Dagny Kraas

Dämonentreue


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ich Männer kennengelernt habe, brauchen sie dann und wann einen ordentlichen Brummschädel.«

      Mar‘Tian schwieg noch einen Moment, doch dann löste sich sein Ärger in einem Lächeln.

      »Du hast ja Recht. Und um ehrlich zu sein«, fügte er ironisch hinzu, »bin ich froh, dass er Tikos und nicht unseren Weinkeller leer gesoffen hat. Denn das braucht es wohl, um einen Dämon von seiner Statur bis zur Besinnungslosigkeit zu bringen.«

      Cridan grinste nur, warf sich Camros Zügel über die Schulter und ließ die beiden stehen.

      Als er mit seinem Pferd den Stall betrat, herrschte hier bereits fröhlicher Lärm. Marud‘shat und Raggal waren da, und da sie die meisten der Männer und Frauen kannten, war die Wiedersehensfreude dementsprechend groß. Um Cridan herum flogen Gespräche und Lachen über die Stallgasse, während er Camro absattelte, ihm Wasser brachte und ihn striegelte, bis er glänzte wie poliert.

      Seine Gedanken waren jedoch nicht bei der Sache. Er dachte an Béo und was in der Nacht, an die er sich nicht erinnern konnte, wohl passiert sein mochte. Sie hatte ihm zwar davon erzählt, doch er war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie den einen oder anderen Teil ausgelassen hatte. Weshalb, das konnte er nur raten – und sicherlich zum hundertsten Mal wünschte er sich, er hätte nicht ganz so viel getrunken.

      Drei Tage später brachen sie nach Q‘ada auf. Zu Cridans Überraschung kam Mar‘Tian mit ihnen. Er hatte seine Arbeit kurzerhand liegen gelassen, seinen Hengst gesattelt und ritt mit ihnen zur Küste.

      Leider konnten jedoch weder Raggal, Cridans Freund und Schüler, noch Marud‘shat mit ihnen reisen. Sie waren wie Cridan formal Geiseln, und so sehr Mar‘Tian ihnen auch vertrauen mochte, musste er doch die Form wahren. Obwohl Cridan die beiden gerne auf seiner Reise dabei gehabt hätte, musste Raggal genau wie Marud‘shat in der Burg bleiben. Politik war eben Politik.

      Es war ein langer Tross, der sich schließlich die Straße zum Hafen hinabbewegte: Neben den fünfzig T‘han T‘hau und rund hundertzwanzig Soldaten bestand er aus einem Arzt mit seinen zwei Assistenten, drei Köchen und ihren Hilfsjungen, einem Tischler mit seinem Gesellen, einem Segelmacher, einem Dutzend Knechten, einem Schneider und seiner Frau, einem Waffenschmied der T‘han T‘hau und nicht zuletzt den vier Kammerzofen, die als Begleitung für Béo gedacht waren.

      Cridan hatte die vier Frauen, von denen eine schon etwas älter war und ausgesprochen resolut wirkte, nur kurz in Augenschein genommen. Sie waren allesamt ausnehmend hübsch, das musste er zugeben, vor allem die jüngste der vier, doch keine von ihnen weckte wirkliches Interesse in ihm. Er hatte sich nicht einmal ihre Namen gemerkt. Zu seiner Erleichterung wirkten sie alle jedoch recht vernünftig, und keine von ihnen hatte auch nur den Ansatz dazu gemacht, Béo bemuttern oder bevormunden zu wollen.

      Voller Vorfreude sah er also der Seereise entgegen. Die Aussicht, endlich wieder auf einem Schiff über das Meer zu segeln, ließ sein Herz heftig gegen die Rippen pochen, und jetzt, wo sie sich dem Moment näherten, da er wieder Schiffsplanken betreten würde, war er aufgeregt wie ein kleiner Junge.

      Q‘ada war noch immer die laute, quirlige Hafenstadt, als die Cridan sie in Erinnerung hatte. Die Straßen waren voller Menschen, die bereitwillig und ein wenig ehrfürchtig Platz machten, als Mar‘Tian, Béo und Cridan sich an der Spitze des Zuges näherten, und ihnen neugierig entgegen sahen.

      Sie folgten der leicht abschüssigen Straße hinunter zum großen Hafen, wo sich schier endlos ein Schiff an das andere reihte. Überall herrschte hektische Betriebsamkeit, wurde Ladung von Bord gebracht oder neue Ware verstaut. Zwischen den vielen dickbäuchigen und beinahe behäbig wirkenden Handelsschiffen fiel der schlanke Rumpf der Herz von Gantuigh schon von weitem ins Auge.

