J. U. Gowski

4467 Tage oder Der Rache langer Atem


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Er zog seine Parkajacke an, klappte den Laptop zu und stülpte sein Thunder Basecap auf. Sich noch einmal umschauend verließ er die Wohnung. Die Katzen hatten es sich schon auf der Fensterbank gemütlich gemacht. Kurz bevor er die Treppe hinunter lief, schaute er noch auf das Namensschild an der Klingel der Nachbarwohnung. Er hatte sich den Namen seines gestrigen Gastgebers nicht gemerkt. Das Schild war alt und vergilbt. Professor Thieme stand darauf. So, so dachte er. Ein Professor. Im Hof schaute er noch einmal zur Nachbarwohnung hinauf, aber da regte sich nichts. Der Professor schläft wohl noch. Koslowski trat auf die Straße und überlegte kurz, wo er sein Auto das letzte mal abgestellt hatte. Er entdeckte es in der Knaackstraße. Ein zehn Jahre alter Suzuki Swift, in einer Farbe, die man ursprünglich als blau bezeichnet hätte. Er hatte ihn sich vor drei Jahren gebraucht für 850,- Euro gekauft. Entscheidend waren der geringe Kilometerstand und das Automatikgetriebe gewesen. Er verstand nicht, warum Autofahrer auf Gangschaltung beharrten, wo es sich doch mit Automatik viel entspannter fuhr. Eine Autowaschanlage hatte der Suzuki noch nie gesehen, seit er in Koslowskis Besitz war. Innen staubig, der Beifahrersitz zugemüllt mit Papierresten und CD-Hüllen. Die Visitenkarte seines Besitzers. Trotz des Alters sprang das Auto zuverlässig an. Wieder fiel ihm ein, dass er einen neuen TÜV brauchte. Die Plakette war schon fast zwei Jahre alt. Er schob Peter Gabriels deutsches Album in das CD-Fach und fuhr langsam los. Vorn bog er in die Sredzkistraße ein, um sich später in die Kolonnen auf der Prenzlauer Allee einzuordnen. Der Stress hatte ihn wieder.

      Meyerbrinck schaute auf die Uhr. 7.00 Uhr! Das wird knapp, dachte er. Nach dem Sonntag wollte er den Montagmorgen eigentlich ruhiger angehen. Er war um 6.00 Uhr aufgestanden, hatte sich und seiner Frau Kaffee in zwei Tassen aufgebrüht und ans Bett gebracht. Eigentlich das sonntägliche Ritual, was sie beide sich nicht gern nehmen ließen. Doch seine Frau hatte am heutigen Montag gegen zehn Uhr einen Arzttermin und war dadurch nicht wie sonst schon um diese Zeit auf dem Weg zur Arbeit. Das Kaffeetrinken im Bett, ein morgendlicher Ruhepol, bevor der Tag begann sie zu fordern. Die Tassen waren riesig, ein Mitbringsel von einer gemeinsamen Reise nach New Orleans. Im Bett sitzend redete man noch über die verschiedensten Dinge, bevor man sich für den Tag fertigmachte. Es wurde ruhiger in der Wohnung. Sein Sohn, das älteste der drei Kinder war schon vor sechs Jahren in eine WG gezogen und lebte jetzt mit seiner Freundin zusammen. Dann vor zwei Jahren, hatte sich die mittlere Tochter zu ihrem Freund verabschiedet. Es blieb nur noch das Nesthäkchen, das einem mit ihren 15 Jahren das Leben schwer machte.

      »Wann kommst du heute ungefähr nach Hause?«, fragte Charlotte, während sie sich an seine Schulter kuschelte.

      »Kann ich schwer einschätzen. Du weißt ja, wie das ist. Mal sehen wie die Aufgaben verteilt werden und wie weit wir damit kommen.«

      »Lass dich bitte trotzdem nicht zu sehr von Koslowski vereinnahmen. Er hat kein Privatleben, du schon!«

      »Oh, hat er auch. Ein bisschen Bier, ein bisschen Fußball kucken und zwei Katzen.«

      Sie lachte auf. Gab ihm einen Kuss auf den Mund und stieg aus dem Bett. Er schaute ihr hinterher. Den Kampf um den Platz im Bad brauchte er erst gar nicht anzufangen bei zwei Frauen im Haushalt. Aus dem Zimmer seiner Tochter drang laute Pop Musik von einer Girlband, deren Namen sich Meyerbrinck nicht gemerkt hatte, nur dass es die derzeitige Lieblingsgruppe von ihr war. Er stand auf und klopfte an die Zimmertür.

      »Komm aus den Federn und mach dich für die Schule fertig.«

      »Bin schon dabei«, kam die prompte Antwort.

      Er ging weiter in die Küche und stellte seine Tasse ab. Seine Frau war kurz aus dem Bad raus, da nutzte er die Gelegenheit und huschte hinein. Nach dem kurzen Duschen putzte er sich die Zähne und rasierte sich. Charlotte hatte inzwischen noch einen Kaffee gebrüht und reichte ihm die Tasse, als er aus dem Bad kam. Er nahm einen vorsichtigen Schluck, dann einen größeren und zog sich an. Fertig angezogen, gab er seiner Frau noch einen Kuss und strich ihr sanft über die braunen, schulterlangen Haare. Den letzten Schluck nahm er schon halb aus der Tür. Charlotte nahm ihm die Tasse ab und sah kritisch an ihm herunter: »Ich hoffe, du hast eine saubere Hose angezogen?«.

