Sharon Lee

unglückselig verdammt


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nicht schon schlimm genug, Maya konnte es nicht mehr hören. Sie hätte es nicht anders verdient, als in diesem Drecksloch zu sitzen. Sie einzusperren, sei lediglich zu ihrem Schutz.

      Maya hasste seine dreckigen Hände, seine Stimme und seinen bissigen Körpergeruch, dem sie sich nicht entziehen konnte, wenn er ihr wieder einmal näher kam.

      Noch war sie mental stark, stärker als ihr krimineller Cousin.

      Durch die Luke drang nur wenig Licht. Stundenlang hatte Maya gegrübelt, wie sie sich befreien könnte. Vielleicht hätte sie es gerade noch geschafft, sich durch das fünfzig Zentimeter breite Fenster zu quetschen und auch die schmutzige Fensterscheibe hätte sie leicht mit einem Stoß in Tausend Splitter schlagen können. Das Problem aber waren die zwei Eisengitterstäbe, die fest im Gemäuer steckten. Fliehen war aussichtslos. Die einzige Möglichkeit war, mit der Bande um Matteo zu kooperieren, Maya sollte ihre Seele verkaufen und Dinge tun, von denen sie zuvor nicht einmal gewusst hatte, dass sie existieren. Soweit war sie noch nicht.

      Also begann sie erneut die Türe ins Visier zu nehmen, und dachte angestrengt nach, wie sie die Flucht schaffen könnte.

      Mit ihrer steifen Hand strich sich Maya wieder die Strähne aus dem Gesicht und fühlte den nasskalten Schweiß in ihrem Haar. Und dann war noch dieser moderige, grässliche Geruch, eine Mischung von abgestandenem Urin und Schimmelkäse, was bei ihr einen latenten Brechreiz auslöste.

      Man hatte sie eine Verräterin genannt und zur Strafe eingesperrt. So tief war sie inzwischen gesunken. Vor einem Jahr noch, war Maya Hartmanns Leben ein völlig anderes. Sie stammte aus einer ordentlichen Familie und hatte eine gute Erziehung genossen. Ihre Großeltern hatten sie das Wesentliche gelehrt, um auf eigenen Beinen zu stehen und Maya schätzte ihre Unabhängigkeit sehr. Sie war klug, hübsch und voller Energie. Doch sie hatte einen Fehler gemacht. Hätte sie doch nur auf ihren Großvater gehört, dann wäre sie nicht in dieses Elend geraten, sie befand sich in einer geradezu aussichtslosen Situation.

      Dabei wollte sie doch nur wissen, warum ihre Mutter Karin vor vielen Jahren hatte sterben müssen. Zugegeben, Maya hatte durchblicken lassen, dass sie nicht an die Unfallversion glaubte und hatte sich sehr erhofft, dass ihr leiblicher Vater Giulio ihr die ganze Geschichte erzählen würde. Stattdessen schwieg er und versuchte die Wahrheit zu vertuschen. Am meisten aber schmerzte sie, dass er sie an ihren Cousin Matteo verraten hatte. Man hatte ihr die Würde genommen, ihr eigener Vater wollte das so. Und nun gab es für Maya kein Zurück mehr. Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte, ob sie jemals in die Schweiz kehren würde oder hier in diesem Elend verrecken würde.

      Wieder fiel sie in einen Dämmerschlaf. Ihre Augen waren weit geöffnet mit starrem Blick ins Leere. Sie lag einfach nur da, in dieser elenden Zelle, irgendwo im abgelegenen Santa Berta, einer Gemeinde in Apulien.

      Maya begann zu halluzinieren und sah, wie die Leere sich mit Wasser füllte. Ihr Mund war trocken. Sie schluckte leer. Wasser gab es hier nicht. Seit Stunden hatte Maya nichts getrunken, ihr Hals schmerzte und ihre Brust wurde immer enger, so dass sie kaum atmen konnte.

      Das, was sie eben noch als Wasser wahrgenommen hatte, färbte sich plötzlich in Rot, es war Blut, sehr viel Blut, das sich wellenartig auf sie zu bewegte. Eine Unmenge davon floss aus der Leere, und Maya stellte sich vor, wie es bachweise die Straße hinunterfloss. War es das Blut des zerstrittenen Familienclans – oder war es gar ihr eigenes? Sollte sie etwas davon trinken, um ihren Durst zu stillen? Ihr Mund war bereits völlig ausgetrocknet und ihr Verlangen nach Flüssigkeit wurde noch stärker.

      Dann plötzlich hörte sie einen schrecklichen Knall. Maya zuckte zusammen. Es klang ganz nach einem Schuss. Panik machte sich in ihr breit.

      Hatte sie den Schuss wirklich gehört oder bildete sie sich ihn nur ein? War sie wach, oder war das alles nur ein schrecklicher Traum?

      Mit ihren steifen Händen strich sie sich übers Gesicht, wieder fühlte sie den nasskalten Schweiß. Ein Gefühl der Ohnmacht überkam sie.

