Marian Hajduk

Dewil's Dance


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von zwei Laternen eingerahmt. Das Erdgeschoss mit dunkelgrünem Holz verkleidet. Kein Licht in den Fenstern.

      The Belgrave Square Inn sagten die dicken goldschimmernden Buchstaben über der Tür. Ein Drink würde mir jetzt guttun.

      Ich stieß die Tür auf und eine lange schmale Treppe führte mich nach unten. Dann gab eine Schwingtür nach und ließ mich in ein gedrungenes Kellergewölbe ein. Die flachen, eng aneinandergesetzten Ziegel wölbten sich unter die Decke wie steinerne rote Raupen, die das Gemäuer auf ihren Rücken trugen. Auf der Innenseite der Tür erkannte ich das obligatorische Plakat Irish Writers mit den Konterfeis von Oscar Wilde, James Joyce und Samuel Beckett.

      Ich nahm an der Bar platz und bestellte ein Stout.

      Der Barkeeper war drahtig und groß, goldene Knöpfe zierten seine frisch gestärkten Manschetten. Er grüßte mich wortlos mit einer höflichen Kopfbewegung. Ich schien der einzige Gast zu sein.

      Ich zündete mir eine Zigarette an, suchte nach einem Aschenbecher aber wurde zunächst nicht fündig. Erst nach einer Weile entdeckte ich einen ganzen Stapel auf der Arbeitsfläche hinter dem Tresen. Nachdem der Barmann verschwunden war, stand ich auf, beugte mich hinüber und griff nach einem der Aschenbecher - da entdeckte ich zwischen zwei silbergerahmten Getränkekarten ein Stück Papier. Es war in der Mitte einmal quer gefaltet und schien Notizen zu enthalten.

      Ich war noch immer allein in dem Raum und konnte nicht widerstehen. Hastig zupfte ich das Papier hervor und entfaltete es mit nervösen Fingern. Tatsächlich! die Schrift gehörte zweifellos meinem unbekannten Freund:

      Die Bar glänzt wie ein frisch poliertes Piano, dahinter türmt sich ein kristallener Berg aus schmalen, bauchigen, eckigen, runden, flachen, hohen, breiten, schweren, langen, massiven, zerbrechlichen Flaschen bis an die Decke. Hinter dem Tresen recken die Hebel der Zapfanlage ihre messingverzierten Köpfe in die Höhe wie ein Spalier schlaksiger Zinnsoldaten. In den Nischen und an den Säulen kauern rote und schwarze Sessel und Sofas aus fettem speckigem Leder, gespickt mit Rauten aus goldenen Nieten, die sie am überquellen hindern. Die Wände sind unverputzt. Nur der bemerkenswert echt aussehende, ungerahmte Druck eines William Turner Gemäldes an der Längsseite schmückt die sonst nackte Ziegelmauer. Das crémefarbene Parkett ist glatt wie ein Teich im Schein des Vollmonds, nur in der Mitte des Raums wird es von einem weichen persischen Teppich bedeckt, in den die Schuhe einsinken wie in tropisches Moos. Auf der Bar verströmt eine Reihe von Öllampen weiches gediegenes Licht, während in den Erkern mannshohe Kerzenleuchter den Raum mit zuckendem Schimmer erfüllen. Der schwere Geruch von Ruß und gesüßtem Tabak steigt mir in die Nase…

      Auf den ersten Blick wirkt die Kulisse wie geradewegs aus einem Sherlock-Holmes-Abenteuer.

      Doch gleichzeitig scheint ein mysteriöser Schleier über dem Raum zu liegen. Wie im Atelier von Basil Hallward, in dem Lord Henry zum ersten Mal das Bildnis des Dorian Gray erblickt. Der Schleier einer unheimlichen Schönheit, die zu vollkommen ist, um nicht verdächtig erscheinen zu müssen. Die uns den Hinweis darauf geben will, dass unter der Oberfläche eine andere, eine geheime Natur der Dinge existiert. Ist es bei Sherlock Holmes nicht ganz ähnlich? Hinter seiner vollkommenen Fassade, dem gesunden, austrainierten Körper, seinem messerscharfen Verstand und dem tugendhaften Charakter verbirgt sich die fast nie berücksichtigte, selbstzerstörerische Seele des legendären Detektivs. Nur an wenigen Stellen berichtet Conan Doyle von der Drogenabhängigkeit seines Protagonisten, der in Zeiten kriminalistischer Beschäftigungslosigkeit in tiefe Depressionen verfällt und sich mit Kokain- und Heroininfusionen betäubt. Tage-, manchmal wochenlang dämmert Holmes in einsamer Lethargie, benebelt von Drogen auf seinem Sofa vor sich hin, ohne seine berühmte Wohnung in der Baker Street zu verlassen, bis endlich ein neues Rätsel seinen brillanten Verstand herausfordert und er sich in Sekundenbruchteilen in einen vitalen und dynamischen Menschen zurückverwandelt. Welch ein faszinierendes Bild! Ein Mann, der sein Leben der Bekämpfung des Verbrechens gewidmet hat, besitzt absurderweise genau darin seine einzige Daseinsberechtigung. Wenn er sein Ziel erreicht und alle Schurken, Diebe und Mörder dieser Welt zur Strecke bringt, ertrinkt seine Seele in Langeweile und Depression. Und jedes Mal, wenn er einen Teil des Verbrechens vernichtet, löscht er damit einen Teil seiner eigenen Existenz aus. Mit der gleichen Geschwindigkeit, wie die Kriminalität verschwindet, verschwindet er selbst. Das ist wundervoll! Es ist der einzige Krimi, der sein eigenes Dasein hinterfragt. Das Dasein eines ganzen literarischen Genres…

