Lothar Rüdiger

Flarrow, der Chief – Teil 3


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Erste mit zwei Mann auf das Wohndeck hinab gestiegen war und auf den rückkehrenden Flarrow wartete, konnten sie ihn bergen. An der frischen Luft kam er schon bald wieder zu Bewusstsein, und bis auf die Rauchvergiftung, die ihn noch eine Woche lang quälte, war er unverletzt. Über die Brandursache wurde natürlich spekuliert.

      Die Ausgucks durften nachts auf der Brücke nicht rauchen, weil das ihre Sehkraft minderte. Deshalb erlaubte der Wachhabende dem Ausguck, wenn nichts Besonderes anlag, nach zwei Stunden die Brückennock für eine Zigarettenpause zu verlassen. In diesem Fall hatte der Ausguck die Pause dazu benutzt, seinen Dufflecoat aus dem Kleiderschrank in seiner Kammer zu holen. Da das Schiff rollte, schwangen auch die Kleider im Schrank hin und her. Wenn man nun beide Hände benötigte, den Mantel aus dem Schrank zu nehmen, hatte man die brennende Zigarette natürlich im Mund. Eine Berührung der Glut mit den Kleidern genügte dann durchaus. Das konnte sich auch der Alte zusammenreimen und stellte die entscheidende Frage nicht. Im Protokoll stand deshalb: „Aus nicht geklärter Ursache“

      Ein paar Tage später, im kalten Atlantikwasser, zeigten die in der Ladung ausgelegten Fernthermometer Temperaturen um minus fünfundzwanzig Grad an. Der Alte staunte und fragte Flarrow, wie kalt es denn noch werden solle. „Das will ich ja gerade wissen“, antwortet Flarrow, „aber ich denke, dass es noch ein oder zwei Grad mehr werden. Unsere Lukendeckel sind nicht sehr dicht, außerdem schlecht isoliert.“ – „Da sind wir ja für Deutschland fein raus, oder? Chief, ich hätte, ehrlich gesagt, nicht geglaubt, dass Sie das schaffen würden.“

      In der nächsten Nacht, als das Schiff im Seegang zunehmend schlingerte, gab es einen Knall, der auch Kapitän und Chief weckte. In der Maschine hatte die Wache nichts gehört, aber der Wachhabende auf der Brücke vermutete, dass das Geräusch aus Luke 2 gekommen war.

      Da sich nichts weiter tat, keine Beschädigung oder Wassereinbruch festgestellt werden konnte, verschob man die Begehung des Laderaumes II auf den folgenden Morgen, wo die Ursache des Knalls gefunden wurde. Das Zwischendeck auf der Steuerbordseite war um eine Decksstütze herum bis zur Bordwand hin abgebrochen und hatte sich teilweise auf die Ladung im Unterraum gelegt! Daran konnte man erst etwas ändern, nachdem die Ladung gelöscht war. „Das ist auf jeden Fall Werftarbeit“, sagte Flarrow, „und in Vigo soll es ja eine Werft geben“.

      Als sie in Vigo nach einer ausgesprochenen Schönwetterreise einliefen, stand der Agent Meino von Eitzen am Pier, um die Heimschaffung des „Passagiers“ schnellstens zu organisieren. Der wirkte hilflos, als er in den Wagen des Agenten stieg und nicht übersehen konnte, dass das niemand mehr interessierte. Flarrow aber machte drei Kreuze und war sehr erleichtert, dass diese elende Arie von Disziplinlosigkeit, die auch viel Schreibkram verlangte, endlich zu Ende war. Auch der Zweite Ingenieur und ein paar Leute von Deck wurden abgelöst, was sicher gut war für die Verbesserung des Bordklimas.

      Der neue Zweite Ingenieur machte nicht viel Worte, besah sich seine Kabine, schüttelte den Kopf, schnappte sich den zuständigen Steward und verlangte eine saubere Kabine. Bis dahin zog er in eine freie Kammer.

      Pescanova teilte mit, dass die Charter mit Löschende beendet sei, eine Verlängerung würde es nicht geben.

      Die Werft, die Fischereifahrzeuge wie am Fließband baute, begann mit dem Abstützen des Zwischendecks in Luke 2, nachdem die Ladung in diesem Bereich gelöscht war.

      Flarrow sah sich den Sprödbruch genau an, konnte aber natürlich nicht feststellen ob Ermüdung oder Kaltsprödigkeit zum Bruch geführt hatte. „HILDEGARD“ war ja als Trockenfrachter in Auftrag gegeben worden, und das konnte die Materialauswahl beeinflusst haben. Aber der Leitende Ingenieur der Werft, ein Deutscher, schüttelte zu Flarrows Gedanken nur den Kopf. Die modernen Schiffbaustähle wären in dem Temperaturbereich schon „kältefest“.

      Von Hamburg wurde auch die komplette Erneuerung der Dichtungen der Lukendeckel genehmigt, und darüber freute sich natürlich der hiesige Vertreter der Firma Mc Gregor, die einst die Lukendeckel geliefert hatte.

      Die Spanier gaben sich alle Mühe, eine saubere Arbeit abzuliefern, und an der Qualität der Arbeit war tatsächlich nichts auszusetzen. Das galt auch für die ausgebrannte Matrosenkammer. Natürlich wurden bei der Gelegenheit auch Reparaturen in anderen Kammern erledigt, denn es gab ja gute Chancen, dass diese Arbeiten in der großen Werftrechnung untergingen, und so geschah es dann auch.

