Sanela Egli

Gantenbein und die Tote in der Dusche


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und ein Mann, starrten ihn voller Neugierde an.

      „Ihr Bruder.“

      „Ihr Bruder?“, schossen sie unisono heraus.

      „Ja, ganz sicher. Die Tote und ihr Mann sind nicht allein hergekommen. Der Bruder der Toten und seine Frau sind auch hier.“

      „Und wer ist ihr Bruder?“, fragte der zweite Mann in der Runde.

      „Na, das ist der, der ständig mit einem Notizbuch herumläuft.“

      „Ach, der. Das ist aber ein ganz seltsamer Kerl“, meinte die drahtige Frau, die zwischen dem zweiten Mann und der stattlichen Frau stand. „Dem würde ich es zutrauen. Ein wirklich seltsamer Vogel.“

      Gantenbein schnaufte. Wenn das stimmte, was die Gäste sich hier erzählten, dann war das eine sehr außergewöhnliche Familienkonstellation. Somit war der Bruder der Toten der Mann ihrer Schwägerin. Das war doch eher fragwürdig, wenn auch nicht unmöglich. Er staunte immer wieder darüber, wie schnell Leute überzeugt waren, alles über andere zu wissen. In der Schweiz, in Kroatien. Überall auf der Welt war es derselbe Mist.

      Ein Gedankenblitz durchfuhr ihn jäh. Ein Blick zur Rezeption zeigte ihm, dass das Personal gerade viel zu tun hatte. Er nutzte die Gunst der Stunde, um unbeobachtet in den Aufzug zu steigen. Drückte die Nummer drei, und die Tür schob sich zu. Erleichtert atmete er aus. Er lächelte. Er war doch des Wahnsinns. Was dachte er sich nur dabei?

      Die Tür ging auf, und er trat einen Schritt in den Flur des dritten Stockwerks, der genauso prachtvoll, ja fast schon majestätisch war, wie der Rest des Hotels.

      Bevor die Kriminalen herausfinden würden, wer die Tote war, hatte er noch ein paar Minuten, bis er von hier verschwinden musste. In seinen Badelatschen schlappte er zur ersten Tür und lauschte. Nichts. Dem Korridor zum nächsten Zimmer folgend, kam ihm ein älteres Paar entgegen. Mit einem lächelnden Kopfnicken begrüßten sie sich. In seinem Touristen-Outfit fiel er überhaupt nicht auf. Er passierte das Zimmer und flanierte gemütlich weiter, bis er hinter sich die Tür zugehen hörte. Er machte auf dem Absatz kehrt. Der Mann und die Frau waren verschwunden. Gantenbein eilte zurück an die zweite Tür und legte leise sein Ohr daran. Just in dem Moment sprang der Aufzug auf und der Inspektor schritt heraus, drei Polizisten folgten ihm auf dem Fuße.

      „Ach du Scheiße, was suchen Sie denn immer noch hier?“

      „Meinen Sie etwa mich, Inspektor?“, fragte Gantenbein mit einem schelmischen Grinsen.

      Der Ermittler trat in seinem weißen Hemd und schwarzem Sakko mit breitem Revers näher.

      „Komm mir nicht so, Bein.“

      Bein, natürlich.

      „Ich … ich möchte Ihnen nur helfen, den Mörder der jungen Frau zu finden.“

      „Ich brauche aber keine Hilfe. Schon gar nicht von einem Touristen.“

      „Ich bitte Sie, ich bin doch kein Tourist, ich wohne hier.“

      Inspektor Horvat legte den Kopf schief und hob seine Augenbrauen.

      „Und ich arbeite hier. Meine Stadt, mein Fall, mein Tatort. Ich habe Sie gewarnt … Bein. Ich lasse Sie abführen.“

      „Hey, was glauben Sie, woher ich wusste, dass ich in diese Etage kommen musste, Inspektor Horvat?“

      Im ersten Moment verdutzt dreinschauend, stand der Chef-Ermittler vor Gantenbein. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck in Wut, zornige Röte stieg seine Wangen empor.

      „Vielleicht, weil Sie etwas damit zu tun haben?“

      „Bin schon weg.“

      Vorbei an Inspektors Gefolge drückte Gantenbein den Knopf, der sich zwischen den beiden Aufzügen befand und verschwand im linken, der zuerst seine Pforte öffnete.

      Gerade noch gutgegangen, dachte er und betätigte den Knopf der Lobby.

