Peter J. Gnad

Der Regulator und ich


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Zeitung gewesen, in meinem zweiten Jahr, war noch nicht abgefackt von den Spielen, die man da in dieser Stadt spielte, Hand in Hand, alles nur des schnöden eigenen Vorteils wegen. Die Korruption blühte in allen Farben, wenn man denn bereit war, die rosarote Brille abzunehmen und Klarsicht einzusetzen. Damals hatte ich noch an das Gute im Menschen geglaubt, an die "Gemeinschaft", dass man doch gemeinsam auf ein Ziel hinarbeitete, den Menschen das Leben zu erleichtern, die Umstände zu verbessern - wie naiv und kindlich ich doch gewesen war, damals.

      Nicht dass es nicht auch solche Menschen gab, die da reinen Herzens zu helfen versuchten, wo sie konnten, aber das war wohl eher nur die Ausnahme. Die meisten der Mitmenschen waren ausschließlich aufs eigene Wohl bedacht - erst komm' ich, dann komm' ich, und nach mir kommt dann wer kommen will. So sah es doch aus, in dieser Gesellschaft. Dass man dabei auch so manch anderen Mitmenschen übervorteilen musste, war die andere Seite der Medaille, das schien Teil der Realität, in der man sich bewegte. Das sollte nicht so sein, im idealen Zustand, nur gab es eben keinen Idealzustand, das war ein Wunschtraum nur, ein imaginärer Nebelstreif am fernen Horizont, nicht mehr.

      Mit der Zeit verdrängte ich dann die Angelegenheit mit dem Schwan, wollte alles besser vergessen, wollte mich auch gar nicht mehr und tiefer mit dieser "Sache" befassen, es war mir vielleicht sogar selbst ein bisschen unheimlich. Die Frage war ja, welche Kräfte da in mir schlummerten. Aber eben genau das wollte ich nicht wahr haben, wollte doch lieber nur "normaler Mensch" sein, wie alle anderen, ein frommer Wunschtraum, wie sich später herausstellte. Der Verdrängungsmechanismus funktionierte, anfangs, zumindest einige Monate lang. Ich begann meinen eigenen Beteuerungen zu glauben, dass das alles doch sicher nur Zufall gewesen sei, wer konnte schon sagen, woran der Schwan tatsächlich gestorben war. Vielleicht ein Herzinfarkt, ein Gehirnschlag, ein Aneurysma, akutes Nierenversagen oder irgendeine sonstige Ungemach, Krebs, ein Tumor, Lungenembolie, an einem Frosch verschluckt oder einfach nur Altersschwäche.

      Das alles waren nur Ausflüchte, ich spielte das Spiel vom Straußenvogel, dem man nachsagte, seinen Kopf in den Sand zu stecken, um herannahendes Unheil nicht zu sehen. Aber Straußenvögel waren nicht so blöd, die konnten sich auch ganz gut ihrer Haut wehren, wenn es sein musste. Nur ich war so blöd, zu versuchen, das, was da in mir brannte, zu ignorieren.

      Ich arbeitete wie ein Besessener, oft an mehreren Reportagen zugleich, nur keine Müdigkeit, nur keine Langeweile und nun auch noch: "nur keine Zeit zum Nachdenken". Ich war getrieben, von mir selbst, im Beruf voranzukommen, mir einen Namen zu machen, mich als feste Größe in der lokalen Gesellschaft zu integrieren, meine in dieser Tageszeitung veröffentlichte Meinung zu einem Meilenstein zu machen, an dem die Entfernung zur öffentlichen Wahrheit gemessen werden konnte. Dies war an vielen Kleinigkeiten zu erkennen, wie man mir begegnete, nämlich mit großem Respekt, wobei Respekt vielleicht das falsche Wort an der richtigen Stelle war. Sie hatten vielmehr ein bisschen Angst, vor meinen zielsicheren Stichen. Ich entschied selbst, über meine Arbeit, ich hatte bald schon freie Hand. Da war niemand, außer vielleicht meinem Chefredakteur, der aber doch auch genau wusste, was er an mir hatte, jemand der journalistisch attraktiv war, jemand den "der Leser" lesen wollte, weil ich immer einen Brennpunkt fand, die Strukturen herausarbeitete und mit scharfem Schnitt auch die vordergründig noch verborgenen Krankheitsherde schonungslos offen legte.

      Der Auflage schadeten diese Tiraden, die ich manchmal ritt, jedenfalls nicht. Manche sagten, dass sie immer, jeden Morgen erst nachsahen, was oder wen ich denn heute wieder in die Mangel nahm. Ich wurde immer frecher und gleichzeitig auch unbarmherziger in meiner Kritik, sodass dann auch bald die ersten Drohungen auftauchten, man werde darauf hinwirken, dass ich meinen Job verlor – ich lachte ihnen ins Gesicht - man werde sich "meiner annehmen", ich solle mich vorsehen.

      Ein Politiker erdreistete sich sogar persönlich in der Redaktion zu erscheinen und mich, vor allen anderen anzubrüllen, mit wüsten Schimpfworten zu belegen. Wären die anderen Kollegen nicht im Raum gewesen, der hätte sich glatt auf mich gestürzt. Nur weil ich beweisen konnte, dass er als "stiller Teilhaber" – allein schon diese Formulierung - in ein Puff involviert war, was ihn wohl auch berechtigte mit den "Damen vom Haus" gelegentlich Freiräume zu nutzen, ganz neben den Ausschüttungen, seiner Gewinnbeteiligung, es gab da auch Fotos, die "jemand" gemacht hatte.

