie rochen den Braten, erkannten Altbekanntes, denn die Methoden waren gleich geblieben. Nur im Verhalten unterschieden sich die ‚Erneuerer‘" wirklich von den Alten. Die Neuen hatten sich Verbindlichkeit verordnet und Monotonie. Die Neuen brachten es fertig, in ein und demselben Ton zu lachen, zu schimpfen und zu drohen, ohne jede Änderung des Gesichtsausdrucks. Sie grüßten einen Mitarbeiter mit demselben nichtssagenden Lächeln, mit dem sie ihm seine Entlassung ankündigten und, schlimmer noch!, wussten dabei nicht einmal die Namen derer, die sie gerade begrüßt oder entlassen hatten. Am schlimmsten aber war ihre Überzeugung, dass ausreichende Gewinne nur mithilfe neuer Struk-turen erzielt werden könnten: Dass die vorhandenen alten Strukturen, Arbeitsmethoden und Vergütungs-modelle untauglich seien und zerstört werden müss-ten. Dass die Standorte der Werke so nicht bleiben könnten, weil sie nicht effizient genug seien. Sogar im gleichen Land spielten sie die vorhandenen Standorte ständig gegeneinander aus.

      Schon bald stellte sich heraus, dass den Neuen die Produktkenntnisse fehlten und dass sie keinerlei Erfah-rung im Umgang mit Kunden hatten. Wie auch? Sie hatten keine örtliche Bindung. Sie identifizierten sich nicht mit dem Unternehmen. Trotz ihrer lässigen Ver-haltensweise ging ihnen eine wirkliche Nähe zu den Mitarbeitern ab. Ihr Bezug zur Realität entlarvte sich als unzureichend, denn als sie versuchten, die neuen Arbeitsmethoden, von denen sie schwadroniert hat-ten, umzusetzen, (natürlich zulasten funktionierender Abläufe, Positionen und Bereiche), lief nichts zusam-men, und noch dazu verriet ihr ganzes Verhalten, dass ihre Planung nicht wirklich durchdacht war. Sie scheuten sich davor, weitreichende Entscheidungen zu treffen, als hätten sie Angst vor dem Verlust ihres Status. Sie gingen kein Risiko ein. Sie taten nichts (oder, wenn sie was auch immer taten, zu wenig ener-gisch), um die angestrebten Veränderungen durchzu-setzen. Konsequenz und Entschlusskraft demonstrier-ten sie eigentlich nur dann, wenn es darum ging, be-stimmte Positionen abzuschaffen. Und alle, die die von ihnen vorgegebenen Strategien kritisierten, wurden als nicht anpassungsfähig abgestempelt, degradiert, in Ecken geschoben oder entlassen. Ein scheinbar nicht enden wollender, zermürbender Umstrukturierungs- und Organisationsprozess begann, der nicht nur kost-spielig war, sondern auch die Atmosphäre im Betrieb noch zusätzlich belastete. ‚Der Fisch stinkt vom Kopf her‘, sagt das Sprichwort, und sein Geruch breitete sich rasch quer durch den Betrieb bis in die letzte Pro-duktionshalle aus. Die Vorschusslorbeeren der Neuen waren schnell verdorrt, die Euphorie auch der letzten Unterstützer in der Belegschaft war rasch verschwun-den. Ernüchterung und Hoffnungslosigkeit begannen, Oberhand zu gewinnen. So ging ein Auftrag nach dem anderen verloren, der Marktanteil schwand und schwand.

      Auch das Unternehmen, dieser weltweite Konzern, spürte Erosion am eigenen Leibe. Die profitverwöhnte Konzernleitung in Nordamerika, getroffen wohl mehr von den Auswirkungen der Globalisierung als von de-nen der Rezession, ergriff in blindem Aktionismus wie so oft kurzsichtige Eilmaßnahmen, die freilich nur Schaden anrichteten. Erfolgreiche Manager wurden Knall auf Fall geschasst, eine völlig neue Strategie von oben mit aller Macht der Zentrale (per Videokonferen-zen, zahllosen Einzelgesprächen und Veranstaltungen auf den unterschiedlichen Organisationsebenen) mit Nachdruck diktiert und nach außen als Stein der Wie-sen lauthals verkündet.

      Im Betrieb Villbeck betraf die nächste Personalände-rung die Personalleitung. Die dortige Leiterin, Heike Schultheiß, hatte wie ihre Kolleginnen und Kollegen in der ganzen Welt an der von New York live geschal-teten Videokonferenz teilgenommen und sich wie die-se anhören müssen, dass Personalleiter fortan höhere Anforderungen zu erfüllen hätten. Ab sofort müssten sie bei der Strategiebestimmung des Konzerns aktiv mitzuwirken imstande sein. Und diese Fähigkeit auch einbringen. Als Personalleiter müsse man körperlich sehr sehr mobil sein und geistig höchst flexibel. Um sparen zu können. Sparen. Einsparungspotentiale er-kennen und realisieren. Denn Profit steigern sei das primäre Ziel des Unternehmens. Und des Personal-leiters. Den Profit steigern. Der Personalleiter als Human Resources Manager habe schnelle Entschei-dungen, unangenehme Maßnahmen zu ergreifen. Er habe zu sparen. Sparen. Sparen, das bedeute für den Human Resources Manager: Aktiv und ständig Spar-möglichkeiten eruieren. Welche Abteilung arbeitet ebenso effektiv mit weniger Mitarbeitern? Wo ist einer zu viel? Wer ist zu oft krank? Sparen. Sparen, das heißt: Profit steigern. Und Profit braucht der Konzern. Der Human Resources Manager arbeitet also mit dem Ziel, Profit zu steigern. Mit dem Ziel, auch drastische Spar-pläne zu erarbeiten und umzusetzen. Zu sparen. Spa-ren und Profit steigern. Mit den Mitarbeitern ener-gischer umgehen, ihre Anzahl reduzieren. Sparen. Pro-fit steigern. Auch mal spektakuläre Entlassungen