Remington Queens

ALL BECOME REALIZED


Скачать книгу

Unser Bürgermeister Mr. Mayor rühmt sich andauernd damit, dass „seine“ Stadt in Sachen Technik so weit vorangeschritten ist. <<

       Sitzt an seinem Schreibtisch.

      >> Kommen wir aber zurück zu mir. Insgeheim habe ich keine Hobbies. ---Na gut, ok: Es gibt da tatsächlich etwas, aber ich möchte ja, dass Ihr weiter aufmerksam dabei bleibt. Jedoch möchte ich Euch auch nichts verschweigen. So wird niemand hinterher behaupten können, er hätte nicht gewusst, was für ein Freak ich bin. Also ich habe da so ein Handbuch. Ich trage es im Grunde genommen seit meiner Geburt mit mir rum. Von wem ich es habe, weiß ich gar nicht so genau. Na ja, meine Mutter ist kurz nach meiner Geburt verstorben. Und mein Vater, der ist verschwunden, als ich klein war. Jedenfalls befinden sich in diesem Buch bereits eine Menge Zeichnungen von verschiedenen Vogelarten. Ich bin ein absoluter Vogelliebhaber. Die meisten habe ich skizziert, als ich sie das erste Mal in freier Natur gesehen habe. Zugegeben sind auch ein paar wenige von ihnen erfunden, aber das müsst Ihr ja niemandem erzählen. Was gibt es sonst noch… Ach ja, früher wollte ich immer mal nach Skandinavien. Ich bin ein Typ, der Kälte braucht und muss nicht satte zwölf Stunden am Tag die Sonne sehen. ---Warum ich das alles kundgebe? –Ich bin nicht anders als Ihr, weil ich wie Ihr anders bin. Ich denke anders, schreibe anders, spreche anders… Aber eine Sache, die unterscheidet mich nicht bloß von Euch, nein. Sie unterscheidet mich von der Wirklichkeit, von der Ihr glaubt, Ihr würdet sie kennen. <<

       Schritte auf der Treppe.

      Lucas?

      >> Es gibt da etwas, was ich Euch unbedingt erzählen muss! <<

      Lucas!

      >> Ich habe eine besondere Gabe. Eigentlich ist es sogar eher ein Fluch. <<

      Oh, hey Steve!

      Mom! Was gibt’s?

      Ich muss mit Deinem Bruder reden. Seine Lehrerin Ms. Patterson hat gerade angerufen. Sie bittet mich wieder einmal um ein Gespräch. Ich soll am Montag in die Schule kommen.

      Hat Lucas etwa Ärger gemacht?

      Er hat einen Mitschüler geschlagen. Die Gründe dafür hat er ihr nicht verraten.

      Das ist nicht das erste Mal, dass er negativ auffällig geworden ist.

      Bedauerlicherweise… Hey! Vergiss nicht, dass wir um siebzehn Uhr auf Masons Geburtstag gehen. Dina meinte, er freue sich schon darauf, Euch beide wiederzusehen.

      Keine Panik. Ich weiß Bescheid. Und ein Geschenk habe ich auch schon.

      Da wird er sich freuen.

      Bestimmt.

      Wie auch immer. Ich gehe mal zu Lucas rüber.

      Alles klar!

      Lucas?

       Klopft an die Tür.

      Ich bin es.

       Drückt die Klinke runter. Verschlossen.

      Lucas, Du weißt, dass Du die Tür nicht ständig abschließen sollst.

      Was willst Du?

      Deine Lehrerin hat bei mir angerufen. Warum, brauche ich Dir, glaube ich, nicht zu erläutern.

      Lass mich in Ruhe!

      Na schön. Ich gehe jetzt wieder nach unten und hoffe für Dich, dass Du nachkommen und mir das erklären wirst.

       Geht die Treppe hinunter.

