Mahlgeräusch ertönte aus der Küche. Seine Frau Vera war im Gegensatz zu ihm Frühaufsteherin. Geschirr klapperte. Offenbar war sie gerade dabei, den Tisch zu decken. Wie immer mit liebevoll gefalteten Servietten.
Beim Gedanken an seine Frau huschte ihm ein Lächeln über das Gesicht. Auch nach so vielen Ehejahren gab sie sich Mühe, ihn mit Kleinigkeiten zu beglücken, wie zum Beispiel einem Frühstück.
In T-Shirt und Unterhose schlappte er in die spartanisch eingerichtete Küche. Ein Kühlschrank, ein Gasherd, eine Spüle und die Rückseite des Kachelofens, deren großzügiges Fach häufig als Backofen diente. Sie küssten sich.
Der Inspektor bei der Kriminalpolizei in Rijeka setzte sich an seinen Platz. Der Stuhl am Fenster, das war seiner. Vera schenkte ihm Kaffee ein, und er griff nach einem Slanac, ein salziges Gebäck, auf das er im Leben nicht verzichten würde. Der Slanac war noch warm. Er ließ sich den warmen Teig auf der Zunge zergehen.
„Kannst du deine Haare nicht einmal vor dem Frühstück zusammenbinden?“, fuhr sie ihn an. „Ein einziges Mal. Mehr verlange ich nicht.“
Er wusste, dass sie es hasste, wenn er sich mit seinen offenen langen Haaren an den Tisch setzte. Überhaupt gab sie ihm immer wieder zu verstehen, dass sie seine Frisur nicht mochte. In den vergangenen Jahren hatte sie ihn immer wieder darauf angesprochen, was er allerdings geflissentlich überhörte.
Wortlos schob er seinen Stuhl zurück, erhob sich und tappte in das Badezimmer. Er öffnete den Spiegelschrank und griff in das kleine Körbchen, in das er gestern Abend sein Haargummi gelegt hatte, band seine Haare locker zu einem Zopf und kehrte an den Frühstückstisch zurück.
„Besser so?“
„Danke.“
Ihr durchbohrender Blick entging ihm nicht. „Du brauchst gar nicht so zu gucken, ich werde sie nicht abschneiden.“
„Aber Dragi, Liebster, du hast zwar lange Haare, ja, aber nicht mehr viele. Das ist das Problem. Du bist nicht Renegade.“
„Aber Draga, die wenigen, die noch übrig sind, möchte ich behalten und pflegen“, flötete es juxig zurück, und er schlürfte seinen Kaffee.
Während des Essens las Vera in einem Magazin den neusten Tratsch über das Privatleben der Promis. Er blätterte im Jutarnji List, der landesweiten Morgenzeitung, in der etwa so viel Sinnvolles geschrieben stand wie im Klatschmagazin seiner Frau. Horvat überflog die fettgedruckten Headlines und schaute sich die dazugehörigen Bilder an. Zwischendurch biss er vom Slanac ab, ohne seinen Blick von der Zeitung zu nehmen.
Nach der morgendlichen Pflichtlektüre trank er den indes kalt gewordenen schwarzen Kaffee fertig, stand auf und hauchte seiner Gattin einen Kuss auf den Kopf. Dann begab er sich ins Schlafzimmer zurück.
Als Inspektor hätte er sich gewiss eine schönere, modernere und größere Wohnung leisten können, wenn nicht sogar ein Haus. Aber er hing an der Altbauwohnung mit unebener Decke, orangefarbenen Kacheln im Bad und einer Küche ohne Spülmaschine. Er lebte schon seit vierunddreißig Jahren darin und hatte nicht vor, dem ein Ende zu setzen. Als er zwanzig war zog er mit seiner Vera in das Hochhaus. Dass er vom kleinen Balkon aus, auf dem knapp zwei Personen Platz hatten, auf den städtischen Friedhof auf der gegenüberliegenden Straßenseite schaute, hatte ihn damals genauso wenig gestört wie heute.
Er schälte sich aus dem Shirt und schlüpfte unter die Dusche, seifte seinen drahtigen Körper ein und stellte sich unter den Duschkopf, aus dem nur kaltes Wasser plätscherte. Nur mit kaltem Wasser konnte man richtig wach werden, war er der Überzeugung. Er zog den Vorhang zur Seite und sah seine Kleider auf dem Wäschekorb. Vera legte ihm jeden Morgen die Kleider bereit, während er unter der Dusche stand, und er liebte sie dafür. Danach putzte er die Zähne, glitt in die bereitgelegten Schuhe und streifte sich ein Sakko über; gab seiner Frau einen sanften Kuss auf den Mund und trat ins Treppenhaus.
