Lothar Rüdiger

Flarrow, der Chief – Teil 3


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      Der Kollege von der „TÜBINGEN“ fragte Flarrow, ob der sich mal seinen Laden ansehen wollte, und so verschwanden sie in der Maschine, die einen voll gekapselten Fahrstand hatte und jede Menge Elektronik dazu. Interessant auch die Filetiermaschinen und die Schnellfrostanlage, die mühelos minus dreißig Grad schaffte. Im Fischraum lägen die Temperaturen dann so um minus siebenundzwanzig Grad.

      Als sie zurück in die Offiziersmesse kamen, war auch der Surveyor eingetroffen und Flarrow konnte mit ihm die fälligen Inspektionen, die er in Walvis Bay erledigen wollte, absprechen. Der Erste vereinbarte mit dem Ersten Steuermann der „TÜBINGEN“ die Übernahme der Ladung. Es würde wenig Hilfe von Land geben, und die Winden müssten auf jeden Fall von den Besatzungen bedient werden. Rund sechshundert Tonnen Filet hatte die Tübingen abzugeben.

      Irgendwann schweifte das Gespräch ab und man kam auf die Situation des Landes hinsichtlich der farbigen Bevölkerung zu sprechen. Der anwesende Metzger, der den Frischproviant liefern würde, meinte, dass in Europa niemand die Apartheid verstünde. „Sie werden sie veronanieren“, sagte er, aber hier hätte jeder seine Winchester im Schrank, da hätte man keine Bange vor den Schwarzen. Schließlich lud der Metzger zu einer Landpartie ins benachbarte ehemalige Deutsch-Südwest ein. Da der neue Zweite seinen Job verstand, sah Flarrow keinen Grund nicht mit zu fahren.

      Walvis Bay gehörte nämlich 1967 zur Südafrikanischen Union. Der einzige Tiefwasserhafen an der Westküste, von Diaz 1478 entdeckt, und von der VOC genutzt, wurde aus strategischen Gründen bald von den Briten annektiert und 1910 Mitglied der Südafrikanischen Union.

      Nach der Kapitulation der deutschen Schutztruppen übernahm Südafrika die Mandatschaft über Südwestafrika, der Walvis Bay angegliedert wurde. Erst 1994 wurde die Enklave an Namibia zurückgegeben.

Grafik 64

      Mit der Eisenbahn direkt am Strand entlang von Walvish Bay nach Swakopmund

      Am nächsten Morgen versammelte sich die Herrenpartie. Mit der Eisenbahn, die zwischen Walvis Bay und Windhoek verkehrte, fuhr man ins vierzig Kilometer entfernte Swakopmund.

Grafik 65

      Die Stadt konnte die Herkunft ihrer Erbauer aus dem kaiserlichen Deutschland nicht leugnen. Nicht nur wegen der Kaiser-Wilhelm-Straße, der Bismarck- und der Woermannstraße. Alles hier war sprichwörtlich sauber wie zu Hause; es gab ein Gasthaus, den Krug zum Grünen Kranz und ein Marineehrenmal zum Gedenken an die Gefallenen des Marine-Expeditionskorps während der Herero- und Namaaufstände von 1904 bis 1907. Die Stadt schlummerte dahin. Die Reste eines eisernen Landungssteges, der dreihundert Meter ins Meer hinaus ragte, erinnerten an die Zeit als deutsche Kolonie. Er sollte einmal über sechshundert Meter lang werden, damit große Schiffe dort anlegen konnten; die Woermann-Linie versorgte ja bekanntlich die Kolonie mit allem was gebraucht wurde. Die Mündung des Swakop war eine seichte ungeschützte Bucht. 1862 vom kaiserlichen Kanonenboot „WOLF“ in Besitz genommen, wartete das Land bis 1892, ehe die ersten vierzig deutschen Siedler in Begleitung von einhundertzwanzig Soldaten der Schutztruppe an Land gingen.

      Da Walvis Bay von den Briten besetzt war, wurde das für die Versorgung der Kolonie sehr ungünstig gelegene Swakopmund als Versorgungshafen dringend gebraucht. Nach der Kapitulation der deutschen Schutztruppen 1915, bauten die Südafrikaner Walvis Bay aus und schlossen Swakopmund, das in einen Dornröschenschlaf fiel.

      Der Metzger führte die Gruppe durch die anheimelnde Stadt und erklärte dies und das. Beeindruckend die Gebäude: Altes Amtsgericht, Woermannhaus und das Kaiserliche Bezirksgericht. Im Gasthaus gab es am frühen Nachmittag deftige deutsche Küche, und als man dann Kaffee und Schwarzwälder Kirschtorte endlich hinter sich hatte, wurde es Zeit, sich die Beine zu vertreten und auf der Promenade zur Landungsbrücke zu spazieren, wo die Angler saßen und die heimischen Bewohner sich Bewegung verschafften. Flarrows Blick wanderte hinaus zur endlosen Kimm über das Meer, das eine schon tief stehende Sonne golden flimmern ließ.

