Dagny Kraas

Dämonentreue


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mich töten könnte.«

      »Wie leicht ich dich töten könnte«, berichtigte Cridan ruhig. »Vertue dich nicht, Béo: Jeder zweite Mann dort draußen wäre froh, wenn er nur eine halb so gute Figur abgäbe wie du es heute getan hast. Du bist gut, ganz ohne Zweifel, und dein Stil trägt eindeutig Mar‘Tians Handschrift. Er hat dich viele Dinge sehr gründlich gelehrt; die musst du nur regelmäßig üben. Aber andere Sachen hat er dir nicht gezeigt – vielleicht mit Absicht. Das sind die Dinge, die ich dir beibringen kann.«

      Er machte eine Pause, in der er sich die Zeit nahm, das Gemüse zu essen. Es war lecker, stellte er fest und war einmal mehr dankbar für die Köche und die ganze Küchenmannschaft, die Mar‘Tian seinem Tross mitgegeben hatte. Die Leute verstanden ihr Handwerk.

      Dann wandte er sich wieder Béo zu.

      »Du denkst noch viel zu viel über das nach, was du tust. Und du bist zu langsam. Du beobachtest die Hiebe, was bedeutet, dass du für deine Reaktion nur die Zeit hast, die der Schlag braucht, um sein Ziel zu treffen. Verdammt wenig Zeit, wenn du an jemanden wie mich gerätst. Zu wenig Zeit, um ehrlich zu sein. Du musst den Kämpfer beobachten, musst wissen, was er tun wird, bevor er es tut. Und das musst du lernen. Du musst lernen, in den Bewegungen eines Kämpfers zu lesen. Ich will, dass du genau zusiehst, wenn die anderen üben. Aber achte nicht auf ihre Reaktionen, sondern achte auf ihre Aktionen, auf das, was sie tun und wie sie sich bewegen. Welche Haltung welchen Hieb bedeutet, welcher Schlag welche Haltung voraussetzt. Das ist nicht einfach, und es wird dich noch so manche Frustration lehren, aber es ist die Grundlage dafür, wirklich gut zu werden. Wenn du nur jemanden willst, den du besiegen kannst, dann geh nach draußen und such dir einen beliebigen Mann aus. Wenn du allerdings lernen willst, was du noch nicht kannst, wirst du auch lernen müssen damit umzugehen, dass ich dich in einer Stunde so oft auf die Bretter schicken werde, wie es mir gelingt. Du wirst sehen, es wird weniger werden.«

      »Ich weiß«, seufzte sie, »aber es ist so frustrierend, das Gefühl zu haben, ich könnte gar nichts! Du hast mich heute gefühlte einhundert Mal umgebracht!«

      Cridan legte ihr sanft eine Hand auf den Unterarm.

      »Nimm es nicht so schwer. Ich sagte doch schon: Es wird weniger werden.«

      Béo starrte auf die blau und golden gemusterten Schuppen an seinem Handrücken hinab.

      »Wie macht sie das?« fragte sie unvermittelt. »Wie macht Ajula es, dass sie sich nicht an euren Schuppen schneidet?«

      Er zog seine Hand zurück.

      »Übung«, entgegnete er trocken.

      Béo beugte sich vor und berührte vorsichtig die starken Schuppen auf seinen Schultern, wo sie unter dem ärmellosen Hemd hervorragten. Hier und am Brustkorb waren die Hornplatten am dicksten und stärksten, dennoch spürte er ihre Berührung überdeutlich.

      Abrupt nahm er ihre Finger in seine, stand auf und zog sie mit sich hoch.

      »Ich zeige es dir«, erklärte er. »Du wirst es ohnehin für den Unterricht lernen müssen, wenn wir nicht jedes Mal bei ernsthafteren Übungen ein Blutbad anrichten wollen. Der Kniff besteht darin, an den richtigen Stellen zuzupacken und die Schuppen in die richtige Richtung zu belasten. Legst du die Arme um meinen Hals, ist es recht einfach, weil der Zug schon mit der Wuchsrichtung verläuft.«

      Er fasste ihre Hände und legte sie in seinen Nacken. Béo musste dafür so dicht vor ihm stehen, dass sie mit der Nase beinahe seine Brust berührte.