      Am letzten Abend lud die Werft die Schiffsleitung der „HILDEGARD“ ein. Es wurde Deutsch gesprochen, das auch die anwesenden Spanier gut beherrschten. Schon bald kam das Thema auf die Werft und die dort gebauten Fischereifahrzeuge im Zusammenhang mit der Überfischung der Fanggründe. Der Werftingenieur hielt dagegen. Zunächst wäre es wichtig, die große Arbeitslosigkeit, die in und um Vigo herrschte, abzubauen. Spanien müsse außerdem den Lebensstandard seiner Bevölkerung verbessern. Das ginge vor allem durch Industrieansiedlungen, wie beispielsweise der Werft. Überfischung? – Wohl kaum, bei der Unermesslichkeit der Meere. Man wollte natürlich auch mehr Tourismus in die Galicia holen, ob die Deutschen wohl auch hierher kommen würden, wo das Wetter nicht so sonnig wäre wie im Süden? „Und was halten Sie von unserer Werft? Wie beurteilen Sie die Reparatur? Diese Frage ging an Flarrow, der sich nur lobend äußern konnte, denn Schlendrian und Pfusch hatte er nicht beobachtet. Das machte vor allem die Spanier sehr stolz.

      Am nächsten Tag kam die Reiseorder. Auslaufen nach Walvis Bay; Laden von deutschen Vollfrostern für Cuxhaven oder Bremerhaven auf eigene Rechnung; Bunkern in Dakar. Das war Beschäftigung für das Schiff für die nächsten zwei Monate. Der Arbeitsplan Flarrows sah nun weitere Instandsetzungen der Maschinenanlage vor, die sich an der Ankunftszeit in Deutschland orientierten. Weil dort die Klasse erneuert werden musste, hatten die Klassearbeiten erledigt zu sein.

      An einem Freitag Ende Juni gingen sie mit dem leeren Schiff in See. Bis Dakar hielt sich das Sommerwetter, die See war angenehm, und deshalb kamen auch die Instandsetzungsarbeiten, die hauptsächlich von den Ingenieuren während ihrer Wachen ausgeführt wurden, gut voran. Flarrow werkelte in der Kühlmaschine, der Zweite hatte den Haupt- und Hilfsbetrieb, und der Dritte kümmerte sich um seine Dieselaggregate. Der E-Assistent arbeitete inzwischen selbständig. Kurz, das Betriebsklima hatte sich erheblich verbessert. Und das galt nicht nur für die Maschinencrew, sondern für die gesamte Besatzung.

      In Dakar hatten sich die Verhältnisse nicht geändert, da sie aber möglichst viel bunkern wollten, um die Seeeigenschaften des leeren Schiffes zu verbessern, wurde es am Ende ziemlich kitzlig. Trotzdem ging alles gut, und danach begann wieder einmal der Kampf gegen Südostpassat und Benguela Strom. Nach Süden, vom Sommer also in den Frühling.

      Nach einer störungsfreien Überfahrt ging „HILDEGARD“ an einem Vormittag an dem wartenden Hecktrawler „TÜBINGEN“ der NORDSEE DEUTSCHE HOCHSEEFISCHEREI GmbH längsseits. Der brandneue Vollfroster war sehr gut in Farbe, als ob er gerade seine erste Fangreise gemacht hätte, und auf seiner Brücke stand ein Mann, der eine blaue Uniform mit vier Streifen trug. „Ein Fischdampferkapitän in Uniform“, murmelte der staunende Flarrow, der beim Anlegen neuerdings auf der Brücke aushalf. Auch der Alte konnte das kaum fassen. Aber das, was sie da vor sich hatten, war eben kein Fischdampfer aus den fünfziger Jahren, sondern eher ein moderner Produktionsbetrieb. Und weil die Reederei Wert auf einen guten Eindruck ihrer Flotte im Ausland legte, trugen die Offiziere die gestellten Uniformen. Der Hamburg-Süd-Agent war von Kapstadt herüber gekommen und bestätigte als Zielhafen Bremerhaven. Flarrow brauchte einen Surveyor vom Germanischen Lloyd für die Hauptmaschine. Frischproviant und Frischwasser wurden geordert.

      Dann kam die Einladung des Kapitäns von der „TÜBINGEN“. Die NORDSEE war eine „feine“ Reederei, der Lloyd unter den Reedereien der Hochseefischerei gewissermaßen, das war bekannt. Trotzdem staunte Flarrow über die komfortable moderne Ausstattung des Wohnbereichs. Dieses Schiff würde ja bis zu hundertfünfzig Tagen auf See bleiben, weil es eben seinen Fang vollständig verarbeiten konnte, und das hatte man offensichtlich beim Bau berücksichtigt. Außerdem war alles sehr geräumig, weil das Schiff immerhin fast siebzig Meter lang war, gab es ausreichend Raum.

      „Sie haben ja wieder erwachsene Matrosen, offensichtlich werden die Zeiten wieder besser“, wurde der Alte auf der „TÜBINGEN“ begrüßt. Der zeigte aber auf Flarrow und sagte: „Wir lassen uns manchmal von der Maschine aushelfen,