      »Ach, Cridan«, sagte Mar‘Tian plötzlich, »ich muss mich entschuldigen! Ich habe ganz versäumt, dir zu sagen, dass die Herz von Gantuigh euch nicht übersetzen wird. Sie muss noch überholt werden. Ein paar Segel sind instand zu setzen, der Rumpf gehört überprüft… Das Übliche eben. Sie ist leider noch nicht fertig.«

      Cridan war es, als hätte man ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen, doch seine in Jahrzehnten erlernte Beherrschung verbarg die Enttäuschung hinter einem ungerührten Gesichtsausdruck.

      »Nun ja«, erwiderte er betont gelassen und hob die Schultern, »ein Schiff ist wohl so gut wie das andere, um uns nach Initim zu bringen.«

      »Tatsächlich?« Mar‘Tian hob die Brauen. »Ich wage das zu bezweifeln, trotz meiner geringen Kenntnisse der Seefahrt. Daher hoffe ich, dass der Ersatz, den ich aufgetrieben habe, deine Zustimmung findet. Sie liegt gleich hier.«

      Sie passierten die Herz von Gantuigh. In ihrem Schatten erhob sich ein ebenso schlankes, nur geringfügig kleineres Schiff, dessen Bug sich stolz über die Kaimauer reckte.

      Mit einem halblauten Keuchen griff Cridan so hart in die Zügel, dass Camro empört schnaubend auf die Hinterbeine stieg. Cridan bemerkte es kaum.

      »Das… Das ist die Falkenflug!« stammelte er. »Das ist Tikos Schiff!«

      »Du irrst dich«, lächelte Mar‘Tian nachsichtig. »Die Falkenflug ist nicht Tikos Schiff. Es ist deines. Hier, nimm!«

      Mit diesen Worten zog er eine Rolle Pergament aus seiner Satteltasche und drückte sie Cridan in die Hand.

      Cridan starrte abwechselnd darauf, auf das Schiff und auf Mar‘Tian.

      »Die Falkenflug ist mein Schiff?« fragte er ungläubig. »Aber wie… Wo hast du sie gefunden? Wie ist sie hierher gekommen?«

      »Ach, Schiffe wie dieses fallen auf«, sagte Mar‘Tian leichthin. »Der Eigner war bereit, es einzutauschen. Danach gehörte es mir. Und ich gebe es wiederum dir, als Lohn und Entschädigung für alles, was du in meinem und Tikos Namen für Gantuigh getan hast.«

      Cridan sah ihn an. Ihm fehlten die Worte.

      Langsam glitt er aus dem Sattel, fiel vor Mar‘Tians Hengst auf die Knie und senkte den Kopf in einer ebenso dankbaren wie demütigen Geste, während er darum rang, seine Fassung wiederzuerlangen.

      »Mein König«, sagte er stockend, »es gibt keine Worte, die ausdrücken könnten, was ich empfinde.«

      Auf Alt-Gantuigh fügte er hinzu: »Du bist zu großzügig zu mir.«

      Mar‘Tian lächelte, sprang vom Pferderücken und zog Cridan auf die Füße.

      »Sag das nicht«, meinte er. »Zeig mir lieber dein Schiff! Außerdem warten zweihundert Männer und Frauen auf dein Kommando, an Bord gehen zu dürfen.«

      Cridan nickte wie betäubt. Er konnte es noch immer nicht fassen.

      »Gib mir einen Moment«, bat er. »Nur einen kleinen Moment, um meine Gedanken zu ordnen.«

      Mar‘Tian nickte und trat mit Béo taktvoll ein Stück zur Seite.

      Cridan drehte sich zu seinem Schiff um.

      Kein Zweifel, es war die Falkenflug! Sie sah genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte: Ihr hoher Bug thronte über seinem Kopf, der schlanke Rumpf wiegte sich elegant im Wellenschlag, und der Mast ragte beinahe majestätisch in den blauen Frühlingshimmel.

      Er sah wieder auf das Pergament in seiner Hand, entrollte es und starrte lange auf die eng geschriebenen Zeilen, die ihn als Eigner der Falkenflug auswiesen. Das Siegel mit dem Wappen von Gantuigh war noch frisch, das Wachs leuchtend rot. Es konnte nicht älter als ein paar Tage sein.

      Das ist mein Schiff, ging es ihm durch den Kopf. Wirklich und wahrhaftig mein Schiff!

      Als ihm allmählich klar wurde, dass er tatsächlich nicht träumte, konnte er die Freude nicht mehr unterdrücken. Wie oft hatte er sich gewünscht, die Falkenflug sei sein eigener Segler – und jetzt war dieser Traum Wirklichkeit geworden!

      Mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht drehte er sich zu den anderen um:

      »Alle Mann an Bord!«

      Nicht viel später stand er auf dem