Martina Dr. Schäfer

Die Geschichte des Institutes für Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln


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von Goethes, der solche Formulierungen im Rahmen seiner Naturbeschreibungen verwendete. Der Zusammenhang mit dem Begriff «Volk», schafft hier allerdings einen scheinbar naturgesetzlichen Zusammenhang, die Unterstellung, dass das Volk schon immer (ewig!) nachweisbar gewesen sei, sein Vorhandensein eine Naturtatsache wie das Vorkommen von Bäumen.

      Werner Buttler bewegte sich hier also eindeutig im Rahmen der nationalsozialistischen Terminologie, wozu er wohl auch als Angestellter des Ministeriums verpflichtet war. Heinrich Himmler hatte die Ziele der deutschen Vorgeschichtsforschung in ähnlichen Worten vorgegeben: Ebenso wie ein Baum verdorren muss, wenn man ihm die Wurzeln nimmt, geht ein Volk zugrunde, das nicht seine Ahnen ehrt. Es gilt, den deutschen Menschen wieder hineinzustellen in den ewigen Kreislauf von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Vergehen, Sein und Werden, von Ahnen, Lebenden und Enkeln. (zitiert nach KATER1997, 18)

      Nimmt man die Sorge um den Erhalt der Bodendenkmäler als die vordergründigste, sodann die völkisch-nationale Intention als die nächste Bedeutungsschicht, so lagert sich, als unterste, noch eine Dritte, politische ab: Daneben verfolgen wir das Ziel, mit Hilfe der Bodenfunde in grossen Zügen das völkisch-politische Geschehen der Urzeit zu erschliessen (siehe Seite 36). (BUTTLER 1937, 1) Folgt man dem Querverweis, so findet man, wie üblich in diesem Heft schön übersichtlich angeordnet, mit nicht allzu viel Text versehen, drei Karten gezeichnet und dazwischen dick gedruckt die Frage: Weshalb betreiben wir Bodendenkmalpflege? Das Bestreben der Wissenschaft, alle vorgeschichtlichen Funde so vollständig wie möglich zu sammeln, ist nicht durch den Wunsch bedingt, immer neue Altertümer in den Museen aufzustapeln, sondern eine nationale Notwendigkeit. Denn die Bodenfunde sind für die frühesten Abschnitte unserer völkischen Entwicklung die einzigen Geschichtsquellen, aus denen wir unsere Kenntnis vom Werden der Kultur, aber auch der geschichtlichen Entwicklung schöpfen. Mit Hilfe einer Methode, deren Ausbau an den Namen des Altmeisters der deutschen Vorgeschichte, Prof. Gustav Kossinnas, geknüpft ist, wurde es möglich, aus den Hinterlassenschaften der Vorzeit, aus Waffen, Urnen und Geräten, V o l k s w a n d e r u n g e n (Hervorhebung durch d. Verf.in) zu erschliessen. Ein Beispiel aus der germanischen Vorgeschichte Schlesiens geben die Kartendarstellungen dieser Seite. (BUTTLER 1937, 36)

      Die erste Karte in der linken, oberen Ecke der Heftseite, zeigt ein umgrenztes, schraffiertes Gebiet, etwa von der Kurischen Nehrung bis zur Mündung der Ems, dass im grossen Halbkreis Gebiete von etwa 200–250 km von den Küsten der Nord- und Ostsee entfernt umfasst sowie Schleswig Holstein, Dänemark und zumindestens Götland, denn der Südzipfel Schwedens schaut auch noch ins Bild. Neun schwarze Pfeile weisen aus diesem Halbkreis heraus in alle Himmelsrichtungen: Westlich nach den Niederlanden, südlich nach Süddeutschland, Bayern, Tschechien, Schlesien und östlich nach Polen hinein. Die Bildlegende dazu lautet: Der germanische Lebensraum um 1000 vor unserer Zeitrechnung (nach den Bodenfunden). (BUTTLER 1937, 36)

      Bild 4: Stumme Karte 1

      Die zweite Karte in der rechten oberen Ecke zeigt sodann, nicht mehr in einem Kästchen gefangen, eine stumme Umrisskarte Schlesiens mit dem Oderverlauf von etwa Frankfurt an der Oder im Norden bis etwa Ostrau im Süden. Die nord-östliche Begrenzug des Gebietes bildet die polnische Grenze von 1937, süd-westlich die tschechische und slowakische. Es sind viele Pünktchen am Nordrand des Gebietes eingezeichnet, eine halbkreisförmige, aber nun durchbrochene Linie, die etwa von Liegnitz süd-westlich der Oder bis zu einem Punkt an der polnischen Grenze nord-östlich verläuft und etwa das Gebiet um Breslau einfasst sowie zwei schwarze Pfeile, die über diese Linie hinaus Richtung Süden und Süd-Osten weisen. Bildlegende dazu: Von der etwa vor 3000 Jahren einsetzenden Südwanderung germanischer Stämme wird auch Schlesien erfasst. Jeder Punkt auf der Karte bedeutet eine Fundstelle frühgermanischer Kulturreste um 500 vor unserer Zeitrechnung. (BUTTLER 1937, 36)