      Dann wurde es Zeit, den Bahnhof anzusteuern, der 1901 gebaut, damals auch Sitz der Kaiserlichen Eisenbahnverwaltung war. Der Zug brachte sie alle wieder zurück zu den Schiffen und beendete einen eindrucksvollen Tag.

      Am nächsten Morgen inspizierte der Surveyor die Hauptmaschine. Über den guten Zustand der Anlage zeigte er Erstaunen und sagte das auch. Flarrow war stolz und froh, dass nun alle wichtigen Klassearbeiten am Hauptmotor erledigt waren. Laut GL war alles im Lot. „As fare as could be seen“, sagte der Zweite und zitierte damit einen berühmten Satz der Surveyor von Lloyds Register, London.

      Nach drei Tagen waren fast sechshundert Tonnen Fisch umgeschlagen, und die „TÜBINGEN“ lief zu einer neuen Fangreise aus. Ihr Kapitän hatte gesagt, es käme darauf an, wie lange die Besatzung das mitmachen würde. Also, noch eine oder zwei Fangreisen, ehe es zurück nach Bremerhaven ging, das war für die „TÜBINGEN“ die Frage.

      Nun galt es, auf das nächste Schiff zu warten, das erst am nächsten Abend einlaufen sollte. „HILDEGARD“ war inzwischen an die Pier gegangen, hatte Frischwasser und Proviant übernommen, der wirklich lobenswert war. Besonders die Frischwurst des Metzgers aus Swakopmund schmeckte wie zu Hause!

      Am nächsten Abend lief ein Seitenfänger der HANSEATISCHEN HOCHSEEFISCHEREI GmbH ein. Diese Reederei hatte wohl die Entwicklung zum Heckfänger verschlafen. Deshalb musste auf diesem Schiff das Netz immer noch Hand über Hand eingeholt werden. Es war auch nicht so groß, wie die „TÜBINGEN“, weshalb das Leben auf engem Raum bestimmt sehr stressig war. Ein rostiger Rumpf zeugte von langer Einsatzzeit und schweren Tagen auf den Fangplätzen. Der größte Unterschied zur „TÜBINGEN“ war jedoch die Besatzung. Während die Leute von der „TÜBINGEN“ sich sofort mit der Besatzung der „HILDEGARD“ verstand und sich gegenseitig besuchte, waren die Leute des Seitenfängers stumm und schweigsam. Auch die Schiffsleitungen wechselten nur die notwendigsten Worte. Es gab keine Einladungen, und die von der „HILDEGARD“ ausgesprochenen wurden nicht angenommen. Das war eben das Verhalten einer gestressten Besatzung, die reif war zur Ablösung. Die Arbeit auf einem Seitenfänger war eben um vieles härter als auf den viel effizienteren Heckfängern. Da deshalb auch die Fangergebnisse schlechter waren, wurde auch weniger verdient. Gute Leute waren natürlich rar und deshalb für solche Schiffe nicht zu bekommen.

      Walvis Bay war auch lange ein Stützpunkt der Walfänger gewesen, als der Walfang noch mit Segelschiffen betrieben wurde. Wenn man den geschäftigen Hafen, den auch viele japanische Thunfischer anliefen, hinter sich ließ, erreichte man eine Siedlung mit eher dörflichem Ambiente. Die ehemaligen Häuschen der Walfänger, die hier überwinterten oder sesshaft geworden waren, konnte man noch an den riesigen Kieferknochen von Blauwalen erkennen, die als Torbögen verwendet wurden. Viel war nicht los in diesem Städtchen. Ein kleines Museum, ein paar Pubs und die Wüste Namib. In Erinnerung blieb eine Holztafel, die im Museum hing und verkündete, dass alle weiblichen Personen, die nach acht Uhr p. m. auf der Straße angetroffen wurden, vergewaltigt werden durften. Das waren wirklich wilde Zeiten, damals, als segelnde Walfänger noch drei Jahre benötigten, um ihre Tranfässer zu füllen.

      Als „HILDEGARD“ an einem Nachmittag in See ging, war sie voll abgeladen. Man hatte bis in das Lukensüll hinein gestaut. In diesem Zustand benahm sich „Beulen-HILDE“ wie ein großer Frachter, der sich träge im Seegang wälzte. Während Walvis Bay hinter der Kimm versank, drehte der Westwind immer mehr nach Süden und fiel schließlich von achtern ein. Und „HILDEGARD“ lief locker ihre zwölf bis dreizehn Knoten über Grund. Trotzdem würde es noch fünfundzwanzig Tage dauern, bis sie den Leuchtturm Roter Sand in der Wesermündung sehen würden.

      Es lief gut, sogar in Dakar, wo Flarrow Schneepflüge aus dem Ural am Rand des Hafenbeckens entdeckte. War das vielleicht Wirtschaftshilfe á la UdSSR?

      Die Reise ging weiter, und alle freuten sich auf Deutschland, das sie nun über sechs Monate lang nicht gesehen hatten, der Alte besonders. Wenn es auch zu einem Besuch in Itzehoe nicht reichen würde, seine Frau und die Tochter würden sich an Bord sehen lassen.

      Die See spielte weiter mit, das Wetter war sommerlich.