      Einen Wimpernschlag später verwarf er sein Vorhaben, das Hotel zu verlassen, und drückte rasch die Nummer zwei. Er fuhr sich durch die vollen Haare und wartete darauf, dass die Tür aufging. Der Aufzug kam zum Stehen, und Gantenbein sprang hinaus und folgte schnellen Schrittes dem Schild, auf dem eine Treppe abgebildet war. Er erklomm die Stufen und hielt, angelehnt an die Wand, kurz inne. Spähte um die Ecke. Leerer Korridor. Auf leisen Sohlen bewegte er sich von Tür zu Tür, lauschte, bis er hinter einer Inspektor Horvat sprechen hörte. Verstehen konnte er nichts, aber er war sich sicher, dass die Stimme, die er hörte, die des brummigen Ermittlers war. Die Zimmernummer 307 war auf einem Messingschild, das an der Tür hing, eingraviert. Die Zahl musste er sich merken. Hierher würde er zurückkehren. Dieser Mordfall hatte bereits Besitz von ihm ergriffen. Er fuhr herum und zog von dannen.

      ***

      Gantenbein schlurfte die Hauptstraße entlang und folgte der geschwungenen Straße hinauf bis zum Kreisverkehr. Beißende Abgase von den Autos im stockenden Kolonnenverkehr reizten seinen Hals, sodass er ständig husten musste. Rücksichtslos überquerte er zu Fuß den Kreisel, erntete dafür böse Blicke und Kopfschütteln von Autofahrern. Einer Weggabelung weiter oben führte die Autofahrer nach links Richtung Pula und rechts nach Rijeka. Gantenbein blieb auf dem Gehweg und passierte die alte Tankstelle. Erst vor wenigen Tagen war der Besitzer verstorben. Nach einigen Metern bog er rechts in die Einfahrt seines Hauses.

      7

      Mittlerweile hatte sich Jasmine Spuhler an die Spachtelei gewöhnt. Täglich stand die dürre Einunddreißigjährige vor dem Spiegel und klatschte sich viel zu viel Make-up ins Gesicht. Aber nur so traute sie sich noch aus dem Haus. Sie hätte es lieber anders, doch ihr natürliches Aussehen hinderte sie stets daran, sich wohl zu fühlen. Wenn sie sich im Spiegel anstarrte, verfiel sie oft in nostalgische Gedanken und erinnerte sich daran, wie es war, als sie ihren Titel als Miss Fitness verteidigte.

      Ihr Gesicht verzog sich zu einem traurigen Antlitz, als sie an die unbeschwerte Zeit zurückdachte. Sie vermisste den Sport sehr. Früher gab es keinen Tag, an dem sie sich nicht sportlich betätigte. Heute war sie froh, eine Woche zu überstehen, ohne einen Tag im Bett gelegen zu haben.

      Sie war ein Schatten ihrer selbst.

      Jasmine zupfte ihre Fransen zurecht, begab sich in die Diele und schlüpfte in ihre Schuhe. Griff nach dem Schlüssel und verließ die Wohnung.

      Sie war Tim unendlich dankbar, er brachte die siebenjährige Angela morgens in die Schule, damit sie sich ungestört für die Arbeit in der hiesigen Kindertagesstätte fertigmachen konnte. Ohne ihn hätte sie die schwere Zeit nicht durchgestanden. Seit ihrer Hochzeit waren sieben Jahre vergangen und sie hatten mehr schlechte als gute Zeiten erlebt. Manchmal kam es Jasmine vor, als ob ihre Beziehung von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Dank ihres Mannes, der sie nie aufgegeben hatte, waren die beiden heute noch zusammen. Doch sie musste sich eingestehen, sie liebte ihn anders als er sie. Das große Geheimnis stand von Anfang an zwischen ihnen. Und jetzt auch noch die beschissene Krankheit. Wäre sie eine Schauspielerin, hätte sie schon längst einen Oscar für ihre Fähigkeit gewonnen. Sie spielte nicht nur ihrem Mann etwas vor, sondern auch ihren Freunden und ihrer Familie. Eigentlich war sie strikt gegen Lügen, aber sie hatte all die Jahre Angst gehabt, ihren Liebsten die Wahrheit zu sagen; das Geheimnis war inzwischen zu einer Lebenslüge geworden.

      ***

      Sie bugsierte ihren Fiat in die Parklücke vor dem Chinderhuus, wie die Kindertagesstätte hieß und freute sich auf die Ablenkung. Die Kinder in ihrer Gruppe waren zwei bis vier Jahre alt und ließen sie ihre Sorgen und Ängste jeden Tag für ein paar Stunden vergessen.

      Sie entstieg dem Wagen und knallte die Tür zu und erklomm die wenigen Stufen zum Eingang. Schälte sich aus den Schuhen und glitt in bequeme Hausschuhe.

      Die Tür ging auf und Julia trat ein, Jasmines Kollegin, sie arbeiteten in derselben Gruppe. Bärchen, so nannten sich die acht Kinder. Die beiden Frauen waren die Erzieherinnen und Paddy die Auszubildende.

      „Guten Morgen. Na, freust du dich schon?“, fragte Julia,