Nick Lubens

Punk Rock


Скачать книгу

Du hättest im Kopfstand mit den Füßen wackeln können und trotzdem keinen Platz an der EOS bekommen. Und jetzt kannst du einfach so Abi machen.“

      „Wie sich die Zeiten ändern.“, sinniert mein bester Freund. „Aber um dich mach ich mir trotzdem Sorgen.“

      Ich schlage ihm genervt vor die Brust. „Was soll das denn? Ich bin jung, gut aussehend, voller Talente.“

      „Ach ja. Welche Talente denn?“, zieht er mich auf.

      „Singen zum Beispiel.“, grunze ich.

      „Wenn das mal reicht, um was aus dir zu machen.“, zweifelt er.

      „Jetzt mal doch den Teufel nicht an die Wand! Ich mach schon was aus mir.“, entgegne ich trotzig.

      „Was meinst du, ob es in 25 Jahren tatsächlich fliegende Autos und Skateboards geben wird?“, wechselt Sirko plötzlich das Thema.

      Ich lasse mir Zeit mit meiner Antwort. „Normalerweise würde ich sagen, dass das unmöglich ist. Aber auf der anderen Seite hätte ich das im Oktober auch gesagt, wenn du mich gefragt hättest, ob irgendwann die Mauer fallen würde.“

      Sirko schnaubt zustimmend. „Verdammt, und keiner weiß, wie es weitergeht. Irgendwie war das früher einfacher. Da bist du mit 18 in die Partei eingetreten und die haben dann ein geregeltes Leben vor dir ausgebreitet.“

      „Inklusive drei Jahre Dienst an der Grenze, permanenter Stasiüberwachung und einem Ausbildungsplatz für eine Arbeit, die du gar nicht machen wolltest.“, rufe ich ihm in Erinnerung.

      „Jaja. Weiß ich doch.“ Ungeduldig wedelt er mit den Händen. „Dafür wissen wir jetzt nicht einmal, ob es im Sommer unsere Schule noch geben wird.“

      „Oder Firma.“, stimme ich ihm zu.

      „Wie läuft eigentlich deine Ausbildung?“, fragt er mich neugierig.

      Normalerweise vermeiden wir das Thema Arbeit, seit wir im Sommer in die Produktion zwangsabgeschoben wurden, aber da Sirko jetzt ja nur noch zur Hälfte zur werktätigen Bevölkerung gehört, beschließe ich, ihn an meiner Welt teilhaben zu lassen. „Ausbildung ist gut. Mein Ausbilder ist im Januar rübergemacht. Seitdem fühlt sich niemand mehr für uns zuständig. Die meiste Zeit hängen wir in der Reparaturwerkstatt rum, schweißen und schrauben ein bisschen oder spielen Karten. Sie sagen, so stören wir am wenigsten und es fällt niemandem auf, dass wir überhaupt noch da sind. Wenn wir das drei Jahre durchhalten, bekommen wir den Abschluss wegen guter Führung quasi geschenkt.“

      „Bist du sicher?“, zweifelt er. „Ich dachte, man muss Prüfungen machen.“

      „Bestimmt.“, winke ich ab. „Aber davon weiß zur Zeit keiner etwas. Die Alten sagen immer: ,Kommt Zeit, kommt Rat‘.“

      „Die haben gut reden!“, regt sich Sirko auf. „Und was ist, wenn du am Ende mit nichts in der Hand dastehst, weil sie deine Ausbildung nicht anerkennen?“

      „Das wird sich sicher bald regeln. Wart erst mal ab, bis die neue Regierung feststeht, dann sehen wir bestimmt klarer.“, versuche ich, ihn und mich zu beruhigen.

      „Na, ihr Verbrecher!“ Ein Arm legt sich um meine Schulter und bringt mich aus dem Gleichgewicht. „Schon wieder in schwerwiegende politische Debatten verstrickt?“ Der Arm drückt noch etwas fester zu. Irgendetwas knackt in meinem Hals.

      „Mann, Robert! Hör auf!“ Energisch schiebe ich Robert von mir weg. Er lässt sich davon aber nicht beeindrucken.

      „Hat der Kleine wieder schlechte Laune?“, blödelt er herum.

      „Was machst du überhaupt hier?“, frage ich ihn.

      „Zum Bus gehen!“, ruft er und tut dabei so, als sei ich etwas schwer von Begriff. „Hier von der Zenti aus kann man in alle Richtungen fahren, weißt du noch?“

      Ich schaue mich um. Wir sind tatsächlich bereits an der Zentralhaltestelle angekommen.

      „Kommst du mit zur Einheit?“, fragt Sirko begeistert.

