Nick Lubens

Punk Rock


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Großkotz.“, erklärt Daniel mit ernster Miene. „Der denkt nur an sich und seinen eigenen Vorteil. Und wie er dem Geld hinterherrennt.“ Angewidert schüttelt mein alter Freund den Kopf. „Das wird nochmal sein Untergang sein. Auf Dauer kann sowas doch nicht gut gehen.“

      Ich lege ihm meine Hand auf die Schulter. „Es sind neue Zeiten, Daniel. Vielleicht ist es genau das, was du brauchst, wenn du es zu was bringen willst.“

      Nachdenklich schaut Daniel die Straße hinunter, auf der Robert in seinem Mercedes verschwunden ist. „Mag sein. Aber dann mag ich die neuen Zeiten nicht besonders.“

      Ich drücke seine Schulter kurz. „Schön, dass du wieder da bist.“

      Daniel setzt ein breites Lächeln auf. „Metal-Band, hm?“

      „Was soll denn dieser ironische Unterton?“ Schmollend verschränke ich die Arme vor der Brust. „Wir waren richtig gut.“

      „Soso.“, macht er mit spöttischer Mine. „Habt ihr auch mal gespielt?“

      „Du hast ja keine Ahnung.“ Ich boxe ihn gegen die Schulter. „Als die Mauer gefallen ist, hatten wir ein Konzert in der Nähe von Berlin.“

      „Ach ne.“ Jetzt ist er doch überrascht. „Hättest mal was sagen sollen. Dann wäre ich vorbeigekommen.“

      Ich gehe nicht weiter auf seinen Vorwurf ein. „Komm mal vorbei, wenn du Zeit hast.“, sage ich stattdessen und zeige auf den Neubaublock, in dem wir wohnen. „Gleich dort drüben. Der dritte Eingang. Klingelschilder kannst du ja noch lesen, oder?“, frage ich herausfordernd.

      Sein Blick folgt meiner Richtungsanzeige. „Mach ich.“, sagt er und strahlt mich an. „Und lesen haben wir sogar in Berlin geübt, ob du‘s glaubst, oder nicht.“

      Mai 1990

      Abstürzende Brieftauben – Nicht mit mir

      „Hey, das ist ja eine Überraschung!“ Verdutzt stoppe ich meine Hand, die soeben die Tür der Bankfiliale aufstoßen will, und schaue in zwei blaue Augen, die mich freudig anstrahlen.

      „Petra!“, rufe ich überrascht. „Was machst du denn hier?“

      Sie schaut sich in dem winzigen Vorraum des Containers um, der mangels baulicher Alternativen fürs erste die Filiale einer großen deutschen Bank beherbergt, und hebt eine Augenbraue. „Würdest du mir glauben, wenn ich behaupten würde, dass ich Bier kaufen will?“

      Ich überlege kurz verdattert, ob sie mich auf den Arm nehmen will. Dann wird mir klar, dass sie genau das vor hat. „Nicht wirklich. Hast du ein Konto hier?“ Ich nicke in Richtung der Glastür, die zum Schalterraum führt.

      „Ja, seit ein paar Wochen. Ich will gerade meine neue Kundenkarte ausprobieren.“ Sie hebt das blaue Stück Plaste in die Höhe und wedelt damit in Richtung eines grauen Kastens in der Ecke des Vorraums.

      „Aha.“, sage ich. „Und was kannst du damit machen?“

      Ein freudiges Lächeln breitet sich auf Petras Gesicht aus. Ich kenne diese Miene. So schaue ich auch immer, wenn ich merke, dass ich mehr weiß als andere. „An dem Automat dort hinten bekomme ich meine Kontoauszüge.“, erklärt sie. Das letzte Wort spricht sie betont langsam aus, damit ich es mir auch merken kann. Wie gnädig von ihr. Sie steckt die Karte in einen Schlitz. Ich zucke kurz zusammen, als das Gerät zum Leben erwacht und das Plastikkärtchen verschluckt. Es knackt und knirscht gewaltig im Inneren des grauen Kastens. Besorgt schiele ich zu Petra hinüber, die seelenruhig neben mir steht und der Dinge harrt, die da kommen. Hat sie gar keine Angst, dass diese Maschine ihre schöne neue Karte gleich wieder kaputt macht?

      „Das klingt nicht gut.“, unke ich, doch da stoppt das Brummen schon und Petras Karte kommt in einem Stück wieder zum Vorschein. Kurz darauf spuckt der Automat auch zwei Blatt Papier aus. Neugierig versuche ich zu erkennen, was darauf geschrieben steht. Petra schnappt sich die Blätter und schlägt mir damit auf die Nase. „Bankgeheimnis!“, sagt sie mit todernster Miene.

