Nick Lubens

Punk Rock


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ist niemand mehr und dem neuen Laden in der Stadt trauen sie nicht.“, erzählt Petra.

      „Irgendwie kann ich sie ja auch verstehen.“, nehme ich unsere Eltern in Schutz. „Sie haben über 35 Jahre ihres Lebens in einem Land verbracht und alles gelernt, was man zum Leben in diesem Land braucht. Und plötzlich ist alles anders, quasi von einem Tag auf den anderen. Im Grunde geht es ihnen genauso wie uns. Wir fangen alle von Null an.“

      „Nur, dass wir noch nicht wissen, wie es gewesen ist.“, überlegt Petra. „Mann, da haben wir ja Schwein gehabt, oder?“, grinst sie und boxt mich mit dem Ellenbogen in die Seite.

      „Irgendwie schon.“ Ich lächle schief zurück. „Weißt du was? Ich hab eine großartige Idee. Wir helfen uns gegenseitig beim Lernen. Immer, wenn einer was rausgefunden hat, erzählt er es dem anderen.“

      „So wie vorhin mit der Bankkarte?“, hakt sie nach.

      „Genau.“, sage ich begeistert. „Wenn uns schon sonst niemand sagen kann, wie der Hase hier läuft, müssen wir uns unter die Arme greifen.“

      Sie mustert mich misstrauisch. „Lass deine Arme mal schön bei dir.“, erwidert sie mit einem neckischen Lächeln.

      Ich spüre, wie ich unter ihrem Blick rot werde. Verlegen drehe ich mich weg und setzte meinen Weg fort. „Tschuldigung.“, nuschle ich undeutlich.

      „Huch, da ist aber jemand dünnhäutig.“, säuselt sie neben mir.

      Ich ignoriere ihre Bemerkung und schlage abrupt ein anderes Thema an. „Ich hab das noch niemandem erzählt.“, beginne ich stockend. „Weißt du. Ich mach eine Ausbildung bei Textima.“

      „Ist doch super.“, freut sie sich für mich.

      „Naja. Eigentlich ist das gar nicht so mein Ding. Facharbeiter für Anlagentechnik.“, schnaube ich verächtlich. „Ich bin dort nur gelandet, weil sie mich nicht für das Abi zugelassen haben.“ Ein paar Sekunden lang laufen wir schweigend nebeneinander her. „Aber jetzt lassen sie plötzlich wieder jeden auf die Schule.“

      „Und da willst du wieder hin?“, fragt sie zweifelnd.

      Ich zucke mit den Schultern. „Ich will nicht in 20 Jahren wie meine Mutter auf dem Sofa sitzen und jammern, warum es das Leben so schlecht mit mir gemeint hat. Ich will andere Länder sehen, etwas arbeiten, das wirklich Sinn macht, und es mir und der ganzen Welt beweisen.“

      „Und das kannst du als Anlagentechniker nicht?“

      Ich schaue scheel zu ihr hinüber. Das kann sie unmöglich ernst meinen. „Natürlich nicht.“

      „Dann musst du wohl da kündigen.“, stellt sie emotionslos fest.

      „Kündigen? Einfach so?“, frage ich entsetzt.

      „Kriegst du kalte Füße?

      „Also...nein.“, stammle ich herum. „Es ist nur. Was mache ich denn stattdessen.“

      Sie bleibt stehen, legt mir eine Hand auf den Arm und schaut mir tief in die Augen. „Melde dich an einer Schule an und mach dein Abitur. Und dann kannst du machen, was du willst.“

      So wie sie es sagt, klingt es einfach. Einfach und verlockend. Wie ein Engel der Freiheit steht sie vor mir, gesandt, um mich in das gelobte Land zu führen.

      „Du hast recht.“, rufe ich begeistert. „Ich gehe wieder zur Schule. Und wenn ich erst das Abi hab, dann gehe ich nach Amerika.“

      „Amerika?“, fragt sie und schaut mich mit schief gelegtem Kopf an.

      „Klar. Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten.“, beginne ich zu schwärmen. „In Amerika kannst du alles erreichen.“

      „Nimmst du mich mit?“, unterbricht sie meine Lobeshymne.

      Verdattert suche ich nach dem roten Faden meiner Rede. „Äh, nach Amerika?“

      „Nein, nach Angola.“, antwortet sie und verdreht die Augen. „Natürlich nach Amerika.“

      „Also, wenn du Lust hast.“

      Ein dünnes Lächeln huscht über ihr Gesicht. „Würde ich sonst fragen?“

      „Du hast was gemacht?“ Sirko bleibt mitten in der Bewegung stehen und dreht sich entsetzt zu mir um.

