er. »Und wenn du dich nur durch Waffengewalt zu Gehorsam zwingen lässt, dann lass dir gesagt sein, dass mein ganzer Körper als Waffe geboren wurde!«
Béo starrte zurück und hob schließlich ergeben die Schultern. »Meinetwegen!«
Der Himmel wurde zusehends finsterer, und die gelblich graue Dämmerung wich mehr und mehr einer blassen Dunkelheit, die von grellen Blitzen durchzuckt wurde. Der Wind hatte sich zu einem Sturm gesteigert, dessen Heulen selbst das Brüllen und Tosen der donnernden See übertönte.
Die Falkenflug tanzte auf den Wellen. Mal stieg sie steil nach oben, den Bug gen Himmel gerichtet, um dann für nervenzerfetzende Augenblicke auf dem grauweißen Wellenkamm zu reiten, mal stürzte sie hinab in schwarze Wellentäler, schäumende Gischt und Sprühwasser wie eine glitzernde Wolke um sich herum. Sturmwogen brachen sich an ihrem Rumpf, spülten über Deck oder teilten sich mit der Wucht eines gigantischen Hammerschlags an ihrem Bug.
Es war ein ohrenbetäubender Lärm, und inmitten dieser tobenden Naturgewalten stand Cridan. Er hatte den Blick auf die wütende See gerichtet, beobachtete Dünung und Wasseroberfläche genauso wie die Wolken und die Strömungen im Wasser. Geschickt lenkte er sein Schiff durch den Sturm, ließ die Falkenflug Wellenwände emporschießen und sich vor der Gewalt des Windes in ihren Schatten ducken; nutzte die Kraft der Böen, um mit geblähten Segeln durch Wogentäler und über rollende Wellenkämme zu jagen.
Der Regen, der ihnen allen ins Gesicht peitschte, tropfte und perlte von seiner Haut und ließ den dunklen Schuppenpanzer glänzen. Das gleißende Licht der Blitze glitzerte darauf wie tausend Diamanten.
Er genoss jeden Augenblick.
Die Falkenflug war sein Schiff, durch und durch. Ihr schlanker Rumpf bebte, zitterte und bockte unter seinen Füßen wie ein lebendes Wesen, aber gleich ihrer ganzen Mannschaft hatte sie sich dem T‘han T‘hau auf ihren Planken anvertraut und rauschte unter seiner Führung durch das schäumende Wasser, Welle um Welle hinter sich lassend, bis endlich die Gewalt des Sturmes schwächer wurde, die Wolken über ihnen schwanden und die ersten Sterne durch die Lücken blitzten.
Cridan ließ den Kurs korrigieren, und bald glitt die Falkenflug wieder unter vollen Segeln dahin, begleitet vom leisen Gurgeln des Wassers unter ihr und dem Summen des Windes in ihrer Takelage.
Béo stand im Bug und sah über die spiegelnde Wasseroberfläche. Cridan sprang mit wenigen Sätzen die Treppe vom Kommandodeck hinunter, schritt über das Schiff und trat neben sie. Beide Hände auf die Reling gelegt, beugte er sich vor. Auf den nassen Schuppen seines Handrückens und seiner Unterarme glänzte schwach der Widerschein des Sternenlichts.
Er stieß einen leisen Seufzer aus: Schon lange war er nicht mehr so glücklich gewesen.
»Wenn mir heute einer gesagt hätte, du seist das Kind eines Gewittersturms«, sagte Béo plötzlich und sah ihn an, »gezeugt von Blitz und Donner und geboren von Wind und Wellen, ich hätte ihm auf Anhieb geglaubt.«
»Geboren von Wind und Wellen«, wiederholte er langsam, »das klingt gut. Ich fürchte nur, ganz so romantisch war es nicht.«
»Romantisch oder nicht«, sie zuckte lächelnd die Achseln, »mein Vertrauen in dich war offensichtlich gerechtfertigt. Ich kann also in Ruhe schlafen.«
Sie wandte sich zum Gehen.
Cridan stützte die Ellenbogen auf die Reling und sah zu den Sternen hinauf, da war es ihm, als hörte er Béos leise Stimme. Er drehte sich zu ihr um, doch sie hatte ihm den Rücken zugewandt und eilte soeben unter Deck. Er runzelte verwundert die Stirn, dann blickte er wieder aufs Wasser mit seinen unzähligen glitzernden Spiegelbildern hinaus und spürte erneut Glücksgefühle in sich aufsteigen.
Konnte es ein besseres Leben für ihn geben? Er war ficha‘thar eines Königs, den er zutiefst respektierte, und er lebte an der Seite der Frau, die er liebte. Ihm gehörte ein prächtiges Pferd und ein hervorragendes Schiff, er kommandierte eine Mannschaft – jetzt fehlte bloß noch ein anständiger Raubzug, um die Sache vollends perfekt zu machen!