      Sie wollte unbedingt wach bleiben, um die Kontrolle nicht zu verlieren. Denn immer dann, wenn sie in den Schlaf sank, erlebte sie diese grauenvollen Träume, aus denen sie panisch hochschreckte, klitschnass und verspannt.

      Drei Mal schon hatte sie von ihrer verstorbenen Mutter geträumt, und je öfter dies geschah, desto deutlicher wurden die Bilder. Inzwischen konnte sie erste Zusammenhänge deuten. Noch sah sie die Klippe unscharf, doch sie schreckte jedes Mal mit Herzrasen aus dem Schlaf. Sie war noch nicht stark genug gewesen, alles bis zum Schluss fertig zu träumen, und doch wollte sie wissen, wie der Traum endete. Es war ihr schmerzhafter innerer Kampf gegen ihre Ängste, gegen sich selbst – aber für die Wahrheit.

      Wieder begann Mayas Vision mit der Erinnerung an ihre Mutter, Karin Hartmann. Das Gesicht ihrer Mutter war jung, Maya ähnelte ihr sehr, als wären sie ein und dieselbe Person.

      Auch jetzt beschlich Maya ein warmes Gefühl, ihr ganz nahe zu sein.

      Der Traum war unheimlich, fast real und Maya schauderte beim Gedanken, dass sie den Atem ihrer Mutter spüren könnte. Dabei war es nur der Luftzug, der durch die Luke in die Zelle drang.

      Verwirrt horchte Maya in den Raum. Doch da war niemand in der Zelle, außer Maya selbst. Sie halluzinierte, ihre Mutter würde anstatt ihrer selbst auf der löchrigen Matratze. Maya sah sie im Traum erneut vor sich mit zerzaustem Haar und einem schmutzigen Gesicht. Maya sah fürchterliche Angst in ihren Augen.

      Sich länger gegen die Wahrheit zu wehren, ging nicht mehr. Im Schlaf sah Maya, wie ihre Mutter und ein Mann namens Pietro in rasender Geschwindigkeit über die Landstraße donnerten.

       Pietro hielt das Steuerrad in festem Griff. Schweißperlen rannen ihm über den Nacken, er war hochkonzentriert, als stünde er unter enormer Anspannung. Pietro bangte um sein Leben und um das von Karin Hartmann. Er hatte den Schwur gebrochen und sich gegen den Willen des Oberhauptes der süditalienischen Mafia gestellt.

       Er war es, der Karin vor wenigen Minuten aus dem Verließ befreit hatte, aus derselben Zelle, in der jetzt Maya gefangen war.

       Erschöpft von der Zeit im Verließ, sprach Karin nur wenig. Sie war voller Angst, doch noch klammerte sie sich an die Hoffnung, ihre kleine Tochter Maya, die sie zuhause in der Schweiz gelassen hatte, bald wieder in den Armen zu halten. Wenn sie überhaupt etwas sagte, dann erwähnte sie den Namen Maya oder sie bedankte sich bei Pietro für seinen Mut, sie aus der Zelle befreit zu haben, mit dem Wissen, dass er sein Leben für sie riskierte. Und die Gefahr war nicht vorbei. Erst wenn sie Schweizer Boden unter ihren Füssen hätte, wäre sie in Sicherheit.

       Pietro wirkte nervös, und Karin folgte seinem Blick in den Rückspiegel. Niemand schien hinter ihnen zu sein, also versuchten sie, sich etwas zu entspannen. Aus dem Radio dröhnte italienische Musik.

       Das grelle Licht machte Karin arg zu schaffen. Sie hatte die Tage zuvor im halbdunklen Raum verbracht. Als sie heute Morgen im Drecksloch erwacht war, durstig, apathisch, steckte in ihr die blanke Angst. Auch wenn sie die Hoffnung nie aufgegeben hatte, so wirklich hatte sie nicht mehr daran geglaubt, dass sie das hier überleben würde.

       Vor Wochen war sie mit den besten Vorsätzen nach Santa Berta gereist. Sie wollte es gut machen und sich mit dem leiblichen Vater ihres Kindes versöhnen. Denn wenn Maya einmal Fragen stellen würde, wollte Karin diese nicht unbeantwortet lassen.

       Giulio hatte sich bei Karins Ankunft sehr gefreut und ständig versichert, dass er für Maya alles tun werde. Die anfängliche Überschwänglichkeit war aber rasch verflogen. Nach wenigen Tagen war es bereits zu einem heftigen Streit gekommen. Giulio war handgreiflich geworden und beleidigend. In diesem schlimmen Moment fasste Karin den Entschluss, dass Giulio seine Tochter Maya nie zu Gesicht bekommen würde und ärgerte sich über ihre eigene Naivität, ihrem Ex erneut vertraut zu haben. Doch leider war es bereits zu spät.

       Karin blickte zu Pietro, der in hohem Tempo auf die Küste zu fuhr. Weit und breit war kein Wagen oder Motorrad zu sehen oder zu hören. Das war nicht verwunderlich,