Nick Lubens

Punk Rock


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haben sich die Jugendlichen nicht so gehen lassen.“

      „Ach hör mir doch mit deinem Erich auf!“, regt sich jetzt Onkel Kurt auf. „Wir waren alle froh, dass wir den endlich los sind.“

      „Trotzdem ist das doch keine Art herumzulaufen.“, hackt Tante Elvira weiter auf dem Thema herum und wirft mir einen abschätzigen Blick zu. „Tilo trägt auch so lange Zottelhaare. Wie sieht das denn aus?“

      „Das ist doch wegen der Band.“, versucht meine Mutter, mich in Schutz zu nehmen.

      „Ach ja. Die Band.“ Tante Elvira gelingt es tatsächlich, das letzte Wort so klingen zu lassen, als wäre es eine tödliche Krankheit. „Na, jedenfalls geht alles den Bach runter. Wenn ich mir die Jugend so anschaue, schwant mir nichts Gutes für unser Land. Diese ganzen Grufties, Punker und Rocker sollte man in Arbeitslager stecken, damit sie mal lernen, wie man sich nützlich macht.“

      „Elvira!“, keucht Onkel Kurt empört, wird aber von einer herrischen Geste seiner Frau zum Schweigen gebracht.

      „Seht euch bloß mal all die martialischen Nieten an, die sie heute überall tragen. Und dann diese Tretstiefel. Die reinsten Waffen sind das!“, fährt sie in ihrer Tirade fort.

      „Das sind doch alles nur gelangweilte Jugendliche.“, bricht meine Mutter eine Lanze für unsere Generation. „Sie haben ja auch nichts mehr zu tun.“

      „Die ganzen Aktivitäten sind ja eingestellt.“, stimmt Onkel Kurt ihr zu.

      „Aber das ist doch kein Grund, sich so aufzuführen.“, kontert Tante Elvira aufgebracht.

      Sven und Silke retten uns mit ihrem Auftritt. Kurz hintereinander huschen sie ins Wohnzimmer und quetschen sich mit an den Tisch.

      „Lecker, Kuchen!“, ruft Sven in künstlicher Begeisterung. Eigentlich mag er das süße Zeug gar nicht, aber vielleicht will er so davon ablenken, dass er immer noch rot wie ein Feuerwehrauto ist.

      Tante Elviras verzerrte Fratze verwandelt sich augenblicklich in ein zärtliches Mutterlächeln. „Na, ihr zwei. Versteht ihr euch gut?“, säuselt sie.

      Ich werfe Katja einen fragenden Blick zu, doch die schnaubt nur kurz und schiebt sich ein weiteres Kuchenstück in den Mund. Während die Erwachsenen unsere beiden jüngeren Geschwister zu ihren Zukunftsplänen ausquetschen und Sven unzählige Fragen dazu beantworten muss, wie es ist, ohne Vater zurechtzukommen, schleichen Katja und ich uns aus dem Zimmer. Die anderen sind so mit den beiden süßen Kleinen beschäftigt, dass sie von unserer Flucht kaum Notiz nehmen. Nur Onkel Kurt zwinkert uns verschwörerisch zu.

      In meinem Zimmer kramt Katja eine Kassette aus ihrem Walkman. „Wirf mal ein!“, sagt sie, reicht mir das Band und wirft sich auf mein Bett.

      Ich lese die handgeschriebene Beschriftung: „Abstürzende Brieftauben. Was soll das denn sein?“ Ratlos schaue ich zu Katja.

      „Mach einfach an!“, fordert sie mich auf und nickt auf meinen SKR 700 zu. Ich stecke die Kassette rein, drücke auf Play und warte gespannt. Nach einem kurzen Rauschen ertönt ein lang anhaltender Akkord. ,Aha, Katja hat sich eine Metalkassette zugelegt.‘, denke ich mir. Doch noch bevor ich über den eigenartigen Namen der Band nachdenken kann, schrammt die Gitarre zu einem billigen Schlagzeuggeklapper los, dass mir das Musikerherz blutet. Ich bin kurz davor, das Band gleich wieder zu stoppen, als ich ein eigenartiges Zucken in der Bauchmuskulatur spüre. Mein Kopf wackelt zu dem einfachen, aber schnellen Rhythmus. Ich versuche, den Text zu verstehen. Da scheint jemand Deutsch zu singen. „Das kriegen wir schon hin!“, kann ich ganz deutlich verstehen. Ich warte die ganze Zeit auf einen Rhythmus- oder Tempowechsel, aber außer einem kurzen Aussetzen der Instrumente passiert gar nichts. Es gibt noch nicht einmal ein Gitarrensolo.