***
Es war schon ziemlich spät, er musste sich ins Büro sputen. Mit einem Satz gelangte er in den überfüllten Stadtbus, der ein paar Haltestellen später wenige Meter vor dem Kommissariat stoppte. Er stieg aus, und die gleißende Hitze des Sommermorgens traf ihn wie eine Faust. Aus der Hosentasche zog er ein Stofftuch hervor und tupfte sich die dicken, klebrigen Schweißtropfen von der Stirn.
Aus dem Polizeigebäude stürmten Beamte heraus.
„Hey, was ist denn los?“
„Inspektor Horvat, gut, dass ich Sie antreffe. In Opatija ist eine Frau tot aufgefunden worden.“
„Und was hat die Mordkommission damit am Hut?“
„Nun, Inspektor, es wurde gesagt, der Fundort gleiche einem Schlachtfeld.“
Horvat brummte gnatzig. „In Ordnung. Ich komme gleich nach.“ Er passierte seinen Dienstwagen, der gleich neben dem Eingang geparkt war und trat ins Präsidium. Gestern hatte er seinen Ausweis auf dem Schreibtisch liegenlassen, den musste er im Dienst immer bei sich haben. Er suchte noch die Toilette auf, dann begab er sich nach Opatija.
4
Auf dem Abschnitt, der für Hotelgäste des Kvarner Hotels reserviert war, herrschte reges Treiben. Männer in dunkelblauen Uniformen wummerten umher. Oben, hinter der Brüstung über der Unterführung, standen Schaulustige auf dem Lungomare und stierten herunter, wahrscheinlich in der Hoffnung, einen Blick auf den Leichnam erhaschen zu können.
Sensationsgeile Arschlöcher, dachte Gantenbein.
Ein Uniformierter kam auf ihn zu.
„Guten Morgen, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
„Natürlich.“
Der Polizist zückte Schreiber und Block.
„Nennen Sie mir bitte Ihren vollständigen Namen.“
„Frank Gantenbein.“
„Sind Sie ein Gast des Hotels?“
„Nein“, antwortete Gantenbein zögernd, „ich wollte hier nur in Ruhe einen Kaffee trinken.“
Der Polizist schaute verdutzt.
„Hier? Im Abschnitt, der nur für die Gäste dieses Hotels ist?“
„Ja. Mensch, mein Freund, der arbeitet hier, hat mich durchgeschleust.“
„Ach so“, meinte der Uniformierte und lächelte verschmitzt, „verstehe. Ein Freund.“
„Nein, doch nicht so ein Freund.“
Der Beamte legte seine Hand auf Gantenbeins Schulter.
„Keine Sorge, mein Lieber, das bleibt unter uns.“ Er zwinkerte. „Wie heißt denn Ihr Freund?“
„Oh nein, muss das sein? Hören Sie, der bekommt mächtig Ärger, wenn durchsickert, dass er mich hier Kaffee trinken lässt.“
„Der Inspektor kommt in etwa fünf Minuten. Mit dem Gerichtsmediziner im Schlepptau“, brüllte ein stattlicher Polizist, sodass alle, auch die Schaulustigen, ihn hörten. „Diejenigen, die sehen wollen, wie eine Untersuchung an der Leiche durchgeführt wird, dürfen bleiben. Die anderen gehen.“
Gantenbein traute seinen Ohren kaum, doch die Worte des Stattlichen trugen Früchte. Die Menschenmenge löste sich auf. Seine Neugierde, sein kriminalistisches Gespür war geweckt und er wagte sich ein paar Schritte näher an die Duschkabine.
„Stopp! Weiter dürfen Sie nicht. Außer“, meinte ein hochgewachsener, drahtiger junger Mann, „außer Sie sind ein Angehöriger der Polizei.“
Gantenbein fackelte nicht lange.
„Das bin ich auch“, schoss er heraus. „Frank Gantenbein, Kriminalkommissar aus der Schweiz.“
„Aus der Schweiz?“
Die anderen bildeten einen Kreis um ihn und warteten gebannt.
„Ja. Also, jetzt