John Etter

JOHN ETTER - Lottosechser


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      Die Mittvierzigerin drehte sich zu ihm um und nickte, die Augen auf den Boden gerichtet. Obwohl sie sich etwas zurückhaltend gab, gab sie sich einen inneren Ruck und ergänzte das Nicken.

      „Ja, ich musste einfach etwas raus und weg von zu Hause, um meinen Kopf freizubekommen. Jetzt suche ich ein paar schöne Orte in der Umgebung, an denen ich mich wohlfühlen kann. Almen oder Restaurants oder Ähnliches in einer schönen Umgebung.“

      „Um den Kopf freizubekommen, ist spazieren in dieser Umgebung sicher gut, aber ich glaube, für heute ist es vielleicht etwas spät“, meinte Andreas.

      „Ja, ich übernachte in der Nähe. Eine Freundin wohnt üblicherweise hier und hat mir während ihrem Urlaub in Italien den Schlüssel überlassen.“

      In der Zwischenzeit hatte sie den Blickkontakt von Andreas erwidert.

      „Vielleicht sehen wir uns morgen. Ich habe auch vor, in dieser Gegend wandern zu gehen.“

      „Angela, Angela Dreher“, stellte sich die Dame vor und streckte ihm die Hand scheu hin.

      „Freut mich, Andreas, und wie man sicher hört, Schweizer.“

      Andreas musterte sein Gegenüber und dachte als Erstes, dass diese Frau mit diesem hübschen Gesicht eindeutig underdressed war. Eigentlich unpassend, aber Andreas hatte in seinen Berufsjahren genügend Menschenkenntnisse angesammelt, um gleich zu wissen, dass in dieser Frau mehr steckte, als auf den ersten Blick zu erkennen war.

      Nach einer kurzen Pause meinte Angela: „Ich wohne unten in Innsbruck und musste einfach raus. Ich kenne mich hier nicht groß aus und darum stehe ich hier vor der Tafel.“

      „Nun, ich komme schon seit etwa zwanzig Jahren immer wieder hierher und kenne schon viele Hügel, Almen und Gaststätten in der Umgebung. Wobei wir … ich meine ich, sehr selten außerhalb des Hotels etwas gegessen habe. Was möchten Sie den tun?“

      „Einfach raus in die Natur, nicht zu streng gehen und das Leben Leben sein lassen.“

      „Da könnte ich Ihnen auch die Karwendel-Bergbahn empfehlen. Da können Sie rauffahren und es gibt viele verschiedene Routen unterschiedlichster Schwierigkeit, die man genießen kann. Oder Sie können hier am Rofan Ihren Mut testen, da gibt es den Air Rofan, einen Skyglider, an dem sie etwa 600 Meter weit vom Gschöllkopf in die Tiefe rasen können.“

      „Nein, das ist nichts für mich, aber das mit der Karwendel-Bergbahn tönt interessant. Eigentlich eine Schande, dass ich als gebürtige Tirolerin diese Gegend kaum kenne und mir von einem Schweizer Tipps holen muss.“

      Man sah ihr an, dass sie für den nächsten Satz den ganzen Mut aufbrachte. „Wo gehen Sie morgen wandern?“

      „Ich hatte nichts Fixes vor. Möchten Sie, dass ich Sie begleite?“ Andreas war über seine eigenen Worte überrascht.

      Jetzt sprang Angela über ihren Schatten und wunderte sich selbst über ihren Mut.

      „Wenn Sie Zeit und Lust haben, es nicht eine Marathonwanderung sein sollte und sich nicht darüber stören, dass ich nicht allzu viel rede, da ich einige Gedanken sortieren muss … .“

      „Ich habe Zeit“, antwortete Andreas spontan. „Wir können uns hier treffen, gemeinsam nach Pertisau und mit der Karwendel-Bergbahn hochfahren. Dann können wir vor Ort immer noch entscheiden, wohin wir wie lange wandern wollen. Ich bin kein Profiwanderer und ebenfalls froh, wenn es nicht allzu streng wird.“

      „Sicher, so spontan?“, fragte Angela immer noch über den eigenen Mut überrascht.