      Als der erste Song vorbei ist, lasse ich mich völlig geschockt auf mein Bett fallen. Katja grinst mich von der Seite her an. Ein Polkatakt dröhnt durch mein Zimmer und das billige Geschramme setzt wieder ein.

      „Verdammte Scheiße!“, fluche ich.

      „Ich wusste doch, dass es dir gefallen wird.“, freut sich Katja.

      Ich werfe ihr einen verzweifelten Blick zu. „Ja, macht es. Aber – WARUM?“

      März 1990

      Die Art – Irish Coffee

      „Warum treffen wir uns eigentlich hier?“, frage ich und rühre in dem Irish Coffee, den mir die biedere Kellnerin mit einem scheelen Blick vor die Nase gestellt hat. Ich bin mir sicher, dass sie kurz davor war, mich nach meinem Ausweis zu fragen.

      „Ich dachte mir, wo du jetzt 18 bist, könnten wir uns mal gepflegt wie Erwachsene treffen.“, meint Sirko. Mit spitzen Fingern führt er die Kaffeetasse an seinen Mund. Er muss heute fahren, deshalb muss er seinen Genuss auf verkehrstaugliche Drogen beschränken.

      „Aber das Café Oben?“, zweifle ich seinen Geschmack an. „Hier gehen meine Großeltern Kuchen essen.“

      „Eben!“, erwidert er gut gelaunt. „Dieses Lokal hat Tradition. Hier atmen die Wände Geschichte.“

      Skeptisch blicke ich die vergilbten Tapeten und Gardinen an, durch die man undeutlich den Verkehr auf der Wilhelm-Pieck-Straße verfolgen kann. „Man könnte hier echt was draus machen.“, sinniere ich.

      „Was willst du denn hier draus machen?“ Sirko verzieht das Gesicht.

      „Stell dir das mal vor!“, beginne ich zu fantasieren. „Die Gardinen runter, fett schwarze Wände. Dort hinten eine Bar, hier in der Ecke das DJ-Pult. Das wäre ein geiler Club. Und die Aussicht hat auch was.“

      Wie auf Befehl schaut Sirko zum Fenster. Ein Trabi und ein Opel rauschen in hohem Tempo vorbei, sonst sind nur ein paar ältere Herrschaften zu sehen, die ihren Sonntagsspaziergang absolvieren.

      „Du spinnst ja!“, meint Sirko nach einer Weile. Ich schrecke zusammen und brauche eine Weile, bis ich begreife, dass er auf meine Idee reagiert. „Hier kommt nie ein Club rein. Das Café Oben ist eine Institution. Das wird es noch in hundert Jahren geben.“

      „Spießer!“, brumme ich und schütte mir den heißen, mit Whiskey verdünnten Kaffee hinter die Binde. Eine wohlige Wärme breitet sich in meinem Inneren aus, wird aber sogleich von einem scharfen Brennen im Hals und dem heftigen Wunsch verdrängt, aufs Klo zu rennen und dort alles wieder rauszukotzen. Angewidert verziehe ich das Gesicht.

      „Alles in Ordnung?“ Sirko mustert mich besorgt.

      „Also irgendwie hatte ich mir das leckerer vorgestellt.“, maule ich.

      „Willkommen in der Welt der Erwachsenen.“, ruft er überschwänglich und breitet die Arme aus.

      Ein paar Omas mit dauergewellten Lockenfrisuren schauen zu uns herüber und schütteln pikiert den Kopf.

      „Und das finden Leute lecker?“, frage ich und deutet angewidert auf die Tasse vor mir.

      „Keine Ahnung.“, gesteht Sirko ein. „Aber man kriegt ordentlich einen in die Birne, wenn man genug davon trinkt.“

      „Genau das, was ich jetzt brauche.“

      „Komm, lass uns gehen!“, sagt Sirko. „Bis zum Luxor ist es noch ein Stück zu laufen.“

      Ich krame nach meinem Portemonnaie, aber Sirko hält mich mit einer Geste zurück. „Lass mal! Das ist mein Geburtstagsgeschenk.“, sagt er gönnerhaft.

      Ich werfe ihm ein schräges Grinsen zu. „Noch nie was besseres bekommen.“, lasse ich ihn wissen.

      Er winkt nur verächtlich ab. „Kostverächter.“

      Während Sirko mit der alten Kellnerin die Rechnung klärt, gehe ich zum Garderobenständer und hole meine Lederjacke und seinen Militärparka. Als ich an den alten Frauen vorbeikomme, stecken die auffällig unauffällig die Köpfe zusammen und tuscheln, so dass es das ganze Café hören kann, über die Jugend, die Rocker und die Armee. Irgendwie mag ich die Richtung nicht, in die ihr Gespräch vermutlich abdriften wird, also