Allein darauf musste er wohl verzichten. Er konnte sich lebhaft Mar‘Tians Gesichtsausdruck und seine Worte vorstellen, wenn er ihm den Vorschlag machte, die alten Plünderungen wieder aufzunehmen…
Und was würde Béo davon halten? Ob sie überhaupt verstehen würde, welchen Reiz diese scheinbar sinnlose Gewalt für einen Mann haben konnte? Zuzutrauen war es ihr.
Oder nein, berichtigte er sich selbst, wenn du viel Glück hast, würde sie es vielleicht akzeptieren. Akzeptieren, jedoch nie verstehen.
Er verstand es ja manchmal selbst nicht.
6. Kapitel – Verlockung und Lüge
Die Falkenflug war deutlich schneller als andere Schiffe, und so erreichten sie den Kontinent früher als gedacht. Cridan stand im Bug des Schiffes und spähte zum Horizont, wo das Land als dunkler Strich im Dunst der Ferne zu erkennen war, Béo neben ihm.
»Es ist noch ein gutes Stück«, brummte Cridan. »Das lässt uns genug Zeit für eine letzte Unterrichtsstunde, wenn du Lust hast.«
Sie nickte rasch.
Es war schon ein paar Tage her, dass sie das letzte Mal wirklich Zeit für einen Waffengang gehabt hatten, und Cridan war das nicht ganz ungelegen gekommen. So sehr ihm der Unterricht und die Zeit mit ihr auch gefiel, weckten ihre körperliche Nähe und die Heftigkeit, mit der sie bisweilen miteinander kämpften, Gedanken in ihm, die ihn manche Nacht nicht schlafen ließen. In solchen Stunden war er froh, dass es Avy gab, und dass sie sich so ausgesprochen bereitwillig zeigte, ihm das Einschlafen zu erleichtern.
»Dann hol dein Schwert und das Messer«, sagte er. »Denk an Armschienen und Handschuhe, und zieh‘ einen leichten Waffenrock an. Ich werde es dir nicht leicht machen heute.«
»Als ob du das jemals tätest«, erwiderte Béo spöttisch, eilte aber gehorsam davon, um sich fertig zu machen.
Cridan sah ihr einen Moment hinterher, dann zog er sein Hemd aus, öffnete die Schnalle seines Waffengürtels, drückte beides der überraschten Lito‘ta in die Hand und kletterte in die Takelage hinauf, wo er sich über dem Hauptdeck auf die Lauer legte, nur knapp über den Köpfen der Mannschaft und der Fläche, auf der er normalerweise mit Béo übte.
Béo kam an Deck und sah sich überrascht um. Einige Zuschauer hatten sich bereits eingefunden, doch zu seiner Erleichterung – und Belustigung – hatte keiner von ihnen mitbekommen, wo er sich befand, und Lito‘ta tat gänzlich unbeteiligt.
Plötzlich änderte sich etwas in Béos Körperhaltung. Sie schien begriffen zu haben, dass er sie nicht einfach nur warten ließ. Langsam schritt sie auf die freie Fläche zwischen den T‘han T‘hau, Soldaten und Seemännern, sich wachsam umschauend.
Cridan spannte sich und sprang.
Im letzten Augenblick warf sie sich zur Seite, als er mit einem gewaltigen Satz aus dem Tauwerk der Segel vor ihr landete, und sich geduckt, mit erhobenen Fäusten, auf sie zu bewegte.
Blitzschnell riss sie das Schwert aus dem Gürtel und trieb ihn zurück.
Er ließ seine Angriffe immer schneller aufeinander folgen und zwang Béo so dazu, auch ihre Reaktionen zu beschleunigen. Es gelang ihr. Die Tage und Wochen, in denen er mit ihr geübt, in denen sie andere Kämpfer beobachtet und gelernt hatte, sie zahlten sich aus.
Schneller und schneller wurde ihr Kampf – und dann begann ihr Schwert zu singen. Mech‘tar musste ihre Klinge mit dem Schliff der T‘han T‘hau versehen und sie damit zu einem singenden Schwert gemacht haben. Zu Anfang war es nur ein vereinzelter heller Ton, der die Luft erfüllte, doch als der Kampf noch rascher wurde, veränderten sich Länge, Höhe und Intensität der Töne: Lange, klagende Laute wechselten sich ab mit schrillem Kreischen und furchteinflößendem Jaulen, nur unterbrochen, wenn Cridan die Hiebe abblockte oder Béo zu einem neuen Schlag ausholte.
Cridan hatte noch niemanden getroffen, der