Peter J. Gnad

Der Regulator und ich


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Straftäters angebracht werden. Ja, sicher, Hans hatte einige Menschen auf dem Gewissen, wenn er denn diesbezüglich ein Gewissen hatte. Mitleid kannte er jedenfalls nicht, wenn er sich einmal für eine Aktion entschieden hatte, ein Opfer ausgewählt war.

      "Diese Leute haben ihr Recht auf Leben verwirkt, sie haben so viel Unglück über andere gebracht, dass ihre Beseitigung wie eine Operation anzusehen ist. Das ist eine sozio-sanitäre Angelegenheit, bei der der Volkskörper von dem ihn am Leben bedrohenden Subjekt befreit wird, wie ein Krebsgeschwür, extrahiert. Ich sehe mich mehr als Sanitäter, als einen Straftäter, man müsste mich geradezu belohnen, für diesen Dienst an der Allgemeinheit !" schrieb er, erklärend in seinem Text.

      Einmal, aber nur einmal, in seinem Manuskript, verwendete er auch selbst die schwarzhumorige Formulierung, dass er wohl eher als "Rächer" angesehen werden wollte. Hans Maier zauderte oder verzagte nicht, er tat was er glaubte tun zu müssen, nämlich die Welt von so manchem gemeingefährlichen Zeitgenossen zu erlösen.

      Nie, zu keinem Zeitpunkt, während seiner "aktiven Zeit", hatte ich gewusst, was Hans machte, dachte eher, dass er in der großen weiten Welt herumfuhr und da und dort mit der Untersuchung von Situationen, dem Beobachten, als Zaungast befasst war. Auf diesem Feld hatte er sich auch bereits einen Namen gemacht, man lud ihn immer wieder ein - auch durchaus zweifelhafte Charaktere, Despoten, wollten von ihm interviewt werden, genau von ihm und nur von ihm. Es schien etwas absurd.

      Nach seiner Zeit bei der Zeitung wechselte er das Medium, hin zum bewegten Bild, der übliche Weg, von der Redaktion eines Printmediums, hin zum Fernsehen. Da war das Feld breiter, er war auch nicht mehr in der Lokalschiene gefangen, nun ging die Arbeit auch über die Landesgrenzen hinaus.

      Ich hörte seine Begeisterung, als er sein "neues Medium" pries, er war euphorisiert, anfangs, wie bei jeder neuen Sache die er anpackte. Wir trafen einander nicht mehr so häufig, allein schon deshalb, weil Hans ein nunmehr unstetes Leben führen musste. Heute da, morgen dort und wenn man glaubte, er war da, war er bereits wieder fort.

      "Das Beste an dieser Arbeit ist, dass ich dabei so viele Menschen kennenlernen kann und damit erweitern sich natürlich auch meine Möglichkeiten…"

      Wieder trug er dieses etwas süffisante, spöttische Lächeln im Gesicht, ich konnte es damals noch nicht richtig deuten. Wahrscheinlich resümierte er in solchen Sekunden manche seiner Erlebnisse. Er sprach manchmal etwas nebulös von "Erlebnissen", die er nie genau definierte, ich dachte lange, dass er nur seine Begegnungen mit bekannten Persönlichkeiten oder seine Reisen und damit verbundene Begebenheiten meinte. Weit gefehlt, wie ich mir am Ende eingestehen musste.

      Der Abend in der Kaschemme, als Hans das bedeutungsschwangere Geständnis ablieferte, war das letzte Mal, dass ich ihn lebend sah. Kurz darauf verschwand er aus meinem Blickfeld. Ich lachte über seine Worte, hielt damals ja alles nur für Gebrabbel, ein paar Drinks waren auch schon durch unsere Kehlen geflossen, nicht jedes Wort war auf die Waagschale zu legen gewesen. Ich hatte da ja auch die Unterlagen, sein Manuskript, seine Geschichte, noch nicht in der Hand gehabt, wusste noch nichts von den Taten, von dem höchst geheimen Doppelleben, der zweiten Persönlichkeit meines Freundes Hans Maier. Ich sollte noch in fassungslosem Erstaunen versinken.

      An dieser Stelle musste nun ein erster Ausschnitt aus seinem Text folgen, sonst war es zu schwierig sich vorzustellen, wie die Dinge überhaupt in Gang kamen, wie sich das Tor, das sonst für alle Normalbürger, gesetzlich, wie auch ethisch-moralisch, vor allem aber physisch verschlossen blieb, für Hans öffnete und ihn einließ. Hans beschrieb im ersten Drittel seiner Geschichte, wie es kam, dass er diesen Weg ging, wie er lernte, was es zu lernen gab. Ich fand die Details unter einer gesonderten Überschrift, einer Einführung in die Vorgänge, zum Aufwärmen sozusagen, das Kapitel hieß "Grundlage".

      II

      Alles fing mehr oder weniger mit einem Zufall an. Es war kein erfreulicher Zufall, denn dabei starb ein Tier, ein schneeweißer Schwan, und obwohl ich "etwas Gutes" getan hatte, nämlich einem anderen bedrohten Tier zu helfen, empfand ich anschließend mehr Trauer als Genugtuung oder Freude. Das Tier tat mir mehr leid, als so manches der menschlichen Opfer, die ich da auf meinem Weg hinter mir ließ.