      Es war anlässlich dieses Ereignisses, dass ich – mehr unwillkürlich, als absichtlich – wieder eine Reaktion hervorrief, die vielleicht ebenfalls auf der Ebene des Schwanes einzuordnen war. Ich dachte mir: "Kotz dich nur aus, du Drecksack oder noch besser kotz dich selbst an !"

      Eine Wandlung vollzog sich im Gesicht des wütend brüllenden Mannes – er wurde fast grün im Gesicht. Anschließend ging alles ganz schnell, er begann zu würgen, hielt sich die Hand vor den Mund, aber der Druck war wohl zu hoch gewesen. Eine braune Soße quoll aus seinen Mundwinkeln hervor, verband sich schnell zu einem unaufhaltsamen Schwall, der dem Mann nun von der eigenen Brust tropfte. Er stieß einen wütenden Laut aus, kotzte noch einmal, diesmal auf einen der vor ihm stehenden Schreibtische, von wo der Brei auf den Boden lief. Der Mann war sprachlos, starrte wütend in die Runde. Ich konnte nicht umhin, anzumerken, dass die Redaktion ihm die Reinigungskosten in Rechnung stellen würde, logischerweise direkt an sein Büro adressiert Fotos mit eingeschlossen. Der Mann stürmte zur Tür hinaus. Ich war mir in Klaren, dass ich mir soeben einen Todfeind eingehandelt hatte, aber das scherte mich einen Dreck, zumindest jetzt noch. Später würde ich mich seiner noch einmal annehmen müssen, aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

      Später dann, in der Nacht, dachte ich das erste Mal daran, mich mit diesen, meinen mysteriösen Fähigkeiten auseinandersetzen zu müssen. Aber der Entschluss brauchte noch viel Zeit um die nötige Tiefe und Umsetzung in die Tat zu erreichen.

      Ich arbeitete weiter, als sei nichts geschehen, ging unverdrossen meiner Tätigkeit nach, vergaß meinen Vorsatz wieder, konzentrierte auf die Themen die mir meine Arbeit boten. Mein Engagement war aber auch zu dieser Zeit bereits zielgerichtet, ich hatte meine "Schiene" gefunden.

      Es war in dieser Zeit, dass jemand zu mir sagte, irgendein Kollege, dass ich ja geradezu der "geborene Zorro" sei, der Rächer der Enterbten, Geschlagenen, Erniedrigten, Ausgebeuteten, Versklavten und überhaupt. Irgendwer hatte dann auch noch eine Fotomontage gemacht, meinen Kopf auf den Reiter montiert, mit der obligaten Augenmaske auf einem schwarzen Rappen, mit Degen, vor einem blutroten Sonnenuntergang. Ich lachte ein etwas schiefes Lachen. Es kam mir fast schon ein wenig komisch vor, jetzt, einige Jahre nach diesen Anfangs-, Einstiegsschwierigkeiten. Heute saß ich in einer Bar, am Strand in Queensland, in Australien, beobachte die wie geölt durch die Brandung gleitenden Surfer, auf ihren Brettern. Hier war alles voller Touristen, da fiel ich nicht auf, mit meiner kleinen Gestalt, die nahmen mich gar nicht wahr und das war gut so. Denn ich hatte gerade mal wieder einen "Auftrag" erledigt, ein Kerbe mehr, im Griff meines imaginären Colts. Nein, das war nur eine Metapher, ich verwendete ja keine externen Waffen für meine Vorhaben, das hatte ich nicht nötig - die Waffe war ich selbst !

      Ich begann mich ernsthaft mit meinen geheimnisvollen Kräften auseinanderzusetzen, als ich die Zeitung bereits hinter mir gelassen hatte und erst einmal – bevor ich dann Fernsehen machte – einen längeren "Urlaub" antrat, wie ich meinen Freunden sagte, aber eigentlich war es alles andere, als ein Urlaub gewesen.

      Ich hatte mich eingelesen in die Materie, obwohl es da, auf ernster Ebene, nicht so viel zu erfahren gab, wie ich es mir wünschte. Da gab es den bekannten VooDoo-Zauber, wo man Puppen mit Nadeln spickte und der Betreffende dann an genau diesen Stellen Schmerzen erlitt, erkrankte oder sogar daran verstarb. Auch dem Schamanismus sagte man nach, dass dessen "Priester" über geheime Kräfte verfügten und sie alles Mögliche an Unheil über Menschen hereinbrechen lassen konnten.

      Vieles davon musste man einfach in den großen Bereich von Humbug einordnen, aber da gab es auch Berichte von gar eigenartigen, mysteriösen Geschehnissen. Vielleicht war ja doch etwas dahinter, ganz abwegig erschien es mir, gerade auch in meiner Situation, mit meinen eigenen seltsamen Erlebnissen, dann doch wieder nicht. Wahrscheinlich waren nur ganz wenige dieser Voodoo-Zauberer wirklich fähig Dinge zu bewegen, auf rein immaterieller, abgehobener, komplett vergeistigter Ebene, der Rest war Hörensagen und Märchen. Die Mythen waren aber dennoch so stark, die Menschen die dem jeweiligen Glauben angehörten, in Angst und Schrecken zu versetzen.

      Außerdem gab