Nick Lubens

Punk Rock


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wechselt innerhalb von Sekunden von aschfahl zu dunkelrot. „Hast du keine Augen im Kopf?“

      Ich war so in Gedanken, dass ich der Frau wohl meinen Wagen in die Fersen gerammt habe. „Entschuldigung.“, nuschle ich verlegen. Rechts und links stehen Regale, hinter mir drängen weitere Kunden nach. Panik steigt in mir auf. Es gibt keinen Fluchtweg und der Mann ist verdammt groß und breit.

      „Noch einmal und ich hack dich zu Kleinholz, Freundchen!“, droht er mir und fuchtelt mit seinem fetten Zeigefinger vor meinem Gesicht herum.

      „Lass gut sein, Hans!“, redet seine Frau beschwichtigend auf ihn ein. „Ist ja nichts passiert.“ Sie wirft mir einen letzten garstigen Blick zu und zieht ihren Mann dann weiter an die Kasse, an der zwei giggelnde Mädchen gerade ihren Dederonbeutel befüllen.

      Erleichtert atme ich tief aus, als ich endlich wieder an die frische Luft gelange. Einkaufen war auch schon mal einfacher, stelle ich ernüchtert fest und schlendere mit meiner mageren Beute im Beutel vom Versorgungszentrum zurück nach Hause.

      „Tilo?“, werde ich unvermittelt von der Seite her angerufen. Verwundert drehe ich mich um. Der schlaksige Typ mit den braunen Locken, die schmächtige Brust unter einer Jeansjacke versteckt, kommt mir merkwürdig bekannt vor. Im Geiste rattere ich die möglichen Alternativen durch und bleibe bei einer eher unwahrscheinlichen Möglichkeit hängen.

      „Daniel?“, frage ich unsicher.

      Er nickt mit einem breiten erleichterten Lächeln auf den Lippen. „Eben der.“, bestätigt er meine Vermutung.

      Verblüfft stelle ich meinen Nylonbeutel ab. „Aber was machst du denn hier? Ist dir Berlin zu klein geworden?“ Daniel war mein bester Freund, bis seine Familie im Sommer vor vier Jahren Hals über Kopf nach Berlin umgezogen ist. Sein Vater war in die Wirtschaftsplanung aufgestiegen und seine Mutter wurde als Dolmetscherin in einem Ministerium untergebracht. Hin und wieder hatten wir uns noch Briefe geschrieben, aber der Kontakt war in den letzten Jahren doch sehr lose geworden.

      Daniel schüttelt den Kopf und macht einen Schritt auf mich zu. „Wir sind wieder zurückgezogen. Bei meiner Oma geht es nicht mehr so flott wie früher. Sie braucht meine Mutter. Und mein Vater kann arbeiten, wo er will.“

      „Ach ja?“, frage ich neugierig nach. „Was arbeitet der denn?“

      Daniel runzelt die Stirn. „Er verkauft irgendwelche Sachen. So genau hat er uns das nie erzählt. Alle zwei Wochen kommt er nach Hause, ansonsten ist er immer unterwegs.“

      „Und deine Mutter?“, wundere ich mich. „War die nicht bei einem Ministerium?“

      Wieder nickt er heftig. „War trifft es ganz gut. Dort weht jetzt ein anderer Wind. Man hat ihr gesagt, dass ihre Dienste nicht mehr länger gebraucht werden. Russischdolmetscher scheinen irgendwie aus der Mode zu kommen.“

      „Und wie lange bleibst du jetzt hier?“, will ich wissen.

      „Erst mal bis ich nächstes Jahr das Abi habe. Dann werde ich mal sehen.“

      „Stimmt ja. Dich haben sie ja auch auf die EOS gelassen.“, murmle ich nachdenklich.

      „Bist du sauer deswegen?“, fragt er unsicher.

      Ich winke beschwichtigend ab. „Nicht die Bohne. Weißt du was, vielleicht werde ich auch noch Abi machen.“, verkünde ich mit breiter Brust.

      „Das solltest du unbedingt.“, bestärkt er mich in meiner spontanen Idee. „Es ist gar nicht so schwer. Du warst zwar nie der beste Schüler, aber auf jeden Fall helle im Oberstübchen.“

      „Na, du musst es ja wissen.“, sage ich unbestimmt.

      „Und ob.“ Er grinst mich mit diesem Lausbubenlächeln an, das ich früher schon so an ihm gemocht hatte. „Was machst du jetzt eigentlich so?“, will er von mir wissen.