      Ich brauche etwas länger, um anzuhalten und verdrehe die Augen. Bei meiner Mutter hätte ich mit dieser Reaktion gerechnet, nicht aber bei meinem besten Freund. „Gekündigt.“, wiederhole ich noch einmal mit Betonung. „Das ist, wenn man...“

      „Ich weiß, was kündigen ist.“, platzt es aus Sirko heraus. „Sag mal, bist du bescheuert? Überall werden die Leute entlassen und sind am Boden zerstört. Du aber hast eine Arbeit und schmeißt sie einfach hin?“, geifert er völlig unerwartet herum.

      Beschwichtigend hebe ich die Hände. „Jetzt mach mal halblang!“, versuche ich, ihn zu beruhigen. „Ist ja nicht so, als würde ich die Versorgung meiner Großfamilie gefährden. Ich hab nur eine Ausbildungsstelle, bei der mich schon seit Wochen keiner mehr ausbildet. Es gibt nichts zu tun, keiner weiß, was er mit mir anfangen soll. Und ob ich mit der Ausbildung jemals eine richtige Arbeit finden werde, steht auch in den Sternen. Das hast du selbst gesagt!“, füge ich hinzu, um Sirkos Ansatz zu einer Widerrede zuvorzukommen. „Die haben sogar gesagt, dass sie echt froh über meine Entscheidung sind. Ich kriege noch Geld bis Ende Juli und dann gehe ich wieder in die Schule.“, rufe ich freudestrahlend.

      Gemächlich setzen wir unseren Weg fort. „Wie, du kriegst noch Geld bis Ende Juli?“, wundert sich Sirko.

      Ich ziehe die Schultern hoch. „Sie haben gesagt, dass Ausbildungsplätze echt schwer aufzulösen sind. Und weil sie eine Umstrukturierung planen, können sie mit uns eigentlich nichts mehr anfangen. Da wäre es ein feiner Zug von mir, selbst zu kommen. Und darum haben sie irgendeine Vereinbarung draus gemacht, weil ich sie so weniger koste, als wenn sie mich bis zum Ausbildungsende durchfüttern müssten.“

      Sirko kaut für eine Zeit lang auf einem unsichtbaren Strohhalm herum. „Umstrukturierung.“, murmelt er dann vor sich hin. „Klingt irgendwie nicht gut, oder?“

      „Stimmt.“, sage ich. „Klingt vor allem nach Entlassungen, wenn du mich fragst.“

      Schweigend schlendern wir weiter. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen werde, aber irgendwie freue ich mich schon auf die Schule.“, sage ich dann unvermittelt.

      Ein schiefes Lächeln macht sich auf Sirkos Gesicht breit. „Hast du schon überlegt, wo du dich anmelden willst?“

      Nachdenklich schüttle ich den Kopf. „Die Kündigung kam dann doch etwas spontan.“, muss ich eingestehen. „Ich glaube, ich nehme die Wenzel Verner. Da kann ich früh zu Fuß hinlaufen und wenn zwischendurch eine Stunde ausfällt, kann ich sogar nach Hause gehen.“

      „Wenn das mal das ausschlaggebende Kriterium ist.“, meint Sirko achselzuckend. „Warum nicht die Karl Marx?“

      Ich schnaube spöttisch. „Wie klingt das denn? Ich habe Abi an der EOS Karl Marx in Karl-Marx-Stadt gemacht? Die machen sich doch vor Lachen in die Hose, wenn ich das irgendwem erzähle.“

      Er schaut mich pikiert an.

      „Bei dir ist das was anderes.“, versuche ich, ihn zu beschwichtigen. „Du machst dein Abi mit 1,0, da fragt keiner nach. Außerdem glaube ich, dass ich nicht der einzige bin, der gern noch nachträglich auf eine EOS will und da ist die Marx für die meisten bestimmt die erste Anlaufstelle. Bei der Verner hab ich wahrscheinlich bessere Chancen.“

      Sirko will etwas erwidern, als wir von einem lauten Krachen auf der anderen Straßenseite aufgeschreckt werden. Wir schauen hinüber und sehen einen Afrikaner, der sich über ein auf der Seite liegendes Moped beugt.

      „Was macht der denn da?“, wundert sich Sirko.

      „Siehst du die Kiste?“ Ich deute auf eine große Seekiste neben dem Plattenbau. „Sieht aus, als will