      „Und da steht drauf, wie viel Geld du hast?“, frage ich skeptisch.

      „Genau. Und weil ich jetzt weiß, dass ich noch welches habe, kann ich mir gleich etwas am Geldautomat holen.“

      Gespannt verfolge ich, wie sie die Karte in eine andere Maschine steckt. Ihre Finger nähern sich einem Zahlenfeld unterhalb des Bildschirms. Kurz, bevor sie die Zahlen berühren, hält Petra inne und schaut zu mir herüber. „Dreh dich bitte weg!“, fordert sie mich auf. „Ich muss jetzt meine Geheimnummer eingeben, die geht dich nichts an.“ Erstaunt von der klaren Ansage drehe ich mich um und warte, bis ich hinter mir das Rascheln von Bargeld wahrnehme.

      Ich drehe mich wieder um und schaue Petra an wie ein Einhorn, das vom Mars gefallen ist. „Woher weißt du das alles?“, frage ich sie ehrfürchtig.

      Sie zuckt gelassen mit den Schultern „Wie gesagt, ich hab das Konto schon seit ein paar Wochen. Warum bist du eigentlich hier?“

      „Ich hab mir gerade ein Konto eingerichtet.“, verkünde ich stolz. „Bisher hat meine Mutter das für uns gemacht, aber sie meinte, es sei an der Zeit, dass wir unseren Kram selbst geregelt kriegen.“

      „Und da hat sie dich hierher geschickt.“, vermutet Petra.

      Ich kratze mich unschlüssig am Kopf. „Nicht wirklich. Sie hat ja selbst keine Ahnung. ,Mach dir ein Konto.‘ waren ihre genauen Worte. Ich bin hierher gekommen, weil die Bank gleich um die Ecke ist. Irgendwo muss man ja anfangen mit dem Kapitalismus.“

      Sie lächelt mich in stummem Verständnis an. „Wollen wir noch ein Stück gehen?“, fragt sie mich.

      Dagegen habe ich ganz und gar nichts einzuwenden und so überqueren wir die Straße und tauchen ein in die unverändert grau-braunen Häuserschluchten des Plattenbaugebiets. „Ist schon eigenartig, oder?“, sinniert Petra. „Da sind wir in einem Alter, in dem unsere Eltern uns helfen sollten, Erwachsen zu werden. Eigentlich könnte man erwarten, dass sie uns die Welt erklären und unter die Arme greifen. Stattdessen wissen sie noch nicht mal, wie man ein Konto eröffnet.“

      „Alles muss man selbst rausfinden.“, stimme ich ihr zu. „Erst gestern hat einer bei uns geklingelt und meinte, dass wir unbedingt eine Lebensversicherung brauchen. Was weiß ich denn?“ Verzweifelt hebe ich die Arme. „Brauche ich eine?“

      Petra schaut nachdenklich in den blauen Himmel. „Keine Ahnung. Zur Zeit weiß ich überhaupt nichts mehr. Gestern kamen meine Eltern mit irgendwelchen Formularen und haben mich ganz verzweifelt gefragt, ob ich ihnen helfen könnte, die auszufüllen.“, plappert sie aufgebracht weiter drauf los. „Woher sollte ich das denn können? Manchmal würde ich gern einfach ausziehen. Sie können mir bei nichts helfen und Geld haben wir auch keins mehr.“

      „So schlimm?“, frage ich voller Anteilnahme.

      Grimmig nickt sie vor sich hin. „Sie haben beide keine Arbeit mehr.“, murmelt sie. „Aber was soll man machen. Geht ja allen so.“

      „Meine Mutter hat ihre Stelle noch.“, erwidere ich.

      „Bestimmt nicht mehr lange.“, sagt Petra. Beim Klang ihrer Stimme überkommt mich trotz der angenehmen Frühlingstemperaturen ein leichtes Frösteln.

      „Schaust du dich schon um?“, versuche ich, das Thema zu wechseln.

      „Wonach?“, fragt sie und schaut mich irritiert an.

      „Nach einer Wohnung.“

      „Quatsch.“, sagt sie und winkt ab. „Wovon soll ich die denn bezahlen? Und überhaupt – ich wüsste gar nicht, wie ich die Suche angehen soll.“

      „Freie Presse?“, schlage ich vor.

      „Zeitung.“, schnaubt sie. „Vermutlich hast du recht. Aber es ist ohnehin müßig. Ich geh noch zur Schule und muss mit meinen Eltern leben. Auch wenn es mir manchmal so vorkommt, als wäre ich ihre Mutter.“

      „Da sagst du was.“, stöhne ich. „Seit neuestem