      »Wenn du dich allerdings an meinen Schultern festhalten willst«, er schob ihre Hände ein Stück nach unten, bis sie die kräftige Wölbung seiner Schultermuskeln unter ihren Fingern hatte, »wird es schwieriger. Du musst dein Gewicht dort tragen, wo du die Schuppen nach unten drückst, also hinten. Hier vorne darfst du nicht zu sehr zupacken. Wenn du dich festhalten willst, immer von meiner Körpermitte weg! Dann legen sich die Schuppen flach und können dir nichts anhaben. Was du tunlichst vermeiden solltest, sind Schläge mit der bloßen Hand von unten nach oben oder ein Zurückdrücken meiner Arme.«

      »Ja, oder deines ganzen Körpers«, bemerkte sie sarkastisch. »Danke, das habe ich schon gemerkt.«

      Er lachte.

      »Auch das wirst du üben müssen«, erwiderte er, ohne weiter auf ihre Worte einzugehen. »Ich bin mir sicher, dass es auch bei Ajula nicht ohne schmerzhafte Erfahrungen abgegangen ist.«

      Er machte eine Pause.

      »Willst du es probieren?« fragte er dann.

      Sie hatte schnell begriffen. Es fiel ihr leicht, ihn an den Unterarmen oder Handgelenken zu packen, aber sie tat sich schwer damit, ihn in die Brust zu stoßen oder seine Schultern zu greifen.

      »Du bist einfach zu breit«, meinte sie lachend. »Ich kann deine Schultern nicht umfassen! Da ist es leichter, sich an dich zu hängen!«

      Sie sprang hoch, schlang blitzschnell ihre Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihm fest.

      Er senkte den Kopf und sah sie an. In ihren blauen Augen spiegelte sich das Licht, das durch das Fenster fiel, ebenso wie sein eigenes Gesicht, und doch war es, als könnte er durch sie hindurchsehen.

      Er verdrängte die Gedanken, die sich ihm aufdrängen wollten, und fasste sie mit beiden Händen um die Hüfte.

      »So ein Fliegengewicht wie du würde mich nur kaum beeinträchtigen«, sagte er und grinste. »Ich würde dich einfach abpflücken wie eine lästige Klette.«

      Er hielt sie mit ausgestreckten Armen vor sich.

      Béo sah mit gehobenen Brauen auf seine Muskeln, die unter der Anstrengung hervortraten, ließ seinen Hals los und legte beide Hände auf seine Oberarme. Er spürte, wie sie darüber strich, als er sie behutsam wieder auf den Boden setzte, und es ließ ein seltsames Gefühl in ihm aufsteigen.

      »Wir müssen vorsichtig sein«, sagte er leise. »Es ist ein verdammt heißes Feuer, mit dem wir spielen.«

      Béo schluckte.

      »Ich dachte, du wärst dir sicher, dass es keinem von uns wirklich gefallen würde?«

      »Das bin ich nach wie vor«, bestätigte er – nur zu gut wissend, dass er sie belog, »mehr denn je. Dein Blick, als ich dir befohlen habe, dich hinzuknien… Oh, ich dachte schon, ich wäre zu weit gegangen. Ja«, er nickte, »ich bin mir nach wie vor sicher. Und trotzdem gibt es da diese kleine Stimme der Unvernunft, die mir zuflüstert, ich solle es auf einen Versuch ankommen lassen.«

      5. Kapitel – Im Auge des Sturms

      Es dämmerte schon, als er neben Cro‘artosh, seinem Steuermann, auf dem Deck stand und gemeinsam mit ihm den Kurs für die nächsten Stunden festlegte. Cridan war rasch aufgefallen, dass der T‘han T‘hau, der in den letzten Jahren als Steuermann auf der Herz von Gantuigh gewesen war, sein Handwerk beherrschte wie kaum ein anderer. Cro‘artosh hatte neben einem breiten Wissen und wertvoller Erfahrung ein selten gutes Gespür nicht nur für das Schiff, sondern auch für die Bedingungen, auf die er Rücksicht nehmen musste, und Cridan schätzte die Meinung des Seemannes hoch ein.

      »Ich denke, wir können die Nacht über segeln«, sagte er zu ihm. »Oder siehst du das anders?«

      Cro‘artosh spähte mit verengten Augen über das Wasser. »Nein, das sehe ich auch so. Zwei Männer als Wache, einer in den Bug und einer in den Ausguck. Wenn ich Ruhe brauche, lasse ich Skantome rufen, sie kann mich ablösen.«

      Cridan runzelte die Stirn. Skantome war eine der T‘han T‘hau, die er aus Tikos Siedlung mitgenommen hatte, die aber ursprünglich mit Marud‘shat zurück nach Gantuigh gekommen war.

      »Weshalb Skantome?« fragte er.

      Cro‘artosh lachte.

      »Weil die Frau besser segeln kann als jeder andere hier an Bord – dich vielleicht einmal ausgenommen, Kapitän. Aber sie ist verdammt gut. Ich bin im letzten Winter zweimal