      „Aber logo!“, wirft sich Robert in die Brust. „Wenn Die Art schon mal in Karl-Marx-Stadt spielt, lasse ich mir das doch nicht entgehen.“

      „Das wäre in der Tat fahrlässig.“, ätze ich. „Hast du sie schonmal gesehen?“

      „Einmal, in Leipzig.“, antwortet Robert. Natürlich. Wie könnte es auch anders sein. Robert hat immer alles schon vor uns gemacht. „War eine geile Sache. Hatte jede Menge blaue Flecken nach dem Konzert.“

      „Wieso denn das?“, frage ich erschrocken.

      Robert zuckt mit den Schultern. „Pogo.“, sagt er nur.

      Ich glotze ihn fragend an. Lachend legt er mir eine Hand auf die Schulter. „Wart‘s ab! Wirst du gleich selber sehen.“

      „Der Bus zur Einheit fährt dort drüben.“ Sirko dirigiert uns zu einer der Haltstellen. An der Bushaltestelle stehen schon jede Menge größtenteils in Schwarz gekleidete Kids.

      „Zu welchem Kindergeburtstag wollen die denn?“, macht sich Robert über sie lustig.

      „Frag ich mich auch.“, quatscht uns ein heruntergekommener Punk von der Seite her an. Er stinkt nach billigem Schnaps und hat sichtlich Mühe, sich gerade auf den Beinen zu halten. „Was die heute alles so abends auf die Straße lassen.“ Resigniert schüttelt er den Kopf. „Als ich so alt war, hab ich noch brav zu Hause gesessen und die Frösi gelesen.“

      Ich fühle mich nicht ganz wohl in meiner Haut. Schließlich sind wir auch nicht viel älter als die meisten um uns herum. Okay, wir sind schon über 18, aber was machen zwei, drei Jahre schon aus?

      „Du hast vollkommen recht.“, stimmt Robert dem Punk zu und angelt zwei Bierflaschen aus seinem Rucksack. Eine gibt er dem schrägen Typen mit dem Irokesen, die andere reicht er Sirko. Dann fördert er zwei weitere Flaschen zu Tage. Eine davon landet in meiner Hand. Robert lässt einen Flaschenöffner rumgehen. Offenbar hat er an alles gedacht. „Dann mal zum Wohl! Die Erwachsenen können gut unter sich bleiben.“

      Wir setzten die Flaschen an und nehmen einen tiefen Zug. Der Punk wirft einen weiteren Blick über die Schar aufgeregt durcheinander schnatternder Teenager. „Wie alt seid ihr eigentlich?“, fragt er in fast schon verschwörerischem Ton.

      „Bus kommt!“, dröhnt es von vorn.

      Erleichtert drehe ich mich um und dränge gegen die Menge vor mir. Ich bin mir sicher, dass meine Antwort dem alten Punk nicht wirklich zugesagt hätte.

      „Au, jetzt drück doch nicht so!“, schimpft ein Mädchen vor mir.

      „Tschuldigung, aber die schieben von hinten.“, schnaufe ich und versuchen vergeblich, etwas Abstand zwischen mich und das Mädchen zu bringen. Sie ist, wie fast alle, die sich in den Bus drängen, von oben bis unten in Schwarz gekleidet. Lederjacke, schwarze Jeans und fette Stiefel mit verstärkter Kappe lassen sie martialischer erscheinen, als es ihr hübsches Gesicht auf den ersten Blick vermuten lässt. Nun sehe ich wieder nur ihre blonde Mähne, die vor meinem Gesicht durch die Bustür wogt.

      Jetzt, wo wir uns im Flaschenhals befinden, wird es erst richtig ungemütlich. Nicht nur von hinten, sondern auch von den Seiten drängen die Leute auf die Tür zu und so fühle ich mich wie ein Streifen Zahnpasta, der in den Bus hineingequetscht und dort wieder ausgespuckt wird. Da ich ohnehin nicht mehr bestimmen kann, wo ich hingehe, lasse ich mich einfach weiterschieben.

      „Hauptsache, es geht hinten nicht wieder raus.“, witzelt das blonde Mädchen vor mir, dem es offenbar genauso geht wie mir.

      „Glaub ich nicht. Da kommt uns schon eine Welle entgegen.“, erwidere ich nur und blicke leicht beängstigt zur hinteren Bustür, durch die eine schwarze Woge schwappt. Unser Fortkommen nimmt ein jähes Ende, als die beiden Flutwellen aufeinander treffen. Ich werde wieder gegen das Mädchen gedrückt. Ihr Haar riecht himmlisch. Irgendwie nach Honig und Äpfeln.

      Ich spüre, wie sie sich in dem Versuch,