      Er liebte seine Frau. Doch es nervte ihn, wenn sie sich bei ihm als Erzieherin betätigte. Seine Mutter bezeichnete sie gern unfreundlich als Gouvernante, natürlich nur wenn sie nicht dabei war. Doch was seinen Töchtern sicherlich zuträglich war, darauf konnte er gut und gerne verzichten. Während sich seine Augen verengten, ein deutliches Signal, das er genervt war, zog er sich das Jackett über. Mit dem Einsteigen ins Auto waren die Gedanken aber schon nicht mehr bei seiner Frau.

      10.

      Im Besprechungsraum der 2. Mordkommission waren die anderen sechs Kollegen schon versammelt, als Meyerbrinck eintraf. Er grüßte kurz und schaute sich um, konnte Koslowski aber nirgendwo entdecken. Die hohen Fenster waren weit geöffnet, brachten Frühlingsdüfte und etwas Kühle in den Raum. Wahrscheinlich ist er noch bei van Bergen, dachte Meyerbrinck und ging kurz in sein Büro, um sein Jackett anzuhängen. Als er zurückkam, sah er die Pinnwand, die von vier Kollegen mit Kaffeebechern in den Händen belagert wurde. Koslowski musste sie wohl schon heute Morgen aus ihrem Büro geholt und im Besprechungsraum aufgestellt haben. Es war eine leichte Aufgeregtheit zu spüren. Die Wanduhr zeigte acht. Wenige Minuten später betraten van Bergen und Koslowski den Raum. Sofort trat eine erwartungsvolle Stille ein.

      Van Bergen ging nach vorn und räusperte sich. Mit seinen 1,96 Meter hatte er die Aura einer geborenen Führungspersönlichkeit, die Koslowski vollkommen abging. Der grauhaarige Bürstenschnitt und sein kantiges Kinn ließen an einen Drill Sergeant der Armee denken. Die Stimme war leise, aber kräftig. Alles an ihm wirkte akkurat, doch nicht langweilig. Die graue Tuchhose mit dem schmalen schwarzen Ledergürtel hatte messerscharfe Bügelfalten, die selbst an den Knien wie mit dem Lineal gezogen wirkten. Es sah aus, als ob er nie sitzen würde.

      »Ich hoffe, sie hatten ein schönes Wochenende. Wie sie sehen, hatte es nicht jeder. Kriminalhauptkommissar Koslowski wird ihnen Punkt 8.30 Uhr eine Einweisung geben. Wenn also noch jemand auf die Toilette muss, um die zwei Liter Kaffee zu entsorgen, möge er das bitte jetzt tun. Nachher erwarte ich volle Konzentration und keine Unterbrechungen. Der Fall hat oberste Priorität. Alles klar?«

      Es erhob sich zustimmendes Gemurmel.

      »Dann benötige ich noch eine Information. Wer war gestern der diensthabende Beamte?«

      Koslowski schaute van Bergen etwas irritiert an.

      »Der dicke Schulz.«, kam es von Tschillner aus dem hinteren Teil des Raumes, was leises Gekicher auslöste.

      »Wer?« , fragte der erste Kriminalhauptkommissar betont ernst nach.

      Das Gelächter erstarb. Tschillner sonst vor Selbstbewusstsein strotzendes Gesicht errötete. »Polizeiobermeister Schulz, Herr Hauptkommissar.«

      »Wann ist er wieder im Dienst?«

      »Wahrscheinlich erst am Dienstag früh. Montag dürfte sein freier Tag sein, da er dieses Wochenende Dienst hatte.«, sprang Grabowski dem immer noch verlegen dreinschauenden Tschillner bei.

      »Gut. Lassen sie auf dem Dienstplan vermerken, dass er am Dienstag um 12.15 Uhr einen Termin bei mir hat.«

      Meyerbrinck sah Koslowski bedeutungsvoll an. Der bemerkte es nicht. Dann drehte sich Hauptkommissar van Bergen um und verließ den Raum. Koslowski, der erst noch kurz zögerte, ging hinterher.

      »Warum willst du den Schulz sprechen?«, fragte Koslowski van Bergen.

      Wenn sie allein waren, duzten sie sich. Sie kannten sich schon lange, hatten ein fast freundschaftliches Verhältnis, auch wenn wegen der unterschiedlichen Dienststellung ein respektvoller Abstand gewahrt wurde. Anders konnte es Koslowski nicht nennen. Van Bergen hatte schon öfter Koslowskis Hintern aus der Schusslinie genommen. Er schätzte die Unvoreingenommenheit Koslowskis, wenn es um Geschlecht, Rasse und Neigungen ging. Es gab im Polizeicorp nicht viele von der Sorte, weswegen van Bergen auch sein Privatleben abschottete. Zu dem war Koslowski in seinen Augen ein verdammt guter Ermittler.

      »Sal du weißt, ich werde solche Stammtischmeinungen bei mir in den Abteilungen nicht dulden.«

      »Er