      Ich hatte also Recht! Nicht nur, dass ich mit meinen Überlegungen auf der richtigen Fährte war – mein geheimnisvoller Schriftstellerfreund musste hier gewesen sein. Genau hier, in eben dieser Bar, wo ich gerade saß.

      Und um die fehlende Seite ergänzt verstand ich plötzlich seine Aufzeichnungen:

      Erst sterben die Schurken.

      Dann sterben die Helden.

      Dann sterben alle Geschichten.

      Was macht Sherlock?

      Harting stellt die falsche Frage.

      Es war ein Gedankenexperiment: Sherlock Holmes' Sieg über das Verbrechen wäre gleichbedeutend mit seiner Selbstzerstörung. Mit den Verbrechern verschwinden die Helden. Und alle Geschichten über sie.

      Kein Held, Protagonist, kein Detektiv oder Polizist, ja: kein Schriftsteller! könnte sich das je wünschen. Weil sie alle ihrer Existenzgrundlage beraubt würden.

      Und mein Freund hat sich die Frage gestellt, warum in tausend- und abertausendfacher Ausführung der immer gleichen Romane die immer gleiche Geschichte erzählt wird! Deren Anfang eine Leiche und deren Ende ein Mörder ist. Warum Joe N.K. Harting mit sowas Millionen verdient.

      Warum geht niemand über diese profane Struktur hinaus? Und stellt die Frage, was Sherlock Holmes am jüngsten Tag anfängt. Womit er sein Leben füllt - die richtige Frage.

      Worin besteht ein wirklicher Sinn, falls uns eines Tages die oberflächlichen Abenteuer des Räuber- und Gendarmspiels ausgehen sollten?

      Vielleicht gibt es deswegen so viele Bücher: Vielleicht sind die unzähligen belanglosen Geschichten in Wahrheit ein Fundus, eine Notration wie Konserven im Keller, die unser kollektives Bewusstsein anlegt, um im Katastrophenfall eine Ersatzdroge zur Sinnstiftung vorrätig zu haben…

      Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich anfing, das Manuskript um meine eigenen Notizen zu ergänzen. Immer kleiner wurde meine Schrift und immer spärlicher die freien weißen Stellen.

      Mein Kopf dröhnte und die schwere warme Luft verursachte mir Schwindel. Mit kräftigen Schlucken spülte ich einen zweiten Pint runter, atmete tief ein und zündete mir noch eine Zigarette an. Zufrieden über meine neugewonnenen Erkenntnisse nahm ich einen tiefen Zug und blies feierlich den Rauch in die Höhe.

      Eine Zigarette ist der perfekte Genuss, sagte plötzlich eine Stimme direkt neben mir. Sie ist köstlich und lässt einen unbefriedigt – was kann man sich schöneres vorstellen?

       - 2 -

      Ich fuhr zusammen.

      Nur wenige Zentimeter von mir entfernt, auf dem benachbarten Barhocker, saß ein Mann. Als wäre er aus dem Nichts aufgetaucht.

      Doch seinem schelmischen Gesichtsausdruck zufolge amüsierte er sich gerade köstlich darüber, dass ich ihn erst jetzt bemerkte.

      Kennen wir uns? war das einzige, was ich hervorbrachte.

      Ich weiß nicht, antwortete er freundlich. Ist das wichtig?

      Seine Erscheinung, die sich gerade vor mir manifestiert hatte, kann ich nur mit dem Ausdruck wunderlich beschreiben. Da war zunächst seine Kleidung: die hellgraue Tuchhose saß perfekt und wirkte wie maßgeschneidert, darüber trug er eine klassisch geschnittene champagnerfarbene Weste und einen ebenfalls hellgrauen, beklemmend eleganten Gehrock mit abgesetztem Samtkragen. Sein Hemd war weiß wie frisch gefallener Schnee, der antiquierte Stehkragen wurde von einer kunstvoll geschlungenen Seidenkrawatte zusammengehalten, auf deren Knoten eine Perle von respektabler Größe thronte. Aus den