      Der Schwan ging auf eine kleine Ente los, schnäbelte auf das kleine Wesen ein, verfolgte es regelrecht, auch ins Wasser, wohin sich das Entlein retten wollte. Da war schon wieder der große Schwan hinter ihm, drückte es unter Wasser, hieb mit seinem Schnabel auf das Tierchen ein, als ob es der übelste Feind wäre, den sich das große Tier nur finden konnte. Man wusste von Fällen, wo Schwäne andere Mitbewohner ihrer Sphäre einfach töteten, wenn ihnen danach war. Formale Gründe, zumindest wie wir sie verstehen, gab es nicht. Da war nur der große weiße Vogel, der unerbittlich auf das kleine Entlein einhackte, es konnte nicht mehr lange dauern und das grausame Schauspiel käme zu Ende, genau so, wie dann eben die kleine Ente ihr Ende fände.

      Ich musste ihr einfach helfen, warf zuerst nur ein paar Steine nach dem Schwan, was aber dessen Wut noch stärker anfachte. Ich warf einen kleinen Ast ins Wasser, aber außer einer kleinen Ablenkung war da nichts zu erreichen, der Schwan ließ von seinem Opfer nicht ab. Wäre es nicht Februar gewesen, das Wasser eiskalt, ich wäre hineingesprungen, ich hätte ihm den Hals umgedreht, diesem Ungeheuer. Ich lehnte am Zaun, sah verzweifelt hin zu dem ungleichen Kampf, denn das Entlein kämpfte um sein Leben, das war ganz offensichtlich. Ich sah mich um, ob ich irgendwo Hilfe holen konnte, irgendetwas, das den Schwan davon abbringen konnte, das kleine Entlein weiter zu bedrängen. Und dann passierte es einfach. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf den Schwan und sagte ganz leise, eher nur zu mir selbst.

      "Du bösartiges Vieh, wenn du derartig böse bist, dann solltest du einfach sterben… jetzt !"

      Plötzlich gab es einen lauten, klagenden, krächzenden Ton, der da übers Wasser schallte und mich unwillkürlich wieder umdrehen ließ.

      Der Schwan paddelte hin zum Ufer, seine Bewegungen waren fast schon als panisch zu bezeichnen, er sah zu, dass er an Land kam, schaffte es aber nicht. Mit einem weiteren Klagelaut richtete er sich kerzengerade auf, um anschließend in sich zusammenzufallen, den Kopf seitlich unter Wasser. Der Schwan war tot, da gab es keinen Zweifel. Die kleine Ente kam an Land gewatschelt, lief sofort zu ihren Artgenossen hin, wo heftiges Geschnatter einsetzte. Der Schwan trieb als weißes Bündel im Wasser.

      Langsam löste ich mich vom Zaun, völlig verwirrt und verstört, ich hatte das doch nicht gewollt. Man sprach doch oft mal irgend so einen Satz aus, irgendwelche Drohungen, verbale Entgleisungen, mit denen die Emotionen ausrauchen konnten, eine Art Dampfablassen, ohne das Gesagte wort-wörtlich zu meinen.

      Das Entlein lief wieder herum, das Verbrechen verhindert, der potenzielle Täter beseitigt, das Problem war als gelöst zu betrachten. Ja, sicher, es war schon traurig, den Schwan dahintreiben zu sehen, aber andererseits, die körperliche Überlegenheit gegen das kleine Tierchen war erdrückend gewesen. Da musste man doch einschreiten, oder hätte ich einfach zusehen wollen, wie da gerade ein Mord stattfand, wo ein hoffnungslos unterlegenes Wesen einem überlegenem Monster zum Opfer fiel ?

      Ich dachte noch lange nach, über das Geschehene, mir war mittlerweile auch klar, dass dies kein Zufall gewesen war, ich vielmehr wirklich die Verantwortung für des Schwanes Tod trug, ich war der "Täter" gewesen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das gemacht hatte, war mir keiner außerordentlichen eigenen Fähigkeit bewusst, um solcherlei Gewalt bewirken zu können, jemand, sei es auch nur ein Tier, vom Leben zum Tode zu befördern. Ich war verwirrt, mehr als nur verwirrt, ich war verstört, war mir selbst nicht geheuer. Was war das, was da in mir wohnte ?

      An jenem Abend zog ich mich noch mehr in mich zurück, wäre am liebsten aus mir selbst geflüchtet. Ich betrank mich ziemlich sinnlos, obwohl mir das sonst fernlag, wollte das, was ich gesehen und erkannt hatte, wegschieben, verdrängen, ins Reich der Fantasie verbannen. Aber das ging so einfach nicht !

      Sicher, irgendwann schlief ich dann ein, mit schwerem Kopf und erwachte mit noch schwererem Kopf, dumpfem Bewusstsein, aber immer noch präsenten Bildern vom Vortag, vom Schwan, als er langsam auf die Seite sank und starb.

      In den Tagen darauf gelang es mir nur mühsam, mich wieder auf meinen Beruf zu konzentrieren. Journalismus verlangte unbedingte Aufmerksamkeit und Genauigkeit,