      Bild 5: Stumme Karte 2

      Und in der linken, unteren Ecke der Seite, auf die zuerst der Blick einer umblätternden Person fällt, findet sich dann die stumme Karte Schlesiens, dicht, beinahe schwarz übersäht mit Pünktchen sowie die Bildlegende: Die Bauernzüge der Germanen gehen weiter nach Süden. Um die Zeitwende ist bereits ganz Schlesien, darüber hinaus auch e i n g r o ss e r T e i l d e s h e u t i g e n P o l e n (Hervorhebung durch d. Verf.in) von dem germanischen Volk der Vandalen besetzt. Diesen wichtigen geschichtlichen Vorgang hat man allein aus dem Sammeln und Kartieren der Bodenfunde erschlossen. Hätte man diese nicht beachtet, so wüssten wir von der germanischen Wanderung gar nichts. (BUTTLER 1937, 36)

      Hier wird nicht irgendein Zeitraum und nicht irgendeine Gegend Mitteleuropas abgebildet, sondern sehr gezielt das Grenzgebiet zu Polen und polnische Gebiete, um die Bevölkerung auf den bald folgenden Angriff auf Polen vorzubereiten, der am 1. September 1939 erfolgte. Nachdem etwa ein Jahr zuvor, am 1.10.1938 die deutschen Truppen in die angrenzenden, sudetendeutschen Gebiete Tschechiens einmarschiert waren und sie am 15.3.1939 die gesamte damalige Tschecho-Slowakei besetzten. Ur- und Frühgeschichte diente hier zur Legitimation eines vorgenommenen Eroberungsfeldzuges – und zwar unabhängig davon, ob diese Fundkarten korrekt waren oder nicht.

      Bild 6: Stumme Karte 3

      Insofern bilden die Karten auf Seite 36 des Merkheftes den Höhepunkt einer Argumentationskette, deren Beginn wir bereits in der, auf den ersten Blick eigentlich untendenziösen Aufzählung zerstörter Hünengräber auf Seite 3 finden: Diese sind nämlich die stolzen Zeichen nordischer Bauernkultur (BUTTLER 1937, 3) und als solche, nach Buttlers Chronologie oder jener des Reichsministeriums etwa 3000 bis 2000 vor unserer Zeitrechnung errichtet (BUTTLER 1937, 3). Gegen 1000 vor unserer Zeitrechnung ist das der germanische Lebensraum (BUTTLER 1937, 36).

      Die Wallburgen dienen dann auf Seite 4 des Merkheftchens dazu, von den Kämpfen zu zeugen, die sich im Laufe der Vorzeit auf dem Boden unserer Heimat abgespielt haben, bis dieser endgültig dem deutschen Volk g e s i c h e r t (Hervorhebung durch d. Verf.in) war. (BUTTLER 1937, 4) Mindestens eine der abgebildeten Wallanlagen liegt, wie kann es anders sein, bei Frankfurt an der Oder.

      Ehrwürdige Reste (BUTTLER 1937, 7) sind von unseren Vorfahren (BUTTLER 1937, 6, 8, 14, 16 u. a. a. O.) errichtet worden, die uns zu Erben unserer grossen völkischen Vergangenheit (BUTTLER 1937, 8) machen. Die Inflation der Pronomen «uns», «wir», «ich», «unsere Vorfahren» im Merkheft bestärkt und suggeriert diese Verbundenheit mit dem gegenwärtigen «Volkskörper» sowie jenem unserer Vorfahren durch das ganze Heft hindurch.

      Natürlich sind nicht nur die grossen Bodendenkmäler wichtig, die Geräte oder Metallgegenstände: Ehe die anderen Fundgattungen aufgeführt werden, steht an erster Stelle, auf Seite 11, der Befund der Körpergräber, die Knochen deren Bergung nicht nur wegen der kulturgeschichtlich wichtigen Totenbeigaben notwendig ist sondern weil unsere R a s s e n k u n d e auf vor- und frühgeschichtliches Schädelmaterial angewiesen ist. (BUTTLER 1937, 11)

      Man muss schliesslich erkennen können, wer dazu gehört und wer nicht. Dazu gehört auf jeden Fall der Fachmann (BUTTLER 1937, 15 u.a.a.O.), dessen inflationäres Vorkommen ein weiteres Kennzeichen in diesem Text ist. Er weiss, wie man sich richtig verhält, er ist der Vertreter der Behörde, des Ministeriums, des Reiches, sein wissenschaftlicher Schatten garantiert, dass alles, was in diesem Heft zu finden ist korrekt verfasst und zur Bewahrung der archäologischen Altertümer durchgeführt wurde. Er ist im hierarchischem, dem «Führerprinzip» (MASER 2001,85) unterworfenen Gesellschaftsgefüge der Deutschen der «kleine Führer», die nicht zu hinterfragende Autorität.

      Nicht zur Gruppe «unserer Vorfahren» gehören die Römer: In Süd- und Westdeutschland, wo etwa 400 Jahre lang die Römer geherrscht haben, findet man in erstaunlicher Dichte die Spuren jener Fremdherrschaft im Boden. ... Diese Reste sind die letzten Zeugen einer im Mittelmeer erwachsenen Stadtkultur, die dem Norden fremd war und später dem Ansturm der jugendstarken Germanen wieder erlag. (BUTTLER 1937, 22)

      Das Aussehen des jugendstarken Germanen findet sich dann einige Seiten später auf einem