      „Ja, und wenn es nicht passt, kann jeder das tun, was er will. Für mich stimmt es. Wollen wir etwas trinken gehen, um uns etwas näher kennenzulernen?“

      „Tut mir leid, ich habe mit einer Kollegin zum Essen abgemacht, aber vielleicht später auf einen Drink? Wo sind sie einquartiert?“

      „Gleich da unten, in der Alpenrose. Wir können uns ja an der Bar treffen, wenn sie mögen. Ich werde wohl bis etwa 23 Uhr dort sein. Und sonst, um welche Zeit morgen?“

      „Ich denke, ich werde es vor 23 Uhr schaffen und sonst morgen um neun Uhr hier?“

      „Abgemacht. Bis später oder bis Morgen, ich freue mich.“

      „Ich mich auch. Bis bald.“

      Andreas ging zurück zur Alpenrose und schon bald saß er in der „Andreas-Hofer-Stube“, seiner Lieblingsstube in der Alpenrose. Nicht weil er denselben Vornamen hatte, sondern weil er das gemütliche Ambiente hier besonders schätzte. Es gab einige solcher Stuben und Speisesäle, aber diese hier hatte es ihm schon immer angetan.

      Bei der Auswahl der Nahrungsmittel setzte die Alpenrose schon immer auf Regionalität. Ob Gemüse, Fleisch, Milchprodukte oder heimische Fische, die meisten ihrer Lieferanten kannten sie persönlich und so konnten sie ihren Gästen gesunde Frische und beste kulinarische Qualität garantieren. Was sie auch immer taten, das zeigte Andreas Waage immer nach den Urlauben an. Obwohl, er hätte sich auch für weniger Kalorien entschließen können, wollte dies aber nicht. Wenn schon Urlaub, dann richtig, auch beim Essen.

      Bei der reichhaltigen Auswahl an Speisen blieben keine seiner Wünsche offen und auch die reichhaltige Weinauswahl beglückte ihn. Jedes Mal ließ er sich die Weinkarte bringen und fand immer eine Kostbarkeit. Und wenn er mal nicht richtig wusste, was er wollte, berieten ihn die Sommeliers. Aber auch das Servicepersonal kannte sich aus. Diese wurden regelmäßig von Sommeliers ausgebildet und kannten die Weine, die sie auftischten. Auch diese aufmerksame Art behagte Andreas.

      Für heute ließ er sich einen 2015 The Legend von Erich Scheibelhofer am Neusiedlersee bringen. Diesen hatte er noch vom letzten Aufenthalt in bester Erinnerung und auch dieser Jahrgang schien exzellent. Er beobachtete das dunkle Granatrot mit rubinroten Reflexen. Dann schmeckte er das duftige Cassis und dunkle Edelholz- sowie eine leichte Arabicanote und etwas Nugatpraline. Dieser Wein hatte einen straffen Körper mit eleganter, feinstoffiger Struktur. Das alles dachte Andreas so vor sich hin und bemerkte, dass er diese Worte früher an seine Frau gerichtet hätte. Sie machten sich jeweils einen Spaß daraus, die Weine, die sie verkosteten, so richtig auseinanderzunehmen. Ideenreich und fantasievoll waren auch so ihre gemeinsamen Nachtessen.

      Etwas Wehmut kam in Andreas auf, doch es war genau der richtige Wein, um den Urlaub zu beginnen.

      Da er heute etwas genießen wollte, das nicht auf der Karte stand und auch am Buffet nicht erhältlich war, bestellte er bei der aufmerksamen Kellnerin im hübschen Dirndl seine Leibspeise, wenn er in der Alpenrose war. Wiener Schnitzel mit Pommes. Jedes Mal im Urlaub war dies mindestens einmal auf seinem Teller und es hätte gefehlt, hätte er es dieses Mal nicht bestellt. Beim Gedanken an das Fehlen wurde er etwas sentimental - Brigitte fehlte.

      Die Gedanken an Brigitte verflogen nach dem Essen, als er sich mit der angefangenen Flasche The Legend und dem Glas aufmachte, um in die Rondo Bar zu gehen.

      „Wie heißt sie nur schon wieder“, sagte er leise zu sich.

      „Wer?“, fragte in diesem Moment die hinter ihm stehende Burgi, die Feierabend machen wollte.

      Leicht errötend erzählte Andreas von der Begegnung mit der Frau bei der Rofan-Talstation.

      „Das finde ich gut. Du schaust wieder nach vorn und lebst dein Leben weiter. Ich wünsche dir einen schönen Abend und hoffe, dass du morgen einen wunderschönen Wandertag hast. Gute Nacht Andreas.“

      „Gute Nacht Burgi, schlaf auch gut.“

      Andreas setzte sich an den ersten Tisch, gleich beim Eingang, damit ihn seine neue Bekannte gleich sehen konnte. Er beobachtete die Menschen, die meist zu zweit, zu viert oder als Familie die Bar betraten. Die Livemusik spielte im Hintergrund Melodien, die er kannte und immer wieder gerne hörte.

      Kurz vor zehn Uhr betrat Angela in einem etwas älteren, aber durchaus eleganten Deux-Piece, die Rondo-Bar.

      „Hallo Andreas“, begrüßte sie ihn in leisen Worten.

      „Wartest