Elsa konnte sich gut vorstellen, wie sie jetzt an ihrem Telefon saß und puterrot anlief.
Eigentlich hatte Elsa das vermeiden wollen, aber vermutlich wäre es ohnehin kaum zu verhindern gewesen.
Irgendwann musste ich mich ja mal wieder zu Hause melden, dachte sie.
Und sie hatte es ja wirklich schon eine geraume Weile vor sich hergeschoben.
„Wenn das dein Vater wüsste, dass du vorhast, nicht pünktlich zum Vorlesungsbeginn wieder zurück zu sein!“
„Es würde ihn kaum interessieren!“, versetzte Elsa dann eine deutliche Spur schärfer im Tonfall, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Ihre Mutter schwieg, und Elsa erschrak.
Sie hatte sie an ihrem wunden Punkt getroffen. Aber es war schließlich die Wahrheit. Die verdammte, bittere Wahrheit, und die war ihr in einem unbedachten Moment einfach so über die Lippen geflossen.
Ihre Mutter schien verletzt.
Und wenn schon, dachte Elsa trotzig, als auf der anderen Seite der Leitung noch immer kein Ton zu hören war. Es stimmt ja schließlich! Er interessiert sich nicht mehr für mich und auch nicht mehr für sie! Oder wie sollte man das interpretieren, wenn jemand zu Weihnachten nicht einmal eine Karte schickte? Er rief immer nur an, wenn sie vergessen hatte, ihm die Immatrikulationsbescheinigung zuzusenden, die er für seine Steuererklärung brauchte.
Immerhin kam sein Geld meistens pünktlich. Wenigstens in diesem Punkt war er zuverlässig. Aber in allen anderen Dingen hatte er sie verraten. So empfand sie das jedenfalls.
„Es war nicht so gemeint“, sagte sie dann, obwohl es nicht stimmte. Es war durchaus so gemeint gewesen. Genau so und nicht anders.
„Schon gut“, kam es gedämpft aus dem Hörer. „Geht es dir wenigstens gut?“
„Ja, es ging mir nie besser!“
„Hast du überhaupt noch Geld?“
„Ich komme aus!“
„Ich habe dir geschrieben. Hast du den Brief bekommen?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Du hast nichts bekommen?“
„Nein, ich sag's doch!“
„Ich habe aber an die Adresse geschrieben, die ich von dir hatte. Dieses Hotel... Ich komme jetzt nicht mehr auf den Namen...“
„Da wohne ich schon lange nicht mehr.“
„Nein? Hat es dir nicht gefallen?“
„Doch, aber... Das ist kompliziert.“
„Wo wohnst du jetzt?“
„Bei Robert.“
Sie sagte es einfach so dahin, und dann war es heraus. Aber vielleicht war es gut so. Irgendwann musste sie es ohnehin erfahren. Besser früher als später...
Und wenn sie wirklich länger blieb, vielleicht sogar den ganzen Sommer hindurch und auf das Studium pfiff...
„Ich verstehe nicht...“
„Ich habe einen Mann kennengelernt. Und bei dem lebe ich jetzt.“
„Daher weht also der Wind!“
„Ja, daher weht der Wind, Mama!“
„Ich hoffe nicht, dass du deswegen dein Studium...“
„Nein, keine Sorge!“
Aber in Wahrheit war es genau das, woran sie gedacht hatte.
„Wie alt ist er? Was macht er?“
Elsa hatte keine Lust auf ein weiteres Verhör.
„Mama, es wird zu teuer für mich. Ich muss jetzt Schluss machen!“
„Ja, aber...“
„Tschüss!“
„Pass auf dich auf, Elsa. Wann höre ich wieder von dir?“
„Mal sehen. Wenn ich es einrichten kann.“
Elsa war froh, als der Hörer wieder in der Gabel hing. Sie fühlte sich wie befreit.
Es war Abend.
Elsa legte den Kopf an Roberts Schulter und fand, dass er gut roch. Ihre Hand glitt über seine behaarte Brust. Sie spürte Roberts ruhigen Atem und seinen Arm an ihrem Rücken.
„Ich liebe dich“, murmelte sie. Und dann, nach einer kurzen Pause: „Hast du eigentlich gehört, was ich gesagt habe?“
„Ja.“
„Liebst du mich auch?“
„Ja.“
„Sex mit dir ist wunderbar. Ich glaube, ich könnte süchtig nach dir werden, Robert!“ Sie lachte. „Wahrscheinlich bin ich es längst.“
Dann schwiegen sie eine Weile.
Elsa schloss die Augen. Sie war glücklich.
Eine wohlige Müdigkeit hatte sich ihrer bemächtigt. Um ihre Lippen spielte ein entspannter Zug.
Dann schreckte sie plötzlich Roberts Stimme auf.
„Ich muss für einige Zeit weg“, sagte er.
Elsa war sofort wieder sehr aufmerksam. Sie setzte sich auf und blickte ihn verwundert an.
„Was?“
„Eine Geschäftsreise. Du wirst eine Weile allein hier wohnen, vorausgesetzt, du willst hierbleiben.“
„Natürlich will ich hierbleiben!“
„Musst du nicht irgendwann zurück nach Deutschland?“
„Warum?“
„Ich denke, du studierst...“
„Ich werde das Sommersemester aussetzen. Ich muss mir ohnehin über verschiedenes klarwerden, und vielleicht ist das eine gute Gelegenheit dazu.“
„Du meinst, du willst das Studium abbrechen?“
„Ich will damit sagen, dass ich noch nicht so genau weiß, ob ich das eigentlich will, was ich da tue...“
Die Wahrheit war viel einfacher. Sie wollte bei Robert sein. Jeden Tag, jede Sekunde. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dieser Traum einmal zu Ende sein sollte. Nicht einmal der Gedanke an eine Unterbrechung war ihr erträglich.
„Du hast erwähnt, dass du fort müsstest, Robert...“
„Ja.“
„Für wie lange?“
„Vielleicht eine Woche. Plus minus ein paar Tage. Ganz genau kann ich das noch nicht sagen.“
„Wohin geht es?“
„Erst mal Madrid.“
„Könnte ich dich nicht begleiten?“
„Nein!“
In seinem Tonfall lag etwas Endgültiges. Sie wusste, dass es keinen Zweck hatte, ein zweites Mal zu fragen. Er würde seine Meinung nicht ändern. Nicht nach diesem Nein; so gut kannte sie ihn inzwischen schon.
„Wann geht's los?“, fragte sie.
„Morgen.“
„Oh, morgen schon?“
„Ja.“
„Schade.“
„Es lässt sich nicht ändern, Elsa.“
„Ja, mag schon sein...“
„Irgend wovon muss dies alles hier, das Haus und so weiter, ja bezahlt werden. Und ab und zu muss ich halt auch etwas dafür tun.“
„Es