      „Textima.“, knurre ich. „Ausbildung.“

      „Was Bodenständiges?“, meint er. Irgendwie klingt das in meinen Ohren nicht nach einem Kompliment. „Auch nicht schlecht.“

      „Wie gesagt. Ich wäge meine Optionen ab.“, versuche ich, das Thema abzuwürgen.

      Quietschende Reifen neben uns helfen mir dabei. Ein schwarzer Mercedes hält an der Straße. Der Motor erstirbt und vor unseren Blicken schiebt sich Robert aus der Kabine. „Wenn das mal nicht der Daniel Trautmann ist.“, ruft er jovial und klopft Daniel kräftig auf die Schulter. „Lässt du dich auch mal wieder in der Heimat blicken?“

      „Er ist wieder hergezogen.“, setze ich ihn ins Bild.

      Robert fallen fast die Augen aus dem Kopf. „Was?! Bist du wahnsinnig geworden? Da lebst du in einer solchen Zeit in Berlin, der aufregendsten Stadt der Welt. Und dann ziehst du freiwillig zurück in dieses gottverlassene Kaff?“ Missbilligend schüttelt er den Kopf.

      „Seine Oma braucht Hilfe.“, mische ich mich im Bemühen, Daniels Rückkehr ins rechte Licht zu rücken, wieder ein.

      „Weißt du, ich kann auch selber reden.“, sagt Daniel pikiert. Dann dreht er sich wieder zu Robert. „So toll ist Berlin gar nicht. Die Wessis fallen wie Heuschrecken ein. Ständig stehen Leute in teuren Klamotten vor den Häusern und feilschen, wie sie die Stadt unter sich aufteilen wollen. Sie behaupten, die Bausubstanz wäre überall marode und müsse dringend saniert werden.“

      „Womit sie ja auch völlig recht haben, oder?“, fällt ihm Robert ins Wort.

      „Mag sein, aber vorher wollen sie die Häuser quasi geschenkt haben. Und wenn sie dann fertig hergerichtet sind, kann sich kein Schwein mehr leisten, dort zu wohnen.“, regt sich Daniel auf.

      „Jetzt mal den Teufel nicht an die Wand!“, versucht Robert, ihn zu beschwichtigen. „So schlimm wird es schon nicht kommen.“

      „Du wirst schon sehen!“, hält Daniel dagegen. „Warte nur, bis sie auch hierher kommen!“

      „Was ist eigentlich mit dir passiert?“, frage ich Robert und kümmere mich damit um drängendere Probleme. „Seit wann sind deine Haare so kurz?“

      Strahlend streicht er sich über die wenigen Haarstoppel, die der Rasierer noch hat stehen lassen. Keine Spur mehr von seiner Metallermähne. „Sieht cool aus, was?“, heischt er nach Lob für sein dämliches Aussehen. „Die langen Haare waren leider nicht so toll fürs Geschäft. Mit so einer Kommandofrisur sieht man viel patenter aus.“

      „Sagt wer?“, will ich wissen.

      „Herr Ginger.“, antwortet Robert kurz angebunden, als sei damit alles gesagt.

      „Herr Ginger?“, hake ich nach.

      „Er ist mein Verkaufsleiter.“, schiebt Robert als weitere Information hinterher. Sein Gesichtsausdruck zeigt deutlich, dass ich spätestens jetzt ja wirklich wissen sollte, worum es geht.

      Tu ich aber nicht. „Verkaufsleiter? Was ist denn bei dir los?“

      Robert hebt abwehrend die Hände. „Weißt du, ich hab echt keine Zeit, jetzt darüber zu reden. Ich mach jedenfalls ordentlich Kohle, wie du unschwer erkennen kannst.“ Dabei zeigt er auf den Potenzverstärker, der neben uns am Straßenrand steht.

      „Jetzt versteh ich auch, warum wir keine Proben mehr machen.“, murmle ich.

      „Proben?“, fragt Daniel interessiert nach.

      „Wir hatten mal eine Metal-Band.“, lässt Robert ihn großspurig wissen. „Aber man muss mit der Zeit gehen.“, sagt er zu niemandem bestimmten. „Das Geld liegt in Zeiten wie diesen auf der Straße. Man muss es nur bereitwillig aufsammeln. Und so lange es kein anderer tut, bin ich gern bereit, den Straßenkehrer zu spielen.“

      Mit diesen Worten macht er auf dem Absatz kehrt und verschwindet in seinem Mercedes. „Man sieht sich!“, lässt er uns noch wissen, dann jault der Motor neben uns einmal laut auf und Robert braust davon, zur nächsten Geldaufsammelstation.

      Nachdenklich schauen wir