      >> Habt Ihr das gerade mitbekommen? So läuft es hier leider ständig. Mein Bruder Lucas ist, wie soll ich sagen, ein Problemkind. Auch ihn hat Buku erst vor wenigen Jahren adoptiert. Vor drei, um genau zu sein. Ein echter Unruhestifter! Das ist sehr schade, denn er hat viel Talent. Zu mir ist er immer sehr nett. Ich denke, dass er einfach noch etwas Zeit braucht, um sich in seine neue Familie einzuleben. Es ist nicht schön, von der eigenen verstoßen zu werden. Seine Eltern wollten ihn nicht und gaben ihn zur Adoption frei. Das ist natürlich hart, aber wie er sich Mom gegenüber verhält, ist nicht fair. Sie gibt sich sehr viel Mühe, um uns das Gefühl zu geben, hier in einer richtigen Familie zu leben. Dabei ist sie selber gerademal Anfang dreißig. Wo wir schon von ihr sprechen: Sie war mal Regisseurin und noch dazu sehr erfolgreich, aber dann hörte sie auf, um mehr Zeit mit uns Kindern verbringen zu können. Heute gibt sie solche Kurse, wo mehrere Menschen zusammen kommen, um über deren persönlichen Probleme zu sprechen. Ihr wisst schon, was ich meine. Selbsthilfegruppe nennt man das, glaube ich. Was gibt es noch über sie zu sagen?- Nun, sie teilt mit mir die Leidenschaft des Zeichnens… Oh, und sie trägt immer diese Kette mit dem versilberten Anhänger in Form eines Herzens. Darin bewahrt sie ein Foto von sich und ihrer Großmutter auf, als sie klein war--- meine Mutter versteht sich, nicht ihre Großmutter. Mich überrascht es, dass mir gerade das einfällt, aber wenn ich so drüber nachdenke, glaube ich, sie noch nie ohne diese Kette gesehen zu haben… Ok, genug von ihr. War eigentlich nicht so geplant, aber jetzt wisst Ihr ebenso gut über meine Familie Bescheid. Nun kommen wir aber endlich wieder zurück zu mir. Also ich habe da, wie gesagt, diese Gabe. <<

       Wechselt ins Badezimmer.

      >> Das ist echt verrückt. Ich lernte sie kennen, da war ich elf. Aber ich kann mir denken, dass sie schon viel länger in mir schlummert, nur habe ich es vorher nie so richtig gemerkt. Das läuft folgendermaßen: Manchmal schließe ich die Augen und es passiert etwas Seltsames. Zunächst kommt es mir wie ein Traum vor, aber später merke ich, es ist die Realität. Vor meinem inneren Auge spielen sich Handlungen ab, als würde ich etwas zeichnen. Anfangs kann es niemand außer mir sehen, aber sobald der Gedanke vollendet ist, tritt das Bild, welches einst nur in meinem Kopf existierte, plötzlich vor allen Anwesenden auf. Ich kann es nicht zügeln, es geschieht einfach. Wenn ich einmal mit einer Zeichnung angefangen habe, kann ich nichts mehr dagegen unternehmen und stehe nur so da--- wie gelähmt. Weil ich nicht weiß, wie gefährlich diese Eigenart für meine Mitmenschen werden könnte, verlasse ich kaum das Grundstück. Das ist eigentlich auch nicht nötig, denn ich habe hier alles, was ich brauche: Ich werde zu Hause unterrichtet, unser Garten ist groß wie eine Parkanlage, -inklusive eines Springbrunnens, auf der Dachterrasse haben wir noch einen Pool und die Einkäufe erledigt meine Mom. Von meinen Fähigkeiten wissen außer mir nur zwei Personen: Meine Mutter und mein Heimlehrer, Bairre O´Neill. Ihm wollte ich eigentlich gar nichts davon erzählen, aber er hatte so oft nachgehakt, da habe ich mich ihm doch anvertraut. Und dann stellte sich heraus, dass auch er diese Gabe in sich trägt. Wahrscheinlich konnte er deshalb auch vermuten, dass ich seines Gleichen bin. Seitdem er es weiß, hilft er mir dabei zu versuchen, sie zu kontrollieren. Nun sind es schon zwei, die die Wirklichkeit neu definieren. <<

       Schmiert sich Zahnpasta auf seine Zahnbürste. Putzt sich die Zähne. Spuckt den verflüssigten Schaum ins Waschbecken und spült sich den Mund aus.

      >> Da ich das Haus so gut wie nie verlasse, habe ich hier in der Stadt bloß eine Freundin, Lena Marano. Auch sie ist anders, was mit einer tragischen Geschichte zusammenhängt. Vor ein paar Jahren starb ihr Vater bei einem Autounfall… Kurze Zeit später kam es für sie noch schlimmer: Wie aus dem Nichts konnte sie ihre Beine nicht mehr spüren. Bis heute sitzt sie im Rollstuhl und hofft, endlich wieder Gefühl in jene zu bekommen. Sie tut mir wirklich leid. Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was eine solche Umstellung für einen Menschen bedeutet. <<

       Verlässt das Badezimmer. Geht nach unten in die Küche.

      Hey, Steve. Wenn heute alles gut funktionieren sollte, ich meine so ganz ohne Pannen, dann könnten wir ja mal zusammen ins Kino gehen oder irgendwas in der Art. Und wenn Lucas lernt, sich zu benehmen, dann wird er auch mitkommen dürfen.

      Klingt echt super!

      Nicht wahr?

       Hört eine Tür sich öffnen. Lucas kommt die Treppe hinunter. Macht einen gelangweilten Eindruck.

      Guten Morgen, Lucas. Wir haben gerade von Dir gesprochen.

       Bewegt sich, ohne auf